|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Claudia Heine
Aktenwälzen live im Fernsehen
14. Sitzung des
Visa-Untersuchungsausschusses
Die historische Entscheidung fiel nach 15 Stunden Verhandlung um
zwei Uhr in der Nacht: Erstmals in der Parlamentsgeschichte der
Bundesrepublik werden Verhandlungen aus einem
Untersuchungsausschuss des Bundestages live übertragen. Darauf
verständigten sich die Ausschussmitglieder in der Nacht von
Donnerstag auf Freitag der vergangenen Woche. Gedacht ist dabei
zunächst an die Zeugenvernehmung des ehemaligen
Staatssekretärs im Auswärtigen Amt (AA) Ludger Volmer am
21. April, an die Vernehmung von Außenminister Joseph Fischer
und an die Anhörung des ehemaligen Staatssekretärs und
heutigen UN-Botschafters Gunter Pleuger. Voraussetzung für
solche Übertragungen ist aber das Einverständnis der
Zeugen; Fischer hatte bereits seine Zustimmung signalisiert. Der
Ausschussvorsitzende Hans-Peter Uhl (CSU) erklärte nach der
Entscheidung, das Gremium wolle die Befragung weiterer Zeugen im
Fernsehen übertragen lassen, soweit diese Minister,
Staatsminister oder Staatssekretäre sind. Namen seien noch
nicht benannt worden.
Mit der Anhörung der Zeugen hatte der
Visa-Untersuchungsausschuss bereits um zehn Uhr des vergangenen
Donnerstags begonnen. Geladen waren Beamte des Auswärtigen
Amtes, die an der Entstehung von umstrittenen Erlassen zur
Visapraxis der Jahre 1999 bis 2000 mitgewirkt hatten, wie Stephan
Grabherr zum Beispiel. Die Ausschussmitglieder von Union und FDP
ließen nicht locker. Immer wieder wollten sie auf einen Punkt
hinaus: Von wem stammt der Satz, um den sich alles dreht? Wer hat
die Formulierung "im Zweifel für die Reisefreiheit" in den
umstrittenen Volmer-Erlass vom März 2000 geschrieben? Doch
Grabherr musste sie enttäuschen. Auch nach fast
sechsstündiger Vernehmung konnte der ehemalige
Grundsatzreferent für Ausländerrecht in der
Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes (AA) die Frage nicht
beantworten. In dieser Funktion war er in den Jahren 1999 bis 2000
an jenen drei Erlassen des AA maßgeblich beteiligt gewesen,
die die Oppositionsparteien im Bundestag als ursächlich
für die Missstände an deutschen Botschaften bis 2003
bezeichnen.
Im Mittelpunkt der Sitzung standen zwei Erlasse aus dem Jahr
1999 sowie der Volmer-Erlass. Detailliert schilderte Grabherr die
Entstehung der Erlasse, und wenn er den Wortschöpfer des
Kernsatzes auch nicht benennen konnte, so tat er Union und FDP
zumindest den Gefallen, ihn als "politisches Element" zu
bezeichnen. "Dieser Satz wurde nicht von unserem Referat
vorgeschlagen", unterstrich der Zeuge. Eine solche Deutung kommt
der Opposition entgegen, die der rot-grünen Bundesregierung
unterstellt, mit der Visavergabepraxis jener Jahre eine ideologisch
geprägte Strategie verfolgt zu haben, in der Belange der
inneren Sicherheit nur einen untergeordneten Stellenwert besessen
hätten. Jedoch milderte Grabherr seine Äußerungen
dadurch ab, indem er betonte, mit dem Volmer-Erlass sei keine
"Änderung der Ausländerpolitik" gemeint gewesen "sondern
nur eine Regelung spezieller Verfahrensfragen". Dies sei damals
weder von anderen Schengen-Staaten noch von deutschen Gerichten
kritisiert worden. Der Beamte wies zugleich darauf hin, dass dieser
Grundsatz nur in Ausnahmefällen angewandt werden sollte und
nicht als generelle Anwendungsanleitung bei der Visavergabe
missverstanden werden dürfe. Genau dies vermuten aber CDU/CSU
und FDP. Ihrer Meinung nach hätte die Vorgabe "im Zweifel
für die Reisefreiheit" den Beamten der deutschen
Auslandsvertretungen nur in Ausnahmefällen gestattet, einen
Visumsantrag abzulehnen.
Im Zentrum ihrer Kritik und auch der Ausschusssitzung stand
darüber hinaus das seit 1995 im Visaverfahren angewandte
"Carnet de Touriste", eine Reiseschutzversicherung des ADAC. Mit
dem so genannten Plurez-Erlass vom 15. Oktober 1999 stellte das AA
die Verwendung dieser Reiseschutzpässe auf eine neue
gesetzliche Grundlage. Auch darüber informierte Grabherr, der
heute Kulturrreferent an der Botschaft in Madrid ist. Er betonte,
dass der Erlass "keine allgemeine Regelung für jede Art von
Reiseschutzpässen" bedeutete sondern "speziell auf die
Reiseschutzpässe des ADAC zugeschnitten" war. Außerdem,
so der Beamte, stellte er ein "Minus zu den eigentlichen
Möglichkeiten des Reiseschutzverfahrens im Schengen-Raum dar".
Er begründete dies damit, dass der Erlass "die
persönliche Vorstellung des Antragstellers in der Visastelle
der jeweiligen Botschaft" ausdrücklich vorsah. Dies sei im
damals üblichen Reisebüroverfahren der Schengen-Staaten
eigentlich nicht mehr nötig gewesen. Der Kern des Erlasses sah
vor, dass die Auslandsvertretungen bei Vorlage eines "Carnet de
Touriste" auf Vorlage weiterer Unterlagen, die die Reisekosten oder
Rückkehrbereitschaft des Antragstellers betreffen, verzichten
konnten. Hierin erkannte der Beamte keinen Sicherheitsmangel, da
die Mitarbeiter nach wie vor durch das Mittel der persönlichen
Vorsprache ein geeignetes Instrument zur Prüfung in der Hand
gehabt hätten.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 habe sich
die Sicherheitslage jedoch dramatisch verändert,
erläuterte Martin von Kummer, der im Sommer 2001 sein Amt als
Leiter des Visa-Referates im AA antrat. Von Kummer berichtete im
Anschluss an Grabherr ausführlich über Maßnahmen,
der Visa-Probleme in Kiew zu begegnen. Es sei vor allem um die
Einhaltung des Ausländerrechts gegangen, das ausdrücklich
eine Überprüfung auch der Rückkehrbereitschaft und
des Reisezwecks vorschreibe. Die rechtlichen Voraussetzungen seien
aber in den Visa-Stellen oft nicht eingehalten worden, "das war
korrekturbedürftig", so von Kummer. Es sei im Referat der
Eindruck entstanden, dass sich die Reiseschutzpässe zu einer
Art "Eintrittskarte" für Deutschland entwickelt hätten.
Deshalb sei im Juni 2002 zunächst der Kiewer Botschaft
untersagt worden, weiter mit ihnen zu arbeiten. Im März 2003
erging dann schließlich an alle Auslandsvertretungen weltweit
die Weisung, das Verfahren abzuschaffen. Auch dies sei, wie im
übrigen auch die Erlasse von 1999 und der Volmer-Erlass, in
enger Abstimmung mit dem Bundesinnenministerium geschehen.
Bernd Westphal, von 1996 bis 2000 Chef des Visa-Referates,
verwahrte sich vor dem Gremium jedoch gegen Kritik von
Bundesinnenminister Otto Schily. Dieser hatte damals gravierende
Sicherheitsbedenken an den Visa-Erleichterungen des Jahres 2000
(Volmer-Erlass) geäußert. "Diese Kritik war nicht
berechtigt", sagte Westphal. Er unterstrich, dass sowohl der
ehemalige Außenminister Klaus Kinkel (FDP) sowie sein
Nachfolger Joseph Fischer die Visapolitik unter das Motto gestellt
hätten: "So viel Freiheit wie möglich und so viel
Kontrolle wie nötig."
Zurück zur
Übersicht
|