Christiane Dätsch
Von der Schillerverehrung bis zum "Mirakel
Marbach"
Das Schiller-Nationalmuseum und das Deutsche
Literaturarchiv in Marbach am Neckar
Ohne den 1759 in Marbach am Neckar geborenen Friedrich Schiller
wäre vermutlich nie ein Literaturmuseum für
schwäbische Dichter und auch kein Deutsches Literaturarchiv
entstanden. Ihrem berühmtesten Sohn fühlte sich die
schwäbische Kleinstadt 25 Kilometer nördlich von
Stuttgart schon bald nach seinem Tod in tiefer Verehrung verbunden.
1835 hatte sich deshalb der Marbacher Schillerverein
gegründet, 1859 richtete er Schillers Geburtshaus als
literarische Gedenkstätte ein. Seitdem wurden in Marbach auch
Schillers Hinterlassenschaften gesammelt.
Um das Zentrum der Gedenkstätte und der Dichterverehrung
herum entstand 1903 schließlich das Marbacher Schillermuseum,
dessen Träger der 1895 gegründete Schwäbische
Schillerverein war - die spätere Deutsche
Schillergesellschaft. Das Museum hoch über dem Neckar, dessen
Architekten die Gestalt des Schlosses Solitude bei Ludwigsburg
zitierten, war zwar der gesamten württembergischen Literatur-
und Geistesgeschichte gewidmet, doch besaß Schiller hier
zweifelsohne eine Ausnahmestellung.
Von Anfang an nahm das Schillermuseum - der Zusatz "National"
stammt aus dem Jahr 1922 - nicht nur die Aufgaben einer
Ausstellungshalle, sondern auch eines Dichterarchivs wahr. Die
Archivalien, Handschriften, Erinnerungsstücke und Bildnisse
aus den Nachlässen Schillers und anderer schwäbischer
Dichter lagerten in Vitrinen, oder wenn sie nicht ausgestellt waren
in Museumsschränken. Sie waren durch Schenkungen und
Stiftungen, aber auch durch gezielte Erwerbung ins Schillermuseum
gekommen. Den Anfang machte dabei Schillers gegenständlicher
Nachlass, der im wesentlichen durch das Engagement der Verwandten
des Dichters nach Marbach kam:
Nach Schillers Tod 1805 blieb der Nachlass bis 1889 im Besitz
der Familie. Zuletzt befand er sich in den Händen der
jüngsten Tochter Schillers, Emilie von Gleichen-Rußwurm,
auf Schloss Greifenstein. Nach ihrem Tod stiftete die Familie den
handschriftlichen Teil dem Weimarer Goethe-Archiv, das seither den
Namen Goethe- und Schiller-Archiv trägt.
Keimzelle der Marbacher Schiller-Sammlung bildeten hingegen
einige Autographen, die 1859 zur Ausstattung des als
Gedenkstätte eingerichteten Geburtshauses von Schiller
gestiftet worden waren. Im Laufe der Jahre kamen aus dem
Familienumfeld weitere Sammlungsstücke hinzu, so dass bei der
Gründung des Schiller-Museums im Jahre 1903 eine umfangreiche
Sammlung bestand. In den 30er-Jahren gelangten aus dem Nachlass
außerdem zahlreiche Bilder, Möbel, Kleidungs- und
Erinnerungsstücke in das Marbacher Museum: Sie waren
zunächst im Besitz der Familie von Gleichen-Rußwurm
verblieben und wurden später vom Museum erworben.
Durch eine geschickte Sammlungspolitik, durch Erwerbungen,
Schenkungen und Abgaben aus württembergischen Archiven wuchs
der Bestand des Schiller-Nationalmuseums beständig, und so
entwickelte sich der "Schiller-Standort" Marbach binnen kurzer Zeit
neben Weimar zur zentralen Dokumentations- und Forschungsstelle
für Schillers Leben und Werk.
Den wohl bedeutendsten Zuwachs der Sammlung erbrachte in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Stiftung des
Verlagsarchivs Cotta durch die "Stuttgarter Zeitung" im Jahr 1952:
Mit ihr gelangten bis auf wenige Ausnahmen Schillers Briefe an
seinen wichtigsten Verleger und wesentliche Zeugnisse zur Druck-
und Verlagsgeschichte seiner Werke ins Schiller-Nationlamuseum und
Deutsche Literaturarchiv.
Heute sind im Handschriftenbestand der Marbacher
Schillersammlung vor allem einige Gedicht- und Werkmanuskripte,
darunter ein Fragment aus der Theaterbearbeitung des "Fiesko", die
Reinschrift des "Grafen von Habsburg" sowie verschiedene Arbeiten
Schillers aus der Karlsschulzeit wie die "Rede über die
Tugend" hervorzuheben. Unter den Korrespondenzen bilden die Briefe
an Körner und an seinen Verleger Cotta die umfangreichsten
Gruppen. Aus der gegenständlichen Hinterlassenschaft erweisen
sich die in der Kunstsammlung des Deutschen Literaturarchivs
aufbewahrten Porträts des Dichters und seiner Angehörigen
als einzigartig in Umfang und Qualität.
Dies gilt auch für die aus Schillers Besitz stammenden
Gebrauchsgegenstände, etwa seine Schreibkommode, verschiedene
Kleidungsstücke, seine letzte Schreibfeder sowie zahlreiche
Stücke aus Schillers Kunstbesitz. In Marbach ist zudem eine
umfangreiche Dokumentation der Wirkungsgeschichte von Schillers
Person und seiner Werke vorhanden, wozu Rezeptionszeugnisse von
Autoren, Malern und auch Musikern gleichermaßen zählen.
So besitzt Marbach auch eine Musikaliensammlung, in der zahlreiche
Vertonungen Schillerscher Arbeiten - Notendrucke und -handschriften
- aufbewahrt werden.
Heute sind das Schiller-Nationalmuseum und das Deutsche
Literaturarchiv innerhalb der deutschen Museums- und
Kulturlandschaft als einzigartige Einrichtungen bekannt. Die
Institution wird von Bund und Land gefördert und nach wie vor
vom Bürgerverein der Deutschen Schillergesellschaft getragen.
Das 1955 gegründete Deutsche Literaturarchiv verfolgt das
Ziel, der exilierten deutschen Literatur zwischen 1933 und 1945
einen zentralen Ort der Erhaltung und Bewahrung zu geben.
Seit seiner Gründung im Schiller-Nationalmuseum, der 1973
ein eigenes Gebäude neben dem Museum folgte, erstreckt sich
das Sammelgebiet auf die gesamte deutsche Literatur von der
Aufklärung bis zur unmittelbaren Gegenwart. Im Mittelpunkt
stehen die Nachlässe bedeutender Schriftsteller und Gelehrter
sowie Archive von Institutionen und Verlagen, die erschlossen und
zugänglich gemacht werden.
Das Schiller-Nationalmuseum bietet seinen Besuchern literarische
Ausstellungen zu verschiedenen Aspekten der Literatur von 1750 an
bis in die unmittelbare Gegenwart; diese werden von den "Marbacher
Katalogen" und "Marbacher Magazinen" begleitet. Die Arbeitsstelle
für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in
Baden-Württemberg, die ebenfalls im Schiller-Nationalmuseum
angesiedelt ist, macht mit ihrer Publikationsreihe "Spuren" auf
bekannte, aber auch gefährdete oder fast vergessene
literarische Stätten aufmerksam.
Als viertes und jüngstes Gebäude neben dem
Schiller-Nationalmuseum, dem Deutschen Literaturarchiv und einem
Collegienhaus für Studiengäste entsteht derzeit auf der
Schillerhöhe das Literaturmuseum der Moderne: Vom 9. Mai 2006
an können die Besucher in der Dauerausstellung des
Literaturmuseums das "Mirakel Marbach" erleben. Auf rund 600
Quadratmetern führt die Dauerausstellung in die Literatur des
20. Jahrhunderts und der Gegenwart ein und zeigt zentrale
Stücke aus den über 1.100 Schriftsteller- und
Gelehrtennachlässen des Archivs. Im Sommer 2006 sind im
Literaturmuseum der Moderne unter anderem kleinere Ausstellungen zu
Johann Heinrich Tischbein und "GPS. Karten aus erster Hand" zu
sehen. Im Frühwinter folgt eine große Ausstellung zu
"Gelehrten- und Schriftstellerfotos aus über 150 Jahren
Fotografie".
Öffnungszeiten und Führungen:
Schiller Nationalmuseum: Dienstag bis Sonntag, 10 - 18 Uhr,
Mittwoch bis 20 Uhr. Es werden Führungen durch alle
Ausstellungen angeboten, wenn die Führung mindestens drei
Werktage vor dem Besuchstermin
angemeldet wird (Tel. 0 71 44/8 48-6 01). -
Deutsches Literaturarchiv: Handschriftenlesesaal:
Montag bis Freitag, 8.30 - 17.30 Uhr,
Bibliothek: Montag bis Freitag von 8.30 - 19 Uhr, Samstag 10 -
17 Uhr (Anmeldungen unter Tel. 0 71 44/8 48-0).
Anschrift:
Schiller-Nationalmuseum und Deutsches Literaturarchiv Marbach,
Schillerhöhe 8 - 10, 71672 Marbach am Neckar. Tel. 0 71 44/8
48-0, Fax: 0 71 77/8 48-2 99.
Die Autorin arbeitet als Pressereferentin am
Schiller-Nationalmuseum in Marbach.
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