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Ekkehart Krippendorff
Freiheit - das vollkommenste Kunstwerk
Friedrich Schiller als politischer Denker
für die Gegenwart
Die "Brandfackel der Freiheit" in alle Teile der
Welt zu tragen, hat der amerikanische Präsident George W. Bush
zur größten und herausforderndsten Zukunftsaufgabe seiner
Regierung erklärt. Allen Menschen überall die Freiheit zu
bringen - klingt das nicht auch nach dem Pathos Friedrich
Schillers, dessen 200. Todestages wir in diesem Jahr gedenken? Denn
wenn es ein Wort gibt, das das Zeugnis des Dichters, Dramatikers
und Gesellschaftskritikers Schiller auf einen gemeinsamen Nenner
bringt, dann ist es die Freiheit.
Freiheit" ist auch das, worin der
amerikanische Präsident die Essenz seiner Vision für eine
neue Weltordnung sieht. Vermutlich haben er und seine
Redenschreiber von dem deutschen Dichter des 18.Jahrhunderts nie
etwas gehört - und vermutlich hätte sich auch Schiller in
dieser Freiheit nicht wiedererkannt. Um so wichtiger, darüber
aus gegebenem Anlass nachzudenken! Kann, wer mit Schiller die
Freiheit einklagt, gleichzeitig auf der Seite des amerikanischen
Präsidenten stehen? Stoßen hier nicht zwei einander
ausschließende Verständnisse aufeinander, so dass man
sich entscheiden muss, welche Freiheit man meint und welche
Freiheit man politisch will?
Politisch: Schiller ist der Politischste
unter den großen deutschen Dichtern - und das bedeutet, wenn
das Wort "groß" eine konkrete Bedeutung haben soll, er ist
auch der radikalste. Die Radikalität der Schillerschen
politischen Leidenschaft entzündete sich vor allem an der
fehlgeschlagenen Französischen Revolution, die trotz - oder
eher wegen - der großen Menschenopfer, die der
Gewalttätigkeit ihrer Methoden gebracht worden waren, nicht zu
einer neuen Qualität von Staatlichkeit und Politik
geführt hatte: "Woran liegt es, dass wir noch immer Barbaren
sind?" lautet Schillers Frage.
Seine erste Antwort: "Der Moment war der
günstigste, aber er fand eine verderbte Generation, die ihn
nicht wert war, und weder zu würdigen noch zu benutzen
wusste." Das bezog er auf die Jahre1789 und folgende. Übrigens
war Goethe, dessen noch ausdrücklichere Gegnerschaft zur
Gewalttätigkeit der Revolution meist zu eindimensional gesehen
wird, hier ganz der Meinung seines Freundes Schiller, den er
geradezu wörtlich in "Hermann und Dorothea" zitierte: "Um den
Vorteil der Herrschaft stritt ein verderbtes Geschlecht,
unwürdig, das Gute zu schaffen."
Wir müssen leider Dasselbe sagen
für später sich noch mehrfach ergebende "günstige
Momente" in der deutschen, ja überhaupt in der Weltgeschichte:
1918, als nach dem Ersten Weltkrieg eine allgemeine Abrüstung
und damit ein strukturell friedliches Europa möglich gewesen
wäre; 1945, das Wendejahr 1989 und die ausgebliebene
Friedensdividende - aber dann auch der 11. September in New York,
als der Terroranschlag wehrhaftes Handeln verlangte, aber zugleich
die große Chance bot, über die Ursachen weltweit
akkumulierten Hasses auf westliche Arroganz von Macht und
Herrschaft nachzudenken und neue Methoden weltbürgerlichen,
politisch-ökonomischen Umganges miteinander zu
entwickeln.
Die Frage nach diesem Versagen vor
historischen Möglichkeiten von Umkehr und Neubeginn ist keine
historische, sondern brennend aktuell.
Schillers zweite Antwort gräbt darum
tiefer und ist zu bedenken: Wir sind noch immer Barbaren und
unfähig, die sich immer wieder bietenden Gelegenheiten zu dem
notwendigen radikalen Neubeginn wahrzunehmen, weil "derjenige noch
nicht reif ist zur bürgerlichen Freiheit, dem noch so vieles
zur menschlichen fehlt". Freiheit ist keine formale, keine
juristische, keine verfassungsrechtliche, keine institutionelle
Kategorie - das alles gehört mit Sicherheit auch zu ihr.
Freiheit ist zuerst und zuoberst eine geistig-seelische, eine
ethische Kategorie, und nur als solche ist sie, im ganz
ursprünglichen, griechischen Sinne des Wortes
politisch.
Die Griechen hatten, formuliert von ihren
Dichtern und Philosophen, die Politik er- und gefunden als die
Verwirklichung ethischer Prinzipien in der Gesellschaft. Freiheit
als anthropologische Möglichkeit, als Bewusstseinsbildung, als
Resultat der Arbeit am eigenen Selbst, der Anstrengung einer
"Energie des Muts, die Hindernisse zu bekämpfen, welche sowohl
die Trägheit der Natur als die Feigheit des Herzens der
Belehrung entgegensetzen". In der als ethische Aufgabe verstandenen
Politik der Freiheit ist der Weg das Ziel: "gib der Welt, auf die
du wirkst, die Richtung zum Guten, so wird der ruhige Rhythmus der
Zeit die Entwicklung bringen".
Wer wirken will, muss zuerst mit sich selbst
im Reinen sein, muss selbst frei sein, ehe er anderen Freiheit
bringen kann - und diese Freiheit ist eine geistige, eine "innere"
Kategorie: Der Mensch kann als Mensch frei sein und sei er auch in
Ketten geboren - und er kann Sklave sein, auch ohne Ketten zu
tragen. "Man muss damit anfangen müssen, für die
Verfassung Bürger zu schaffen, ehe man den Bürgern eine
Verfassung geben kann."
Diese Aufgabe aber ist durch "Aufklärung
der Begriffe nicht auszurichten, denn vom Kopf ist noch ein gar
weiter Weg zu dem Herzen" - sie bedarf einer "ästhetischen
Kultur", einer "Charakterbildung", einer "sittlichen Reinigung und
Veredlung der Gefühle" durch die Kunst und die Anstrengung der
Form. Schiller hatte scharfsinnig-sensibel erkannt, dass sich diese
notwendigen Forderungen gegen einen modernen Zeitgeist wenden, der
erst heute erschreckend und zerstörerisch sein wahres Gesicht
zeigt:
"Der Nutzen ist das große Ideal der
Zeit, dem alle Kräfte fronen und alle Talente huldigen sollen.
Auf dieser groben Waage hat das geistige Verdienst der Kunst kein
Gewicht und ... verschwindet vor dem lärmenden Markt des
Jahrhunderts." Trotzdem - und gerade deswegen - sind die Menschen,
denen Freiheit nicht ein anderes Wort für Konsum, sondern
höchste menschliche Leistung ist, herausgefordert, diese
Entwicklung nicht zuzulassen, indem sie sich "mit dem
vollkommensten aller Kunstwerke, mit dem Bau einer wahren
politischen Freiheit beschäftigen".
So weit Schiller in seinen "Ästhetischen
Briefen", diesem politischen Höhenflug der deutschen Klassik;
auch er will "weniger gelobet und fleißiger gelesen", vor
allem aber ernst genommen werden. Und das, was Schiller hier
normativ fordert - Forderungen, die nicht die eines weltfremden
Dichters, sondern eines leidenschaftlich engagierten politischen
Menschen sind, deren Verdrängung ins Reich der Poesie uns so
viele günstigen Momente hat verpassen lassen - ist
offensichtlich das Gegenteil dessen, was man derzeit in Washington
zur Leitidee amerikanischer Weltpolitik zu machen
wünscht.
Darin folgen ihm europäische Politiker
zwar zögernd und mit Unbehagen, aber strategisch ohne eine
andere (vielleicht sogar an Schiller zu orientierende?)
Alternative. Nur sollen sie - oder wenigstens die deutschen, die ja
"ihren Schiller" zu kennen und zu loben vorgeben - es dann offen
eingestehen, dass dieser Weg ihnen zu schwer, zu hoch, zu
anspruchsvoll ist . Aber müssen sie das wirklich? Müssen
Waffen und Krieg immer das letzte Wort sein?"
Professor Ekkehart Krippendorff ist emeritierter
Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Sein
Arbeitsschwerpunkt liegt auf Themen der Internationalen
Beziehungen.
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