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Dirk Klose
Editorial
Das letzte Drittel seines Lebens wurde für den Dichter
zunehmend zur Tortur. Die Schmerzen und Atembeschwerden nahmen
ständig zu, tagelang kam er vor Schwäche nicht aus dem
Bett, mitunter spuckte er Blut. Als er am 9. Mai 1805 starb und
sein Leichnam tags darauf obduziert wurde, schrieb der behandelnde
Arzt voller Teilnahme, man müsse sich wundern, dass "dieser
arme Mensch" überhaupt so lange leben und derart heftige
Schmerzen über eine so lange Zeit aushalten konnte.
Der arme Mensch - Schiller hätte das für sich nicht
gelten lassen. Kürzlich auf der Leipziger Buchmesse gab es
eine lebhafte Autorenrunde, an der auch der Schillerbiograf
Rüdiger Safranski teilnahm. Safranski zog als Fazit aus seiner
intensiven Beschäftigung mit Schiller den Schluss, dieser habe
für sich "Enthusiasmus als Lebensprinzip" gewählt: Der
Dichter habe um seine körperliche Schwäche gewusst, habe
sie aber einfach durch intensive Arbeit und ein darin gefundenes
Glücksgefühl
über das Erreichte überspielt. Möglicherweise
rührt auch daher das für uns heute etwas fremd gewordene
Pathos gerade des Schillerschen Alterswerkes. Wir wissen aus seinen
Briefen und Aufzeichnungen, wie sehr er sich mit manchen seiner
Dramengestalten identifizierte, wie präzise er ihnen seine
Ideale von Freiheit und Gleicheit der Menschen eingab.
Schiller also - ein wenig entstaubt und nüchtern dargeboten
- doch noch unser Zeitgenosse? Die große Verehrung, ja
Begeisterung, die man im 19. Jahrhundert für Schiller hegte,
ist endgültig vorbei; es wirkt inzwischen hohl, wenn man das
Werk für vordergründige Zwecke einzuspannen versucht und
auf das zweifellos vorhandene Pathos des Dichters noch ein weiteres
draufsattelt.
Aber es hat sich auch gezeigt, dass man an dem Werk nicht vorbei
kommt. Es wäre auch verwunderlich. In einer Zeit, in der so
vieles ins Rutschen gerät, in der viele scheinbar
unverrückbare Standpunkte immer weniger zu gelten scheinen,
wäre es geradezu unsinnig, nicht auch auf großer Geister
aus früherer Zeit zurückzugreifen - nicht als
Schutzschild gegen eine zerstörerische Moderne, wohl aber als
Möglichkeit, sich in sorgfältiger Abwägung der
eigenen Positionen zu vergewissern.
Unter diesem Aspekt wurde versucht, diese Ausgabe zum 200.
Todestag Friedrich Schillers zusammenzustellen, zum einen als eine
Ausgabe, die über den Dichter informiert und seine
Aktualität für die Gegenwart aufzeigt, zum anderen aber
auch als eine Gelegenheit, sich stärker über die Person
selbst zu informieren, - über seine Lebensumstände,
über seine Familie und seine Freundschaften. Beim Blick von
außen haben wir neben Russland bewusst ein kleines Land
gewählt, zeigt doch das Beispiel Georgiens, wie brisant
Schiller in einer nach Unabhängigkeit und Freiheit strebenden
Gesellschaft plötzlich sein kann.
In Interviews kommen ferner Vertreter aus Politik, Wissenschaft
und Unterhaltungskunst zu Wort, die durchweg von der
Aktualität des Dichters auch für unsere heutige Zeit
überzeugt sind. Natürlich sollte auch die wohl wichtigste
Zunft, nämlich Regisseure und Theaterintendanten, zu Worte
kommen. Aber merkwürdig, keiner der Leiter der großen
Berliner Sprechbühnen, die sonst so schnell an den
öffentlichen Mikrophonen sind, war zu einem Interview zu
bewegen.
Eine bemerkenswerte Fehlleistung? Der Sachstand in der
Hauptstadt ist (Ende März): Das "Berliner Ensemble", von
seinem Intendanten gerne als Nationaltheater apostrophiert, hat
außer einer verkorksten "Räuber"-Inszenierung nichts zu
bieten; das Deutsche Theater, seit Max Reinhardt wirklich ein
Nationaltheater mit stilbildenden Klassikeraufführungen,
feiert Schiller mit Premieren von Lessings "Minna"" und Goethes
"Clavigo". Wegschauen wird zur Methode. Und bei den jungen und
alten Wilden am Rosa-Luxemburg- und am Lehniner Platz herrscht eh
Schweigen im Walde. Ein trauriges Schauspiel!
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