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Karl-Otto Sattler
Straßburger Damoklesschwert schwebt
über Finanzminister
Nach Alteigentümerurteil neue Entscheidung
zu Neubauern-Erben
Der erste Kelch ging an Hans Eichel
vorüber: Der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte entschied, dass die Erben der zwischen 1945 und 1949
in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) enteigneten 7.000
Großgrundbesitzer keinen Anspruch auf Rückgabe dieses
Besitzes haben. Zahlungen von schätzungsweise bis zu zehn
Milliarden Euro bleiben Eichel erspart. Doch in Straßburg
schwebt über dem Finanzminister ein anderes Damoklesschwert:
Entschädigungen in Milliardenhöhe könnten
fällig werden, wenn jetzt auch die Erben der sogenannten
"Neubauern" entschädigt werden müssten.
Den "Neubauern" waren nach 1945 die
östlich der Elbe konfiszierten Ländereien der "Junker"
zugeteilt worden. Zahlungen in Milliardenhöhe würden
fällig, sofern die Europarats-Richter jetzt zugunsten der nach
der Wiedervereinigung enteigneten Erben dieser "Neubauern" votieren
sollten.
In erster Instanz haben diese Kläger in
Straßburg bereits gewonnen. Ein weiteres Urteil wird bis zum
Sommer erwartet. Innerdeutsche historische Rechtsstreitigkeiten von
politischer Brisanz werden also zuletzt von einem internationalen
Gerichtshof entschieden - was durchaus eine pikante Note hat.
Juristisch werden die "rote Enteignung" in der Nachkriegszeit und
die "schwarze Enteignung" in den Neunzigern, die auf einem unter
CDU-Kanzler Helmut Kohl verabschiedeten Gesetz beruht, in
Straßburg getrennt behandelt. Gleichwohl hängen die Dinge
natürlich zusammen, schließlich wurden die unter der
Parole "Junkerland in Bauernhand" konfiszierten Äcker und
Wälder der Großgrundbesitzer Vertriebenen und kleinen
Landwirten als Neubauern zugeteilt - deren Land dann in der DDR
meist in Genossenschaften bewirtschaftet wurde. Die bereits etwas
betagten Erben der Neubauern haben die Mechanismen der
Mediengesellschaft gelernt: Bei den Verhandlungen in Straßburg
reckten sie vor dem Gerichtshof Plakate mit dem Slogan "Keine
entschädigungslose Enteignung von Bodenreform-Erben" vor allem
wegen der vielen TV-Kameras in die Höhe.
Hans Eichel und den ostdeutschen
Finanzministern war im Januar 2004 der Schreck in die Glieder
gefahren: Entgegen den Erwartungen befand eine Kammer der
Europarats-Richter, dass die entschädigungslos enteigneten
Erben von Neubauern Anspruch auf staatliche Ausgleichszahlungen
haben. Erfolgreich geklagt gegen diese 1992 vom Bundestag
beschlossenen und später vom Karlsruher Verfassungsgericht
gebilligten Konfiszierungen hatten fünf Betroffene. Insgesamt
sollen jedoch um 700.00 Einzelfälle davon betroffen sein -
anders ausgedrückt sind rund 100.000 Hektar Land strittig.
Nach dem Vermögensrechtsänderungsgesetz von 1992 hatten
jene Neubauern-Erben, die ihrerseits nicht in der Land- und
Fortwirtschaft tätig waren, die Grundstücke
entschädigungslos an den Staat abzutreten. Freilich war im
März 1990 zu Wendezeiten unter DDR-Ministerpräsident Hans
Modrow ein Gesetz verabschiedet worden, nach dem das sogenannte
Bodenreformland der Nachkriegszeit juristisch endgültig als
vollwertiges Eigentum der neuen Besitzer eingestuft wurde - und
damit ohne Einschränkung vererbt werden konnte.
Die Europarats-Richter argumentierten in
ihrem aufsehenerregenden Urteil, der Bundestag habe nach der
Wiedervereinigung zwar die Enteignung von Neubauern-Land
verfügen dürfen. Eine entschädigungslose
Konfiszierung widerspreche jedoch der in der Menschenrechtscharta
des Europarats verankerten Eigentumsgarantie. Über die
Höhe des im Einzelfall vom Staat zu leistenden Ausgleichs
wurden in der Straßburger Entscheidung keine konkreten Angaben
gemacht. Schätzungen gehen von Beiträgen zwischen einer
und drei Milliarden Euro aus. Angesichts der rechtlichen
Grundsatzfragen und der massiven finanziellen Konsequenzen des
Urteils legte Berlin Widerspruch ein. Nun brütet die
Große Kammer des Gerichtshofs unter Präsident Luzius
Wildhaber (Schweiz) persönlich über dem heiklen Dossier.
Die Bundesregierung argumentiert, zu DDR-Zeiten sei Bodenreformland
wieder an den Staat zurückgefallen, wenn es nicht mehr
landwirtschaftlich genutzt worden sei. Aus Sicht Berlins sind die
Folgen des Modrow-Gesetzes vom März 1990, das alle
Grundstücke diese Art unter das volle Eigentums- und
Vererbungsrecht gestellt hat, teilweise inakzeptabel: Wer nicht im
Agrarsektor beruflich tätig war, sei als Erbe entgegen der
früheren DDR-Praxis zufällig, versehentlich und damit
unrechtmäßig zu Vermögen gelangt. Im Namen der
Bundesregierung deklinierte Jochen Frowein, Ex-Direktor des
Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches
Recht, bei der letzten Verhandlung in Straßburg diesen
Standpunkt in allen juristischen Details durch.
Beate Grün, Anwältin der
Kläger, hält mit ihrer Interpretation des DDR-Rechts
dagegen: Schon vor dem Modrow-Gesetz habe für Bodenreformland
das Erbrecht gegolten, ein solcher Besitz dürfe mithin nicht
ohne Entschädigung eingezogen werden. Kollege Thorsten Purps
wirft der deutschen Regierung vor, 70.000 betroffene Erben
"kollektiv zu kriminalisieren", weil sie im Nachgang des
Modrow-Gesetzes Vermögen angeblich illegitim erworben
hätten: "Dazu sage ich nein, nein und nochmals nein." Mit der
"J'accuse"-Attitüde ritt Grün bei der Verhandlung in
Straßburg deftige Attacken. Die entschädigungslose
Konfiszierung stelle "krassestes Unrecht" dar: "Der Staat
verhält sich wie ein Räuber, der seine Beute versteckt
und verteidigt." Die Argumentation Berlins sei ein "Konglomerat aus
Erdichtungen, Erfindungen und Verrrenkungen", empört sich die
Anwältin, "Hauptsache, die Kasse stimmt".
Sollten die Neubauern-Erben in Straßburg
auch in zweiter Instanz siegen, würden sich neue brisante
Fragen stellen: Wer müsste die Entschädigungen an die
Betroffenen überweisen? Die Bundesregierung, weil die
Enteignungen auf einem Bundesgesetz von 1992 beruhen? Oder die
neuen Länder, die gratis in den Besitz der Grundstücke
gelangt sind? Politischer Streit wäre auf jeden Fall
programmiert.
(AZ beim Menschenrechtsgerichtshof: 46720/99,
72203/01 und 72552/01)
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