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Elizabeth Reiche
"Die einen laden dich zum Kuchen ein, die anderen
jagen den Hund nach"
Andreas Voll ist Rosenheims jüngster
Stadtrat: Er sieht sich als Teamplayer, der Weichen
stellt
Wenn ihre Freunde auf Partys gehen, sitzen sie noch in
irgendeinem Gremium oder im Ortsverein. Jede freie Minute widmen
sie ihrer Organisation, ihrer Partei, setzen sich für ihre
Überzeugungen ein. Der Weg ist lang. Ehrgeizige Talente gibt
es in allen Parteien und Nichtregierungsorganisationen - trotz
aller Nachwuchssorgen. "Das Parlament" stellt einige Jungpolitiker
und Aktivisten vor:
Erst wischt er mit der linken Hand energisch zur Seite, was ihm
nicht in den Kram passt. Dann teilt er mit der Rechten eine
imaginäre Linie auf dem Tisch in gleichmäßige
Abstände: Erst muss dies getan werden, dann steht jenes an und
schließlich das. Andreas Voll ist viel beschäftigt. Erst
vor kurzem hat er seine Diplomarbeit abgegeben, kommt gerade nur
übers Wochenende nach Rosenheim vom Praktikum in
Frankfurt/Main angereist. Den Stress der letzten Wochen, in denen
der 23-Jährige zwischen Frankfurt, der Uni in München,
Familie und Rathaus in Rosenheim gependelt ist, merkt man dem
schmalen, fast hageren Jungpolitiker dennoch kaum an. Rosenheims
jüngster Stadtrat spricht fast druckreif. Seine politischen
Überzeugung formuliert er prägnant.
Wer so viele Pläne für die Zukunft hat, braucht einen
langen Atem. Den musste der angehende Volkswirt bislang weniger
unter Beweis stellen, ging es doch in seiner politischen Laufbahn
Schlag auf Schlag. Noch vor dem Abitur im oberbayerischen Rosenheim
wurde der damalige Schüler zum Kreisgeschäftsführer
der Jungen Union gewählt, wenig später übernahm er
den Vorsitz. Unter ihm stieg die JU zur mitgliederstärksten
Jugendfraktion seit langem auf.
"Der Andi", stets korrekt gekleidet, macht nicht nur
äußerlich das Bild des jungen, aufstrebenden
Politikernachwuchses perfekt. Er kann gut reden, wirkt bescheiden
und gleichzeitig bestimmt. Er drängt sich nicht nach
Ellenbogenmanier in den Vordergrund, lässt sich aber auch von
anderen nicht weg drängen. Die Nähe zu denjenigen,
für die er politisch aktiv ist, ist ihm schon immer das
Wichtigste: "Am Abend zusammen zu sitzen und ratschen, nebenbei
über die Belange der Stadt zu diskutieren", beschreibt Andreas
in bayerisch gefärbtem Hochdeutsch die Art zu arbeiten.
Der Sitz im Stadtrat war für den damaligen Abiturienten
kein Zufall, sondern ein Ziel. Er wollte was erreichen, die
Regionalpolitik mitgestalten. "Für den Wahlkampf haben wir
alles gegeben", sagt der Jungpolitiker, der öfter mal "wir"
sagt, wenn er die Junge Union meint. Und erzählt, wie er und
seine Truppe "in der ganzen Stadt Türhänger verteilt
haben, um für die JU-Kandidaten zu werben". Noch heute
schüttelt er ungläubig, aber stolz den Kopf darüber,
wenn er erzählt, wie er nachts durch Rosenheim fuhr und an
jeder Tür die Schildchen baumelten; wie er sich an die
Stammtische setzte, um sich nicht nur der jüngeren Generation
zu präsentieren, sondern ein offenes Ohr für alle zu
haben. Oder wie er 1.600 Haushalte "abgeklingelt" hat und sich als
Bewerber für den Stadtratssitz vorstellte: "Da stehst du wie
ein Versicherungsvertreter mit deiner Broschüre in der Hand
vor wildfremden Leuten. Die einen laden dich zum Kuchen ein, die
anderen jagen dir den Hund nach."
Frisch ins Rathaus eingezogen, will sich der ambitionierte
Jungpolitiker nicht mit Kultur- und Sozialthemen zufrieden geben.
Er will in den Haupt- und Verkehrsausschuss. Will dort sein, wo
sich was bewegen lässt. Eine erste Niederlage muss er dabei
wegstecken: Für den Hauptausschuss hält den damals
20-Jährigen die alteingesessene Ägide noch für zu
unerfahren. Beim Verkehr dagegen kann er sich profilieren. Er setzt
sich für familienfreundlichen Stadtverkehr ein, ist an der
Planung eines großen Straßenbauprojekts beteiligt. Sein
Amt stärkt das Gespür für Diplomatie, ein Wort, das
öfter fällt. "Die Politik im Stadtrat ist gelebte
Diplomatie", sagt er zum Beispiel. Manchmal klingt Andreas Voll wie
ein alteingesessener Politprofi. Aber man nimmt ihm ab, dass er das
nicht nur so dahin sagt. "Auch in einer einheitlichen Fraktion
tritt jeder für seine Partikularinteressen ein. Man muss allen
gerecht werden, darf aber dabei nicht aus den Augen lassen, dass es
um die Stadtbewohner geht", resümiert er.
Die Kompromissfindung nach einer hitzigen Debatte ist für
ihn der spannendste Teil an der Politik. Selbst für Spannungen
zu sorgen, lässt ihn aber eher kalt. Ob er sich für mehr
Freizeitmöglichkeiten für 17- bis 25-Jährige
einsetzt oder die Privatisierung städtischer Dienste fordert -
nicht immer tut er dies im Sinne der Großpartei. Er sagt
über sich, dass er sich nicht beeinflussen lässt, sich
selbst treu bleiben will.
Die bisherigen drei Jahre als Stadtrat haben den Noch-Studenten
geprägt. Als Mitglied im Aufsichtsrat eines regionalen
Technologieunternehmens sammelte er praktische Erfahrung an der
Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft. "Wenn man von einem
keine Ahnung hat, kann man nicht das andere machen", ist er
überzeugt. Im Allgemeinen beschäftigt ihn die
Wirtschaftspolitik, im Besonderen die Ökonomie im Betrieb.
"Ich will sehen, wie eine Unternehmensberatung oder eine Bank
arbeiten", sagt Voll, der sich auf sein zukünftiges
Berufsleben freut und sein politisches Amt weiterhin ausfüllen
möchte. "Als Vorsitzender oder als Stadtrat bist du nicht
irgendwie dort hingekommen. Du bist ein Teamplayer, der motivieren
kann, auf der anderen Seite ein Weichensteller, der den
Überblick behält."
Den braucht der Netzwerker, der seine Schritte ins Arbeitsleben
nicht unabhängig vom Alltag in der Politik machen will. Er
sammelt auf beiden Feldern Informationen, knüpft Kontakte. Er
glaubt, dass das nicht nur zum eigenen Vorteil ist, und jetzt
schon, so sagt er, dankt man es ihm, dem Jüngsten im Rathaus,
mit Rückendeckung - auch wenn es manchmal noch mehr
Verständnis für seine momentane Rolle als
Examenskandidat, Praktikant und Regionalpolitiker geben
könnte. Schließlich zähle, seufzt Voll, die
Präsenz bisweilen mehr als die Kompetenz. In Zukunft will er
mit beidem glänzen.
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