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"Schiller - das war echt ein pfiffiger
Kerl!"
Ein Gespräch mit dem Rapper und
Schauspieler Tyron Ricketts, der Schiller-Verse auf seine Musik
legt
Tyron Ricketts wurde 1973 als Sohn einer
österreichischen Mutter und eines jamaikanischen Vaters in
Österreich geboren. Mit sechs Jahren zog er mit seiner Mutter
nach Deutschland. Nach seinem Abitur 1992 in Aachen studierte er
Design und Unterhaltungsbranche. Zu der ersten Kinorolle 1994 kam
bald die Moderation und Produktion der eigenen Sendung "Word Cup"
auf Viva TV und gleichzeitig die Gründung einer
Entertainment-Agentur. Er veröffentlichte eigene LP\´s
mit seiner Band Mellowbag. Heute lebt Ricketts in Berlin und
arbeitet in verschiedenen deutschen und internationalen
Produktionen als Schauspieler.
Das Parlament: Sie legen Schillerverse
auf Rap-Beats? Wie geht das?
Tyron Ricketts: Das ist ein
Experiment. Aber es geht gut. Es ist schön zu sehen, wie die
eigene Kreativität mit Schiller mitschwingt. Und
plötzlich merkt man, dass die 200 Jahre, die vergangen sind,
unerheblich sind. Man nimmt die Inspiration, die Sprache von
früher und vermischt es mit dem Beat der Gegenwart. Dadurch
entwickelt sich etwas völlig Neues.
Das Parlament: Wie findet das Publikum
das?
Tyron Ricketts: Das kommt sehr gut an.
Nicht nur bei Jüngeren, auch bei Älteren.
Das Parlament: Welche Verse nehmen
Sie?
Tyron Ricketts: Neulich hatte ich mir
den Text "Kastraten und Männer" ausgesucht, auch weil er in A
B A B Reimform geschrieben ist. Er ist so verfasst, dass man ihn im
Viervierteltakt hören kann und auf ein Rapschema runterbrechen
kann. Der Text ist eine Satire auf ein Gedicht, das
"Männerkeuschheit" heißt. Ich fand es ganz schön,
weil der Text auch so ein bisschen machomäßig ist und Rap
kann auch machomäßig sein. Am Anfang erzählt
Schiller in dem Text, wie er eine junge Frau mit seiner
Männlichkeit betört und fast sogar ein bisschen
einschüchtert. Seine Männlichkeit stellt er in den
Vordergrund. Das passt sehr gut. Viele, die Rapmusik machen und
mögen, wollen sich stark sehen. Sie wollen zeigen, wie toll
sie sind.
Das Parlament: Hat sich
Männlichkeit verändert?
Tyron Ricketts: Ja, klar. In meiner
Generation weiß man ja gar nicht, was man machen soll. Ob man
jetzt der tolle, verständnisvolle, emotionale
Gefühlsmensch sein soll. Oder ob man auch mal sagen soll, wo
es lang geht. Die Männer in Deutschland befinden sich in
großer Verwirrung. Die Rollenverteilungist im Vergleich zu
Schillers Zeit viel unklarer. Das stellt uns im Leben oft ein Bein.
Wir Männer sind oft unsicher, welche Rolle wir einnehmen
sollen und wollen.
Das Palament: Warum ist Rap so
machomäßig?
Tyron Ricketts: Es ist nicht nur so.
Auch was ich mache, kommt aus einer anderen Ecke. Aber der Ursprung
von Rap ist halt eher von Leuten aus einer sozial unteren Schicht.
Leute nutzen Rapmusik, um eine Stimme zu haben. Bei ihnen ist das
Aspirationsniveau anders. Sie wollen vor allem das haben, was sie
nicht haben: Fette Autos, Macht und Respekt in einem Viertel und
viele hübsche Mädels.
Das Parlament: Wie sind Sie auf
Schiller gekommen?
Tyron Ricketts: Zu Schulzeiten fand
ich Schiller ätzend. Ich bin lieber Skateboardfahren gegangen.
Der Unterricht war einfach zu langweilig. Wir konnten nichts damit
anfangen. Wie ich zu ihm gefunden habe? Na ja, unter anderem auch
dadurch, dass der "Spiegel" vor ein paar Monaten ein Cover mit
Schiller gemacht hat. Darauf sah man ihn mit flammendroten Haaren.
Darüber stand "Freiheit". Das habe ich mir genau angesehen und
fand es sehr gut. Das war auf eine Art präsentiert, die mich
angesprochen hat. In dem Text dazu ist mir auch die Person Schiller
näher gebracht worden und ich konnte mich damit
identifizieren, wie er gelebt hat. Das war echt ein pfiffiger Kerl.
In der Schule kam das überhaupt nicht rüber. Man hat
einfach ein gelbes Reclamheft in die Hand gedrückt bekommen,
mit einer Sprache, die einem fremd war, mit einem Inhalt, den ich
damals gar nicht verstehen konnte. Was hat man mit 16 Jahren denn
schon erlebt? Von Freiheit und Liebe hat man keine Ahnung. Heute
ist da mehr Nährboden. Jetzt interessiere ich mich dafür.
In letzter Zeit habe ich sehr viele Gedichte von Schiller
gelesen.
Das Parlament: Schiller war immer ein
Rebell ...
Tyron Ricketts: Ja, genau das ist es
doch, was die jungen Leute mögen. Schiller hat man doch sonst
immer nur durch den Mund eines verstaubten Deutschlehrers
gehört, der selbst kein Feuer versprüht. Wenn der dann
sagt: Schiller ist toll, wirkt das bereits wie ein Filter. Schiller
an sich kommt dann gar nicht mehr bei jungen Leuten an. Ich kann
mich noch gut erinnern: Die Verpackung damals hat den Inhalt schon
uninteressant gemacht. Schiller muss anders rüber gebracht
werden, dann wird man ihn auch hören und sich für ihn
interessieren.
Das Parlament: Wenn Sie Jugendlichen
Schiller nahe bringen sollten, wie würden Sie es
machen?
Tyron Ricketts: Wenn ich mich als
Schauspieler auf eine Rolle vorbereiten muss, schreibe ich erst mal
eine Paraphrase. Ich schreibe den Text, der da steht, mit meinen
eigenen Worten. Und ich würde die Kinder bitten, das genauso
zu tun: Drückt das in euren eigenen Worten in Reimform aus.
Das macht einfach Spaß. Das war auch immer mein Ansatz beim
rappen. Seitdem es deutschen Rap gibt, finden es auch junge Leute
cool, sich mit deutscher Sprache zu beschäftigen. Das war fast
60 Jahre lang anders. Deutsche Kultur wurde nun mal seit dem
Zweiten Weltkrieg sehr verhalten rezipiert. Und diese Lücke
kann man jetzt das erste Mal wieder durch eine neue Bewegung
schließen, die viel näher an den jungen Leuten dran ist.
Wenn man einen Text selbst bearbeitet hat, kann man sich auch damit
identifizieren.
Das Parlament: Wodurch kam dieser
Aufbruch, diese Trendwende, deutsche Musik wieder cool zu finden?
Es hat bis vor wenigen Jahren nur die deutsche Schlagerparade
gegeben. Das war etwas für ein Publikum, das nicht gerade zur
Avantgarde gehörte.
Tyron Ricketts: Das ging Ende der
90er-Jahre los. Für junge Leute war deutscher Rap auf einmal
in und für die Industrie der größte Markt. Es gibt
dafür verschiedene Gründe: Deutschland kann erst jetzt
die Vergangenheit bewältigen, nachdem es wieder eins ist. Alle
Versuche, die vorher unternommen worden sind, waren legitim und
notwendig, aber erst jetzt, nach der Wiedervereinigung, kann der
Krieg und die Nachkriegszeit wirklich verarbeitet werden.
Außerdem sind es die jungen Leute überdrüssig, mit
einem Schuldgefühl durch die Gegend zu laufen. Denn
mittlerweile werden selbst die Großeltern, die im Krieg waren,
immer weniger. Und dieses verkrampfte Verhältnis, das
Deutschland zu sich selbst hat, zur eigenen Kreativität, zum
eigenen Deutschsein, diese Art, sich ständig zu verstecken,
verstockt darauf zu reagieren, wenn jemand im Ausland fragt, wo man
her kommt, das wollen viele junge Leute einfach nicht mehr.
Vielleicht liegt es auch daran, dass Amerika mittlerweile für
viele Menschen ein neues Feindbild abgibt und man sich von der "Wir
sind die bösen Deutschen" - Sichtweise langsam trennen kann.
Junge Leute aus Deutschland wollen einfach sagen: Wir sind toll,
wir sind gut, wir freuen uns, hier zu sein.
Dass man das nicht kann, auch gerade im
künstlerischen Bereich, geht vielen auf die Nerven. Grade als
junger Mensch hat man einen Drang, sich zu präsentieren. Als
Schiller "Die Räuber" geschrieben hat, war er gerade mal 21
Jahre alt. Und gerade Rap-Musik ist etwas für junge Menschen,
weil es relativ einfach zu machen ist. Wenn du 14 Jahre alt bist
und einen Stift und ein Blatt hast, kannst du loslegen. Es ist viel
einfacher, als ein Instrument zu spielen. Rap bietet eine
Brücke an, über die viele Leute gehen können, um
sich dann auch wieder mit der eigenen Kultur zu
identifizieren.
Das Parlament: Welche Botschaft hat
deutscher Rap?
Tyron Ricketts: In Amerika war das
für die Leute ein Sprachrohr. Rap hat sich zu einer eigenen
Kultur entwickelt. Das schwarze Amerika hat sich durch diese Kultur
unheimlich verändert. Und warum soll das nicht hier auch der
Fall sein? In Deutschland sind es vor allem die weißen
Mittelklasse Kids, die sich das zu Nutze gemacht haben. Die Message
von Rap ist unterschiedlich. Es gibt Max Herre, der seine
revolutionären Gedanken, wie er sich das System vorstellt,
einfließen lässt. Die türkische Community benutzt
Rap, um ihre Wut heraus zu lassen. Ich persönlich finde das
nicht so geil, aber es hat auch seine Legitimation. Wir
Afrodeutschen, besonders mit unserem Projekt "Brother Keepers",
wollen auch die Stimme erheben und Rap dazu nutzen, um auf
Missstände wie Diskriminierung und Rassismus aufmerksam zu
machen.
Das Parlament: Wenn Sie Schiller
treffen würden, worüber würden Sie sich mit ihm
unterhalten?
Tyron Ricketts: Oh. Mmmmh. Doch klar.
Ich würde mich mit ihm wahrscheinlich über das fehlende
Selbstbewusstsein in Deutschland unterhalten, weil ihn das sicher
erschrecken würde. Und ihn würde sicher erschrecken, was
in der Zwischenzeit passiert ist.
Das Parlament: Ist Schiller ein
typisch deutscher Dichter?
Tyron Ricketts: Das war eine ganz
andere Zeit, in der Schiller gelebt hat. In ganz vielen Gedichten
teilt er dauernd Seitenhiebe auf andere Länder aus. Er macht
sich lustig und das eben aus einem gesunden Selbstbewusstein
heraus.
Das Parlament: Was ist denn typisch
deutsch?
Tyron Ricketts: Das Rationale,
Beherrschte, bloß nicht über die Strenge schlagen, lieber
so mitten drin schwimmen. Das, was sich schon mal bewährt hat,
das macht man lieber nochmal. Gefühle nicht zu sehr zeigen.
Sich nicht zu extrem freuen, aber auch nicht zu extrem zeigen, dass
es einem schlecht geht. Die Kopfenergie ist für mich ganz
stark deutsch. Aber leider nicht mehr so blühend wie
früher, sondern beschnitten. Und auch in der Kreativität,
tja mein Gott. Große Sender drehen lieber einen Film nach, der
in Amerika schon mal funktioniert hat, anstatt sich mal wirklich
etwas Eigenes zu trauen. Wie will man da große Dinge
schaffen?
Das Parlament: Sind andere da
anders?
Tyron Ricketts: Ich glaube, dass die
Leute, die in Deutschland wohnen und noch einen anderen
Kulturanteil in sich haben - ob das Afrodeutsche, deutsche
Türken oder Jugoslawen sind - die beschäftigen sich ja in
der Regel auch mit der anderen Kultur in ihnen. Ich bin auch in
sehr vielen Eigenschaften sehr deutsch, beispielsweise in meiner
Zielstrebigkeit, ich bin pünktlich. Das finde ich auch gut.
Aber mein Vater kommt aus Jamaika, und da bekomme ich auch andere
Impulse. Mehr Lebensfreude und vor allem, nicht immer alles so
pessimistisch zu sehen. Die Deutschen sind ja auch super im
Nörgeln, dieses Unzufriedene. Jammern auf hohem Niveau! Da
haben wir als Afrodeutsche einen Vorteil, weil man aus einer
größeren Palette aussuchen kann. Wir alle, die auch eine
andere Kultur in uns tragen, sind eine Chance für Deutschland.
Wir können ein bisschen befreiter sagen: Wir finden
Deutschland gut.
Wenn sich Til Schweiger hinstellt und sagt:
Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein, steht am nächsten Tag in
der Bild-Zeitung: Til Schweiger ist ein Nazi. Wenn Xavier Naidoo
die Nationalhymne singt, bietet er auch dem offiziellen Deutschland
eine Möglichkeit, über diese Brücke zu gehen. Auf
der anderen Seite ist es auch wichtig, dass man auch als
Afrodeutscher oder Deutsch-Türke als Deutscher akzeptiert
wird. Ein schwarzer Franzose ist ein Franzose. Ein türkischer
Deutscher ist ein Ausländer. Wenn sich beide Gruppen
öffnen würden, wäre das für beide Seiten
etwas.
Das Parlament: Wie würde Schiller
denn dieses Deutschland finden?
Tyron Ricketts: Er fand ja auch damals
schon viele Sachen traurig. Deshalb hat er ja auch diese
revolutionäre Ader. Aber jetzt würde er bestimmt die
Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Der hätte
genügend Stoff für 100 neue Theaterstücke und Ideen,
wie man das Land verändern kann. Aber genau das ist jetzt
unsere Aufgabe.
Das Interview führte Annette
Rollmann
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