|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Klaus Stiebert
Was die Geschichte Großes liefert, wartet
auf Ihren Pinsel
Die Treusten der Treuen - Schillers
sächsische Freunde
Anfang Juni 1784 erhielt der 25-jährige
Schiller in Mannheim, durch den Verlagsbuchhändler Christian
Friedrich Schwan vermittelt, eine Sendung aus Leipzig:
Huldigungsbriefe, Porträts, eine gestickte Brieftasche und die
Vertonung eines Liedes der Amalia aus den "Räubern". Die
anonymen Absender ermittelte Schwans Mitarbeiter Gottlieb Christian
Götz; es waren der 1756 geborene Oberkonsistorialrat Christian
Gottfried Körner, Sohn des Theologie-Professors und
Superintendanten der Leipziger Thomaskirche, Körners Verlobte
Anna Maria Jacobine, genannt Minna Stock, deren Schwester Johanna
Dorothea, Töchter des Kupferstechers Johann Michael Stock,
Goethes Zeichenlehrer in Leipzig, und Dorotheas Freund, der
20jährige Übersetzer Ludwig Ferdinand Huber.
Zu einer Zeit, da die Kunst sich immer mehr
zur feilen Sklavin reicher und mächtiger Wollüstlinge
herabwürdigt, thut er wohl, wenn ein großer Mann auftritt
und zeigt, was der Mensch auch jetzt noch vermag", hieß es in
Körners Brief. Schiller sah in einem solchen Geschenk "eine
größere Belohnung als der laute Zusammenruf der Welt",
doch antwortete er vorerst nicht.
Noch immer richtete er seine Hoffnung auf die
Bühne. Nach der Buchausgabe von "Kabale und Liebe" bei Schwan
in Mannheim und der erfolgreichen Uraufführung des
bürgerlichen Trauerspiels in Frankfurt/M. hatte auch die
Mannheimer Aufführung stürmische Begeisterung
ausgelöst. Schiller arbeitete an einer neuen Fassung des
"Fiesco" und hielt vor der vom Intendanten von Dalberg ins Leben
gerufenen Deutschen (Theater-)Gesellschaft seine programmatische
Rede "Vom Wirken der Schaubühne auf das Volk", die im ersten
Heft seiner neuen Zeitschrift "Rheinische Thalia" unter dem Titel
erschien "Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich
wirken?" (1785 bei Schwan).
Doch sein Vorhaben, an einem Mannheimer
"National-Theater" mitarbeiten zu können, sein nächstes
Theaterstück "Don Carlos" dort zu vollenden, scheiterte -
Schillers Vertrag als Theaterdichter wurde von Dalberg nicht
verlängert. So geriet er in größte finanzielle
Notlage. Da nützte auch der Sachsen Weimarische Hofratstitel
nichts, den er sich vom Herzog Karl August erbat, als dieser zu
seinem Antrittsbesuch am Darmstädter Hof weilte und dem
Schiller auf Empfehlung Charlotte von Kalbs aus dem 1. Akt des
"Carlos" vorlas. Dass er seinem zukünftigen Landesherren
begegnete, konnte er nicht voraussehen.
In dieser Situation entschloss er sich im
Dezember 1784, den Leipziger Bewunderern zu antworten, Er
entschuldigte sich mit der Arbeit an der "Thalia": "überdies
zwingt das deutsche Publikum seine Schriftsteller, nicht nach dem
Zuge des Genius, sondern nach Spekulation des Handels zu
wählen. Ich werde dieser ?Thalia' alle meine Kräfte
hingeben." Huber, die Schwester Stock und Körner antworteten
ihm in getrennten Briefen, Körner lud ihn ausdrücklich
ein: "Ihrer ?Thalia' sehe ich mit Verlangen entgegen, aber es
sollte mir weh tun, wenn Sie dadurch von dem abgehalten
würden, was Ihre eigentliche Bestimmung zu sein schein. Alles
was die Geschichte in Charakteren und Situationen Großes
liefert und Shakespeare noch nicht erschöpft hat, wartet auf
Ihren Pinsel."
Im Februar 1785 nahm Schiller die Einladung
an. Anfang April reiste er und kam zur Messezeit am 17. April 1785
in Leipzig an, wo er im Gasthof "Zum blauen Engel" abstieg.
Körner traf er nicht mehr, da dieser schon Aufgaben für
Kirchen- und Schulfragen im Oberkonsistorium zu Dresden
wahrzunehmen hatte. Mit Huber und den Schwestern Stock entwickelten
sich rasch vertrauensvolle Beziehungen. In Richters Kaffeehaus am
Markt begegnete er dem Lessing-Freund Christian Felix Weise, dem
von Goethe geschätzten Maler Adam Friedrich Oeser, dem
Komponisten Johann Adam Hiller, dem Schriftsteller Friedrich
Jünger, seiner Uraufführungs-Luise Sophie und ihrem Mann,
dem Arzt Ernst Albrecht, und dem Verleger Georg Joachim
Göschen.
Trotz freundschaftlicher Aufnahme fühlte
sich Schiller im Dorfe Gohlis vor den Toren der Stadt einsam in
seiner Dachstube und erhoffte eine Begegnung mit Körner. Die
fand am 1. Juli 1785 in Kahnsdorf bei Borna auf dem Landgut des
Leipziger Rhetorikprofessors August Wilhelm Ernesti am Vorabend von
Körners 29. Geburtstag statt. Schiller schrieb am
nächsten Tag einen siebenseitigen Brief nach Dresden mit dem
Wunsch, die Freundschaft zu vertiefen, und dem Geburtstagsgedicht
"Unserem theuren Körner zum 2ten Julius 1785". Der antwortete
postwendend mit der Einladung nach Dresden und dem Angebot,
Schiller ein Jahr lang finanziell abzusichern: "lass mir die
Freude, Dich aus der Notwendigkeit des Brodverdienens zu setzen."
Schiller nahm das "schöne und edle Anerbieten" an - ein
bemerkenswerter Vorgang: der wohlhabende Bürger wurde
mäzenatisch tätig für einen begabten, aber
unbemittelten Bürger.
Aufschrei an der Elbe
Der kunstsinnige Körner erbte ein
beträchtliches Vermögen und war finanziell
unabhängig, doch er blieb, trotz musikalischer und
literarischer Neigungen, seinen selbstgewählten Pflichten treu
(erst 1815 wechselte er in die preußische Staatsverwaltung
nach Berlin) - und er war Schiller bis zu dessen Tode in
selbstloser Freundschaft verbunden, wovon der umfangreiche
Briefwechsel zeugt.
Am 7. August 1785 heiratete Körner Minna
in Leipzig - "Zu Körners Hochzeit" trug Schiller sein
Gelegenheits-Gedicht bei. Die Körners richteten sich in
Dresdens Neustadt "Am Kohlmarkt" ein. Das Haus sollte in der
Folgezeit zum Begegnungsort bedeutender Schriftsteller, Musiker und
Maler der Klassik und Romantik werden. Schiller reiste am 11.
September 1785 mit Extrapost aus Leipzig ab: "Als auf einmal, und
mir zum ersten Mal, die Elbe zwischen zwei Bergen heraustrat,
schrie ich laut auf. O mein liebster Freund, wie interessant war
mir das alles! Die Elbe bildet eine romantische Natur…, eine
schwesterliche Ähnlichkeit dieser Gegend mit dem Tummelplatz
meiner frühen dichterischen Kindheit macht sie mir dreifach
teuer. Meißen, Dresden und seine Gegend gleichen ganz in die
Familie meiner vaterländischen Fluren", schrieb er an den in
Leipzig gebliebenen Huber.
Am nächsten Tag siedelte man nach
Loschwitz über, wo Körner ein Sommerhaus an der Elbe
besaß, "oben auf der Höhe des Weinbergs steht noch ein
artiges Gartenhäuschen." Schiller verlebte dort nahezu zwei
Jahre eine unbeschwerte glückliche Zeit im Freundeskreis
seines Gastgebers. Unter anderen traf er den Historiker Johann
Wilhelm von Archenholz, den Professor der Ritterakademie Wilhelm
Gottlieb Becker, den Maler Anton Graff, der ihn porträtierte,
den Komponisten Johann Gottlieb Naumann, der - wie auch Körner
- das literarische Zeugnis der Freundschaft vertonte: das Lied "An
die Freude".
Bootsfahrten über die Elbe führten
zu Justine Segedin, der "Gustel von Blasewitz" ("Wallenstein
Lager"); er schrieb Launiges zu "Körners Vormittag",
gutmütigen Spott über schriftstellerische
Unproduktivität, zu "Körners Geburtstag" oder das
"Untertänigste Pro Memoria an die Consistorialrat
Körnersche weibliche Waschdeputation", ironische Klage
über die Störung der Arbeit: "Die Wäsche klatscht
vor meiner Tür,/ Es scharrt die Küchenzofe - / Und mich -
mich ruft das Flügeltier / Nach Königs Phillips
Hofe."
Nachstellungen einer Hofdame
Körner zahlte an den Verleger
Göschen in Leipzig, damit er Schiller Vorschüsse
vermittelte: Für die nun dort herausgegebene "Thalia", in
deren 2., 3. und 4. Heft neben Lyrik, weiteren Teilen des "Carlos"
auch Prosa erschien, der "Verbrecher aus Infamie", Fortsetzung des
Romans "Der Geisterseher", die "Philosophischen Briefe". Schiller
arbeitete an der "Geschichte des Abfalls der vereinigten
Niederlande" und vollendete "Don Carlos" für die Buchausgabe
in Tharandt im Weißeritztal. Dorthin hatten die Körners
ihn im April 1787 gebracht, um ihn von der kapriziösen Tochter
einer Dresdner Hofdame, der 19jährigen Henriette von Arnim,
abzulenken, in der Minna keine geeignete "Liaison" sah.
Mit der Vollendung des "Don Carlos" gelangte
Schiller durch Überwindung der Sturm-und-Drang-Positionen auf
den Weg zum klassischen Geschichtsdrama. Doch er spürte, dass
er Körner nicht länger zumuten durfte, seine finanziellen
Angelegenheiten zu regeln. So kam ihm die Einladung Charlotte von
Kalbs nach Weimar sehr gelegen. Am 20. Juli 1787 reiste er von
Dresden an. Offiziell nahm man ihn dann allerdings in Weimar
zunächst gar nicht zur Kenntnis, keines seiner Stücke
wurde am Hoftheater zur Aufführung angenommen.
Von Weimar aus schrieb er an die Schwestern
von Lengefelde rückblickend, Dresden sei "eine Wüste der
Geister. Die Kursachen sind nicht die liebenswürdigsten von
unseren Landsleuten, aber die Dresdner sind vollends ein seichtes,
zusammengeschrumpftes, unleidliches Volk, bei dem es einem nie wohl
wird. Sie schleppen sich in eigennützigen Verhältnissen
herum, und der freie, edle Mensch geht unter dem hungrigen
Staatsbürger ganz verloren, wenn er anders je dagewesen ist.
Zuweilen begegnet man einem verstümmelten Abdruck oder
vielmehr einer Ruine, die ehemals Geist oder Herz beseelte. Aber
die fatalen Verhältnisse haben beides zertreten und verheert
…" Er riet auch Körner, die sächsische Residenz zu
verlassen, aber er hat ihn dort noch mehrmals besucht.
Der Autor war bis vor wenigen Jahren
Literaturbeauftragter der Ev.-Lutherischen Landeskirche Sachsens.
Er lebt in Dresden.
Zurück zur Übersicht
|