Nanuli Kakauridse
Den Bazillus der Freiheit übertragen auf ein
ganzes Volk
Friedrich Schiller auf dem georgischen
Theater
Schillers Schaffen ragt nicht nur durch seine
künstlerische Größe heraus, sondern auch durch seine
Eigenschaft, immer aktuell und zeitgemäß zu sein. Dank
seiner großen Humanität wurde Schiller auch für
georgische Leser zum Begleiter ihres kulturell-geistigen Lebens. In
seinen Werken entwickelte er die Idee der Freiheit und der
nationalen Einheit. Diese Ideen bewegten auch die georgische Nation
besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Georgien
hatte damals seine Unabhängigkeit verloren; das zaristische
Russland hatte Georgien erobert. Das georgische Volk - so wie auch
andere Völker des russischen Reichs - litt unter der
russischen Unterdrückung.
Eine progressive Jugend hatte in den
60er-Jahren des 19. Jahrhunderts eine neue Denkweise in die
georgische Dichtung eingeführt. Das wichtigste Problem
für Georgien war die Frage seiner nationalen
Unabhängigkeit. In diesem Kampf für die nationale Einheit
und Freiheit spielten die Werke der großen Schriftsteller der
Welt eine große Rolle. Es entstand die Notwendigkeit, die
Meisterwerke der Weltliteratur ins Georgische zu
übersetzen.
Meistens waren es Theaterstücke. Das
hatte zwei Gründe: Einerseits fehlte es an Stücken
einheimischer Autoren, andererseits war das Theater die beste
Möglichkeit zur Propagierung progressiver Ideen. Die
Bühne war das beste Mittel, die georgische Gesellschaft mit
neuen Ideen vertraut zu machen. Damals spielten in Georgien schon
professionelle Theatertruppen, die trotz aller Schwierigkeiten
Stücke der Weltliteratur aufführten Die Gesellschaft war
ungemein aufgeschlossen für das Theater.
Bei der rasch wachsenden Nachfage war
Friedrich Schiller einer der ersten Dramatiker, der mit seinen
Ideen und Gestalten zum Mitkämpfer des georgischen Volkes
gegen den Zarismus wurde. Seinem reichen dramatischen Werk
fühlte sich das Theater eng verbunden. Schiller hatte für
seine Dramen Stoffe und Gestalten gewählt, die von
Verschwörung und Aufstand handelten und Figuren
revolutionären, widerständischen Geistes waren. Schiller
benutzte das Medium der Bühne, um den Zuschauer auf suggestive
Weise in seinen Bann zu ziehen, ihn hinzureißen und ihn zu
beherrschen. Das zaristische Regime versuchte immer, das georgische
Theater zu verdrängen; viele Theaterstücke der
progressiven Dramatiker wurden verboten, darunter auch
Schiller.
Schillers Dramen haben auf der georgischen
Bühne eine große Tradition. Das erste Stück, das ins
Georgische übersetzt wurde, war 1867 "Wilhelm Tell". Es ist
klar, warum der "Tell" und dann etwas später "Die Räuber"
ausgewählt wurden: Unabhängigkeits- und Freiheitsliebe,
die Schiller hier ausdrückt, entsprachen der damaligen
Stimmung im Land. Das Interesse an seinem Schaffen wuchs von Jahr
zu Jahr.
1905 feierte man den 100. Todestag des
großen deutschen Dramatikers. Die Zeitschrift "Nakaduli"
schrieb damals: "Wie kann man den Autor nicht schätzen und
lieben, der uns beim Lesen seiner Werke verzaubert und durch seine
Humanität veredelt. Seine Werke sind Quellen für gute
Bestrebungen, er ist der Prophet der Freiheit." Nach Shakespeare
ist Schiller der Dramatiker, der am häufigsten auf georgischen
Bühnen aufgeführt wurde.
Die längste und interessanteste
Geschichte betrifft "Die Räuber". Wie bekannt, war die
Erstaufführung in Mannheim ein großer Erfolg für den
jungen Dramatiker. Schillers Karl Moor begeisterte viele Herzen, er
weckte in den Menschen den Hass gegen Tyrannei und
Unterdrückung nicht nur in Deutschland, sondern auch in
Georgien. Dort war die junge Generation begeistert von Karl Moors
Ideen, weil Karl gegen die etablierte Ordnung rebellierte. Dieses
revolutionäre Drama mit dem Untertitel "In tiranos"
gehörte noch in der Zeit der Tyrannei zum Spielplan der
georgischen Theater.
Schillers "Räuber" wurden zum ersten Mal
1886 und dann 1889 auf die Bühne gebracht, aber erst die
Aufführung vom Jahr 1893 in Kutaissi weckte besondere
Aufmerksamkeit. Die Rolle von Franz Moor war für den
großen georgischen Regisseur und Schauspieler Lado
Meschischwili ein Triumph. Die Aufführungen der Jugenddramen
Schillers sind mit dem Namen dieses genialen Künstlers eng
verbunden. Die Zeitungen schrieben begeistert, diese Rolle sei der
schöpferische Höhepunkt seiner theatralischen
Tätigkeit.
Ein besonderes Ereignis in der Geschichte der
georgischen Bühne war bald darauf die Darstellung beider
Brüder Moor durch Meschischwili. Da der Darsteller des Karl
Moor bei einer Aufführung wegen der Krankheit fehlte, musste
sich Lado Meschischwili für beide Brüder einsetzen. Dank
seiner Meisterschaft verwandelte er sich von einer Szene zur
anderen, so dass man ihn nicht erkennen konnte. Er hat die
gegensätzlichen Charaktere geschaffen, - ein Schauspieler, auf
den die georgische Gesellschaft stolz sein kann. "Die Räuber"
unter der Regie von Lado Meschischwili wurde ungefähr 100-mal
aufgeführt. In der Gestalt von Karl Moor sah man die
georgischen Volkshelden, die für Freiheit und Gerechtigkeit
kämpften.
Mit dem Namen von Lado Meschischwili ist auch
die Erstaufführung von Schillers "Kabale und Liebe" 1895 in
Kutaissi verbunden. Nach einem Jahr brachte das Theater "Maria
Stuart" auf die Bühne, etwas später das Drama "Don
Carlos". Die Darstellung von "Maria Stuart" entsprach den
politischen Interessen Georgiens gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
Schiller schildert in der Gegenüberstellung von Maria und
Elisabeth die politische Situation seiner Zeit. In seiner
Aufführung drückte das Kutaissier Theater seine Sympathie
für Maria aus.
In der sowjetischen Zeit gehörte
Schillers dramatisches Werk zum festen Repertoire der georgischen
Theater. In den Jahren 1926 - 27 wurde im Rustaweli-Theater
Tbilissi Schillers "Wilhelm Tell" aufgeführt. Das Drama hat
Schiller ein Jahr vor seinem Tode geschrieben. Es war die letzte
Stimme des Autors gegen Despotismus und Tyrannei. In den
30er-Jahren des 20. Jahrhunderts begann man wieder mit neuen
szenischen Darstellungen von Schillers "Die Räuber". Das
bedeutendste Ereignis war die Aufführung des
Rustaweli-Theaters Tiblissi im Jahre 1933.
Diese Aufführung nimmt einen
herausragenden Platz in der Geschichte von Schillers Dramen auf
georgischen Bühnen ein. In dieser Zeit suchte das
Rustaweli-Theather Tiblissi nach eigenen nationalen und
künstlerischen Darstellungsformen. Die Theaterleiter wussten,
dass die großen Menschheitsideen in einem nationalen Rahmen
verwirklicht werden mussten. Der Regisseur des Theaters, S.
Achmeteli, schrieb, besonders Schiller sei den georgischen
Freiheitsideen nah: "Unser Theater entwuchs aus den nationalen
Quellen, aber es muss keine lokale, sondern eine allgemeine
Bedeutung haben."
Dieses Drama hatte in der georgischen
Theater-Geschichte schon eine lange Tradition. Aber Achmeteli hat
das Stück neu durchdacht und dessen kämpferischen Geist
hervorgehoben. Die Aufführung lief unter dem Titel "In
tiranos". Sie zeigte revolutionäres Pathos und politische
Schärfe. Mit dem Titel "In tiranos" protestierte der Regisseur
gegen das damalige Regime. Es war die Zeit, in der hunderte von
Künstlern, Schriftstellern und Wissenschaftlern verhaftet und
von der Sowjetmacht erschossen wurden. Auch S. Achmeteli wurde ein
Opfer des damaligen Regimes.
Die Aufführung bekam weltweite
Rezensionen. Kritiker schrieben, das Rustaweli-Theater habe den
Geist von Schillers Drama am wahrhaftigsten auf der Bühne
dargestellt. Man nannte sie "die inspirierende Sinfonie". Alle
hoben den revolutionären Charakter der Aufführung hervor.
Das Rustaweli-Theater hat das Drama auf Gastspielreisen nach Moskau
mitgenommen. Nach dem thriumphalen Erfolg erhielt es Einladungen
aus New York und Paris, Warschau und London, Rom, Madrid, Prag und
Wien.
Schillers "Kabale und Liebe" ist in Georgien
eines der beliebtesten Theaterstücke. In der Gestalt des
Ferdinand gefällt dem Publikum, dass er geprägt und
begeistert von den Ideen einer Humanitätsphilosophie ist, die
im Menschen zuerst den Menschen sieht, und dass ihn Moral und
Praktiken des Hofes in Politik und Liebe abstoßen. Das Drama
wurde zum ersten Mal 1895 in Kutaissi aufgeführt. Seinen
großen Erfolg hatte es aber in der sowjetischen Zeit. Das
Stück wurde in verschiedenen Städten des Landes, in
Batumi, Gori, Telawi, Sugdidi, Poti, Bordschomi gespielt. Besonders
interessant war die Aufführung aus dem Jahre 1934 am
Mardschanischwili-Theater Tiblissi. Die bekannten georgischen
Schauspieler der damaligen Zeit, W. Andshaparidze (Luise) und P.
Kobachidze (Ferdinand), haben eindrucksvolle Charaktere von Luise
und Ferdinand geschaffen. In der Aufführung spürte man
eine große Harmonie und Energie. Jede Szene begann und endete
mit stürmischem Beifall der Zuschauer.
Zum 150. Todestag Schillers im Jahr 1955 hat
das Mardschanischwili-Theater Tiblissi "Maria Stuart" noch einmal
auf die Bühne gebracht. Die beiden großen Schauspieler
Weriko Andschaparidze (Maria) und Sesilia Takaischwili (Elisabeth)
haben durch ihre hervorragende Schauspielkunst einen tiefen
Eindruck hinterlassen.
In den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts war
der deutsche Regisseur Hermann Wedekind in Georgien tätig.
Unter seiner Leitung hat das Telawi-Theater "Kabale und Liebe"
aufgeführt, - ein wichtiges Theaterereignis. Wedekind
symbolisierte die Freudschaft zwischen Deutschen und Georgiern, er
war Vorsitzender der deutsch-georgischen Gesellschaft, hatte eine
besondere Zuneigung zur georgischen Kultur und veranstaltete
georgische Kulturtage in Deutschland. In Georgien hat er
Theaterstücke und Opern in Tbilissi und Kutaissi inszeniert.
Sein Motto lautete: "Kunst kennt keine Grenzen."
Ende des 20. Jahrhunderts standen auf
georgischen Bühnen mehrere Neuinszenierungen von Schillers
Dramen auf dem Programm: Auf der kleinen Bühne des
Rustaweli-Theaters "Maria Stuart", in Suchumi Schillers "Die
Jungfrau von Orleans".
Das Freiheitspathos des großen deutschen
Dramatikers war für die georgische Gesellschaft immer aktuell.
Schillers Dramen halfen den Regisseuren, die Ideen des Humanismus
und der Demokratie von der Bühne her zu vermitteln.
Die Autorin ist Professorin an der
Germanistischen Abteilung der Universität Kutaissi.
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