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Heinz Stade
"Das Schicksal fügt die Dinge gar
wunderbar"
Schiller in Thüringen - eine
Spurensuche
Anders als Goethe war Schiller kein
reisefreudiger Mensch. Zwar gab er immer mal Pläne bekannt,
nach Paris oder an die Ostsee zu fahren. Tatsächlich aber
beschränkte sich der Radius des Kopfarbeiters Schillers seit
seiner Flucht aus Stuttgart nahezu ausschließlich auf den
mitteldeutschen Raum. Von einem dreiwöchigen Abstecher nach
Berlin abgesehen, waren ihm die wichtigsten Aufenthaltsorte
Dresden, wo er seinen Gönner und Mäzen Körner
wusste, und Leipzig, wo er im Theater begeistert gefeiert
wurde.
In Thüringen aber liegen die Dörfer
und Städte, in denen der Dichter die meiste Zeit seines Lebens
verbrachte - eine Spurensuche.
Von Hügeln umgeben, liegt der 300
Einwohner zählende Ort etwa zehn Kilometer von Meiningen
entfernt. Bis 1803 war Bauerbach ein reichsritterschaftliches Dorf.
Das hatte den Vorteil, dass der Ort weder der Polizei des Herzogs
von Sachsen-Meiningen noch der eines anderen Landesfürsten
unterstand. Schiller, der seit seiner Flucht aus Stuttgart als
Deserteur galt, konnte sich hier vor einer zu Recht
befürchteten Verfolgung relativ sicher fühlen.
Von 1697 bis 1853 war Bauerbach der Sitz der
Familie von Wolzogen. Schillers heute museal genutzte Bleibe steht
in der Ortsmitte nahe der Kirche und der Gaststätte, in
welcher der Besucher verköstigt wurde. Henriette von Wolzogen,
die Mutter von Schillers Stuttgarter Mitschüler, hatte dem
jungen Dichter unter dem Pseudonym "Dr. Ritter" auf ihrem
bescheidenen Landgut das Asyl ermöglicht. In Empfang genommen
wurde er von dem Gutsverwalter und Lehrer Vogt. Eine
Fassadenmalerei am Vogtschen Wohnhaus (Hauptstraße 5) erinnert
daran.
Am 8. Dezember 1782, nur einen Tag nach der
Ankunft in Bauerbach, gingen gleich mehrere Briefe auf die Reise.
"Itzt kann ich Ihnen mit aufgeheitertem Gemüt schreiben, denn
ich bin an Ort und Stelle wie ein Schiffbrüchiger, der sich
mühsam aus den Wellen gekämpft hat. […] Diesen
Winter seh ich mich genötigt, nur Dichter zu sein, weil ich
auf diesem Weg meine Umstände schneller zu rangieren hoffe",
vertraute er dem Buchhändler Schwan in Mannheim an.
Eine monatelange produktive Einsamkeit
wartete auf ihn. Da war zum einen der "Don Carlos", den er
"gewissermaßen statt meines Mädchens" hatte. Eine andere
seiner "Tausend Ideen" sollte schließlich zum
"Hauptgeschäft" der Bauerbacher Zeit werden: "Luise Millerin"
("Kabale und Liebe"). Das Schiller-Museum Bauerbach ist in seiner
Substanz original erhalten. Nur wenige Meter vom Museum entfernt
beginnt der rund 13 Kilometer lange, nach Meiningen führende
"Schiller-Wanderweg".
Rudolstadt
Am Nachmittag des 6. Dezember 1787 kam
Schiller zusammen mit seinem Schulfreund Wilhelm von Wolzogen zum
erstenmal nach Rudolstadt. Wolzogen hatte Schillers Einladung zum
Besuch von Weimar unter der Bedingung angenommen, dass sie einen
Umweg über Rudolstadt machten und dort die mit ihm verwandte
Familie Lengefeld besuchten - ein schicksalhafter Umweg. Hier
begegnete er seiner künftigen Frau Charlotte von Lengefeld und
traf - wenn auch nur flüchtig - mit Goethe zusammen. Bereits
am Abend ihrer Ankunft waren Wolzogen und Schiller im Haus
Beulwitz-Lengefeld (Schillerstraße 25) zu Gast. Schon bevor
das Haus, dem ein schöner Garten vorgelagert ist, zu einem Ort
der deutschen Literatur wurde, herrschten hier Geist und
Geselligkeit. Schiller, inzwischen 28, gefiel solches Treiben auf
Anhieb. Von Weimar aus ließ er Freund Körner wissen:
"Eine Frau von Lengefeld lebt da mit einer verheirateten und einer
ledigen Tochter. Beide Geschöpfe sind (ohne schön zu
sein) anziehend und gefallen mir. Man findet hier viel
Bekanntschaft mit der neuen Literatur, Feinheit, Empfindung und
Geist."
Besuchern der Stadt wird in diesem Jahr ein
Rundgang auf den Spuren Schillers angeboten. Er führt auch zum
einstigen "Komödienhaus auf dem Anger", das zeitweilig von dem
im benachbarten Weimar zu Ruhm und Ehre gekommenen Intendanten
Goethe geleitet wurde. Der Weg führt weiter zur ehemaligen
Glockengießerei, wo Schiller Anregungen für sein "Lied
von der Glocke" erhalten haben soll und natürlich auf Schloss
Heidecksburg, wo der Dichter mit seiner Familie mehrfach zu Gast
war.
Jena
Schillers erster Aufenthalt in Jena datiert
auf Mitte August 1787. Von Weimar aus, wo er knapp vier Wochen
vorher ,von Dresden kommend, eingetroffen war, wollte er nicht nur
der aufkommenden Langeweile und der höfischen Etikette
entfliehen. Mit dem Ausflug in das nur drei Meilen entfernte Jena,
damals ein geistiges Zentrum in Mitteldeutschland, verband er die
Hoffnung, interessante, ihm vielleicht auch nützliche Personen
zu treffen.
Die Rechnung ging auf. Angekommen in Jena,
das ihm ansehnlicher erschien als Weimar, weil "längere Gassen
und höhere Häuser" einen daran erinnern, "dass man doch
wenigstens in einer Stadt ist", stieg er im Hause des
Philosophieprofessors Reinhold, des Schwiegersohns von Christoph
Martin Wieland, ab. Es dauerte nicht lange, und man war beim Thema
der Vorlesungen des Gastgebers, die Kants Philosophie und
schöne Wissenschaften zum Inhalt hatten. Das Praktische der
Begegnung: Reinhold stellte Schiller einen Ruf an die hiesige
Universität in Aussicht.
Im Frühjahr 1789 übersiedelte
Schiller dann ganz nach Jena. Am 26. Mai hielt er im
überfüllten Griesbachschen Hörsaal, dem damals
größten Auditorium, seine Antrittsrede mit dem Titel "Was
heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?".
Erfolg macht neidisch; das bekam auch Schiller zu spüren und
verdüsterte sein Empfinden: "Welcher böse Genius gab mir
ein, hier in Jena mich zu binden!", klagte er am 10. November 1789,
seinem 30. Geburtstag, seiner künftigen Frau Charlotte von
Lengefeld, mit der er am 22. Februar des kommenden Jahres in der
Kirche des eine halbe Stunde Fußweg vom Stadtzentrum
entfernten Wenigenjena getraut wurde.
Weimar
Schiller, der sich auf eins wie in die
Wüste versetzt fühlte, blieb dennoch in der Stadt. Erst
am 3. Dezember 1800 verließ er - von seinem Publikum schon zum
"deutschen Shakespeare" erhoben - Jena in Richtung
Weimar.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs war Jena neben
Nordhausen die am meisten zerstörte Stadt Thüringens. Das
macht das Auffinden authentischer Spuren heute ausnehmend schwer.
Von den fünf Wohnungen, die der Dichter im Laufe seiner zehn
Jenaer Jahre bewohnte, blieben nur das Haus in der
Zwätzengasse 9 und darüber hinaus das museal genutzte
Gartenhaus und das Griesbach'sche Haus übrig.
In Weimar hatte Schiller nach und nach die
Bekanntschaft der "übrigen weimarischen Götter und
Götzendiener" gemacht,- bis auf Goethe, der noch in Italien
weilte. Immerhin feierte er schon dessen Geburtstag am 28. August
1787 an authentischem Ort mit, im - seit langem museal genutzten -
Gartenhaus Goethes, das Knebel während der Abwesenheit seines
Besitzers bewohnte. "Wir fraßen herzhaft, und Goethes
Gesundheit wurde von mir in Rheinwein getrunken. Schwerlich
vermutete er in Italien, dass er mich unter seinen Hausgästen
habe, aber das Schicksal fügt die Dinge gar
wunderbar."
Der Bann brach dann einige Jahre später
(siehe dazu Beitrag auf Seite 5). Schiller nannte die Freundschaft
mit Goethe das "wohltätigste Ereignis meines ganzen Lebens".
Und Goethe sagte: "Ein Glück für mich war es indes, dass
ich Schillern hatte. Denn so verschieden unsere beiderseitigen
Naturen auch waren, so gingen doch unsere Richtungen auf eins,
welches denn unser Verhältnis so innig machte, dass im Grunde
keiner ohne den anderen leben konnte."
Bürgerliche Existenz
Was von Schiller keinesfalls als dauerhafte
Übersiedelung nach Weimar geplant war sondern nur als
längere Reise über Kalbsrieth (zu Charlotte von Kalb) und
Weimar nach Hamburg (wohin er doch nicht reiste), wurde zu einem
Wendepunkt.
Die Doppelstadt Weimar-Jena wurde seine neue
Heimat. Was er neben seinem Drang zu schreiben mitbrachte, waren
Schulden, ein instabiler Gesundheitszustand und die Hoffnung auf
geordnete Verhältnisse. Zunächst noch frei und offen
für "das ganze Weibergeschlecht", sehnte er sich schon bald
"nach einer bürgerlichen und häuslichen Existenz".
Letzteres sollte er in jenem Haus finden, das in der nach ihm
benannten Straße der rund 64.000 Einwohner zählenden
Stadt steht.
Neben dem museal genutzten Schiller-Wohnhaus
fanden zahlreiche andere mit Schiller verbundene Stätten
Aufnahme in das UNESCO-Weltkulturerbe: Goethes Wohnhaus, das
Wittumspalais, die (Anfang September 2004 vom Feuer heimgesuchte)
Herzogin Anna Amalia Bibliothek, die Stadtkirche St. Peter und
Paul, das Herderhaus (nebst altem Gymnasium), die Fürstengruft
und der Historische Friedhof, der Park an der Ilm mit dem
Römischem Haus, Goethes Gartenhaus und Garten, das
Stadtschloss, die Orangerie und der Schlosspark Belvedere, das
Schloss und der Schlosspark Tiefurt sowie Schloss und Park
Ettersburg.
Die Stadt Weimar begeht das Schillerjahr mit
zwei großen Ausstellungen, mehreren Premieren im Deutschen
Nationaltheater und - wie viele andere Thüringer Städte
auch - mit zahllosen kleineren Veranstaltungen und Ausstellungen.
Ein zentraler Festakt zur Schiller-Ehrung in Deutschland findet
Anfang Mai in Weimar statt.
Heinz Stade ist freier Journalist in Erfurt.
Über die Klassikerstätten in Thüringen hat er im
Aufbau-Verlag einen informativen Reiseführer
veröffentlicht.
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