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Dirk Klose
Der Schweiß der Edlen
Die Schiller-Nationalausgabe
Nun hat es doch nicht ganz geklappt! Das große Projekt der
"Schiller-Nationalausgabe" sollte ursprünglich zum 200.
Todestag des Dichters endgültig abgeschlossen sein. Aber dann
ließen sich die Termine nicht halten, Bearbeitungen
verzögerten sich, so dass aus heutiger Sicht mit dem
Erscheinen des letzten, des 43. Bandes, um die Jahreswende 2006/07
zu rechnen ist. Jedenfalls kann die Wissenschaft zum 250.
Geburtstag des Dichters in vier Jahren dann mit einer kompletten
Ausgabe aufwarten.
Die Planungen für eine Nationalausgabe der Werke Friedrich
Schillers sind erstaunlicherweise erst relativ spät realisiert
worden. Für den anderen "Dichterfürsten" aus Weimar,
Johann Wolfgang von Goethe, war die große "Sophien-Ausgabe"
schon gegen Ende des Ersten Weltkrieges fertig. Das
Schiller-Projekt begann kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges,
und durchaus in politischer Absicht. Es gelte, Schiller - so der
Germanist und Initiator Julius Petersen - "als Künder der
deutschen Selbstbesinnung auf den Platz zu stellen, der ihm
gebühre".
Am 29. Februar 1940 kam es zur Gründung eines
"Verwaltungsausschusses für die Nationalausgabe Friedrich
Schiller", dem die einschlägigen Forschungsstätten in
Weimar und Marbach, die Preußische Akademie der Wissenschaften
zu Berlin und die Deutsche Akademie in München
angehörten. Den Anstoß hatten das
Reichswissenschaftsministerium und die verantwortlichen Ministerien
von Thüringen und Württemberg gegeben. Erster
Vorsitzender wurde - bis 1958 - der thüringische
Ministerialrat Friedrich Stier; der Verlag Hermann Böhlaus
Nachfolger in Weimar übernahm Druck und Vertrieb. Die
politische Zielsetzung des Vorhabens kam auch darin zum Ausdruck,
dass die ursprüngliche Absicht die "deutsche" Frakturschrift
zu verwenden, auf höchstes Geheiß geändert wurde;
"um allen Völkern das Studium der deutschen Sprache und das
Lesen deutscher Literatur zu ermöglichen", wurde die
Antiqua-Schrift genommen.
Sofort wurden Aufträge für die 32 geplanten Bände
vergeben; doch in der Tat erschien während der Kriegsjahre
(1943) lediglich der erste Band mit den Gedichten Schillers bis zum
Jahr 1798. Das Geleitwort hatte der Reichsminister für
Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust,
geschrieben ("Leben heißt für Schiller: Sterben
können für eine Idee!"). Der Hauptherausgeber, der
Germanist Gerhard Fricke (der damals gleichzeitig eine
Hebbel-Nationalausgabe avisierte), hatte sich durch seine
Sympathien für das NS-Regime derart kompromittiert, dass er
1946 zurücktreten musste. Dem großen Einsatz einiger in
Weimar arbeitenden Wissenschaftler und Verleger ist es zu
verdanken, dass die Ausgabe damals nicht sang- und klanglos
einging.
Ost und West in einem Boot
Die Wende kam 1958. Die DDR-Behörden hatten sich nach
einigem Zögern entschlossen, die Nationalausgabe zügig
voranzubringen, auch unter Beibehaltung eines gesamtdeutschen
Herausgebergremiums. Der heutige Hauptherausgeber, der Bonner
Germanist Norbert Oellers, hat nach der Wende mehrfach die
dramatischen Tage damals in Erinnerung gerufen. Nach schwierigen
und "hektischen" Gesprächen kam es zu der Einigung, dass der
Verwaltungsausschuss paritätisch 4 : 4 (Bundesrepublik und
DDR) plus Verlags-Vertreter aus Weimar besetzt wurde, der Vorsitz
wechselte seitdem jährlich zwischen Weimar und Marbach.
Hauptherausgeber wurden Lieselotte Blumenthal (Ost) und Benno von
Wiese (West). Oellers: "Die Gunst der Stunde rettete unsere
Ausgabe."
Damit gehört die Schiller-Nationalausgabe zu den wenigen
Kulturprojekten, bei denen die beiden deutschen Staaten bis zum
Ende der Teilung zusammenblieben: Das wurden immer weniger, am Ende
vor allem das Grimm'sche Wörterbuch, die Edition der Werke des
Philosophen Leibniz, die Arbeit der Internationalen
Bachgesellschaft Leipzig und die "internationalisierte"
Goethe-Gesellschaft Weimar.
"Spielregel" bei allem war eine möglichst geräuschlose
Arbeit; die Öffentlichkeit sollte so wenig wie möglich
von dieser Gemeinsamkeit erfahren. Als Bundeskanzler Willy Brandt
im Februar 1972 in guter Absicht vor dem Bundestag die
Schiller-Ausgabe erwähnte, wäre sie fast geplatzt; den
Hinweis hatte er übrigens nicht von seinen Bonner
Ministerialen, sondern von Golo Mann erhalten.
In der Folgezeit wuchs die Ausgabe kontinuierlich. Nach und nach
wurden die Dramen, die Gedichte, die ästhetischen und die
politischen Schriften sowie Schillers Korrespondenz
veröffentlicht. Die notwendigen Sitzungen fanden - da nur
wenige DDR-Wissenschaftler auch "Reisekader" waren - meist in
Weimar statt; Norbert Oellers, der 1965 in den Herausgeberkreis
eintrat, mithin in diesem Jahr auf eine 40jährige
Herausgeberschaft zurückblicken kann, schreibt, dass er sich
noch heute nicht an die "Schikanen" und die entwürdigenden
Prozeduren an der innerdeutschen Grenze gewöhnen
könne.
Von westlicher Seite wurde die Edition finanziell durch die
Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, ferner durch
Personalmittel an fünf Stipendiaten durch das damalige
Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen. So kam es zu
dem seltenen Fall, dass das DDR-Kulturministerium und das Bonner
Ministerium, die sich ja völlig konträr
gegenüberstanden, in Sachen Schiller jahrelang in einem Boot
saßen.
Nach der Wende entkrampfte sich die Situation schnell. Heute
sehen sich die zuständigen Ministerien von
Baden-Württemberg und Thüringen in gemeinsamer
Verantwortung für die von den beiden Gedenkstätten in
Weimar und Marbach betreute Ausgabe. Das auf 43 Bände,
darunter mehrere Doppelbände, angewachsene Werk wird in zwei
Jahren mit einem Registerband abgeschlossen sein. Dann, so Oellers,
müssen einige Ausgaben aus der Nachkriegszeit "dringend"
überarbeitet werden. Oellers: "Mal sehen, was daraus
wird".
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