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Susanne Kailitz
Aufgekehrt...
Was waren die 80er-Jahre für eine gefährliche Zeit -
und kaum einer hat's bemerkt. In die kollektive Erinnerung ist
hauptsächlich der modische Totalausfall dieses Jahrzehnts
eingegangen: grellfarbige Blazer mit dicken Schulterpolstern,
schreckliche Vokuhila-Frisuren und allgegenwärtige weiße
Tennissocken. Dagegen erscheint das, was von der Politik im
Gedächtnis geblieben ist, allenfalls harmlos: Ein beleibter
Pfälzer zog ins Kanzleramt ein, die Grünen machten
Turnschuhe Plenarsaal-fähig und die Flick-Spendenaffäre
kostete Otto Graf Lambsdorff sein Ministeramt. Doch nun
enthüllt endlich einer, der es wissen muss, dass alles ganz
anders und viel brisanter war.
Nicht kriminelle Energie lenkte die Hände des damaligen
CDU-Generalsekretärs und späteren Bundesinneministers
Manfred Kanther Anfang der 80er-Jahre bei der Transaktion von etwa
20,8 Millionen Mark in die Schweiz - die Sorge um das Vaterland
war's. Weil er einen "spätsozialistischen Generalangriff"
befüchtet habe, sei die Entscheidung gefallen, die Kohle
außer Landes zu schaffen, klärte Kanther dieser Tage auf.
Getrieben von der Sorge, linke Kräfte könnten in ihrem
Kampf gegen die Grundfesten der Republik schließlich
erfolgreich sein, habe er das Geld an einem sicheren Ort gehortet,
um die Kampagnenfähigkeit der Union zu sichern.
Anders als alle anderen hatte Kanther damals die Zeichen der
Zeit erkannt: Die antiamerikanischen Züge der deutschen
Außenpolitik, die Abkehr vom Wiedervereinigungsgedanken, die
Vernachlässigung der inneren Sicherheit und nicht zuletzt die
verheerende Schulpolitik waren ihm untrügliche Indizien
für den drohenden Angriff. Führte nicht gerade ein Lied
mit dem Titel "99 Luftballons" die Hitparaden an? Heute ist klar:
Dabei handelte es sich um eine ganz subversive Methode der Linken,
um gemeinsam mit der DDR-Führung den geplanten Angriff zu
koordinieren. Und die hatte ja auch alle Möglichkeiten -
frisch gestärkt vom Strauß-vermittelten Milliardenkredit
schickte sie sich zur Zersetzung der bundesrepublikanischen
politischen Kultur an. Neben der Fähigkeit, die aktuelle Lage
zu durchschauen und Lösungen für künftige Probleme
zu entwickeln, sticht die prophetische Gabe Kanthers ins Auge: Als
andere noch an Honeckers Vorhersage glaubten, den Sozialismus in
seinem Lauf halte weder Ochs noch Esel auf, war dem schneidigen
Juristen schon klar, dass der Sozialismus in seine Spätphase
eingetreten war. Und da letzte Kämpfe mit be- sonderer
Härte geführt werden, tat entschlossenes Handeln not.
Dass der Generalangriff dann gar nicht stattfand und das Geld -
geschmacklos als jüdische Vermächtnisse deklariert -
zurückgeholt werden musste, ist zwar dumm gelaufen, für
Kanther aber kein Grund zur Aufregung und erst recht kein Anlass,
die Justiz zu bemühen. Und in der Tat: Im Strafgesetzbuch
findet sich kein Paragraf, der Dummheit oder Dreistigkeit
verbietet. Leider.
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