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Johanna Metz
Einseitiges Gedenken
Kein "Zentrum gegen Vertreibungen"
Etwa elf Millionen Deutsche wurden nach dem
Zweiten Weltkrieg aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien, aus dem
Sudetenland, aus Ungarn, Rumänien oder Jugoslawien vertrieben.
Über zwei Millionen starben, Unzählige wurden Opfer von
Raub oder Vergewaltigung. Immer mehr Werke wie die Erzählung
"Im Krebsgang" von Günter Grass, das Buch von Jörg
Friedrich über den alliierten Luftkrieg, der autobiografische
Roman "Am Beispiel meines Bruders" von Uwe Timm oder die
"Spiegel"-Serie zu Flucht und Vertreibung aus den ehemaligen
Ostgebieten, zeigen, dass es kein Tabu mehr ist, die Traumata der
Deutschen nach 1945 darzustellen.
Zu dieser neuen Offenheit gehört die
Idee des Bundes der Vertreibenen (BdV), mit einem "Zentrum gegen
Vertreibungen" (ZgV) eine nationale Gedenkstätte zu errichten,
die zum einen an das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen,
zum anderen durch Wechselausstellungen an die "Vertreibung anderer
Völker, insbesondere im Europa des 20. Jahrhunderts" erinnern
soll. So legen es zumindest die Stiftungsziele fest. Doch
dürfen deutsche Opfer derart in den Mittelpunkt gerückt
werden angesichts der Millionen Toten, die Hitlers
Rassenvernichtungskrieg in Ostmitteleuropa gefordert
hat?
Micha Brumlik, Direktor des Fritz Bauer
Instituts und Professor für Theorien und Bildung an der
Universität Frankfurt, sagt Nein. Er kommt zu dem Schluss,
dass auf jede Art von Gedenkkultur, die sich allein auf die
deutschen Opfer von Vertreibungen bezieht, unbedingt verzichtet
werden muss. Damit will er das Leid der Deutschen nicht
relativieren oder etwa leugnen. Für ihn steht das Schicksal
der Vertriebenen aber in direktem "Tun-Ergehenszusammenhang" mit
der nationalsozialistischen Vernichtungs- und Umsiedlungspolitik
und der von Hitler betriebenen Ausdehnung des deutschen
Herrschaftsbereiches auf Ost- und Mitteleuropa. Ohne diese
aggressive Politik der Nazis wäre es nicht zu den
Vertreibungen gekommen.
Im Vorhaben des BdV, dem
Vertriebenenschicksal eine eigene Gedenkstätte zu widmen,
vermutet Brumlik daher ein "nationaltherapeutisches Programm der
Hebung der nationalen Selbstachtung". Mehr noch: Er meint, mit dem
Eintreten des Zentrums für die Anerkennung des
jungtürkischen Genozids an den Armeniern (1915/16) werde die
Genozid-Frage zum Hauptthema des Zentrums gemacht, um damit zu
unterstellen, dass die Vertreibung der Deutschen ebenfalls ein
Genozid gewesen sei.
"Geschichtsblindheit"
Dem widerspricht Brumlik vehement. Die
(zweifels ohne auf menschenunwürdige Weise) überladenen
Züge aus den sudetendeutschen Gebieten in Richtung Westen
hätten die Deutschen eben nicht in ein Vernichtungslager oder
in die Gaskammern geführt, sondern in die von den Alliierten
verwalteten Besatzungszonen. Diese "Geschichtsblindheit", so
Brumlik, gipfele in einer offenbar gewollten Konkurrenz mit dem
Gedenken an die Opfer der Shoa.
Wer glaubt, er gewinne durch die Lektüre
des Buches mehr Orientierung oder gar eine schnelle
Argumentationshilfe in diesem schwierigen Diskurs, der wird diese
Streitschrift schnell beiseite legen. Denn so sehr der Titel den
geschichtsinteressierten Leser auch mit vermeintlich
populärwissenschaftlichen Exkursen lockt - wer nicht die
Geduld aufbringt, seitenlange moralphilosophische,
psychoanalytische, pädagogische und entwicklungspsychologische
Ausführungen über einzelne Aspekte und Begrifflichkeiten
zu lesen, wer nicht die Akribie des Wissenschaftlers in sich
trägt, um den ausschweifenden Argumentationssträngen zu
folgen, der ist bei Brumlik grundfalsch.
Wer aber Ausführliches über den
aktuellen Forschungsstand zum Thema Vertreibung und Aussiedlung
erfahren und etwas über den historischen Kontext des
"Jahrhunderts der Vertreibungen" lesen möchte, vom Genozid an
den Armeniern bis hin zum Bürgerkrieg und den Vertreibungen in
Jugoslawien, wer den Schwenk von der Literaturanalyse zur
Traumaforschung schwindelfrei übersteht und eintauchen will in
die Tiefen dieser so differenzierten Debatte, der findet hier eine
eindrucksvolle Zusammenfassung von Thesen, Fakten und
Hintergründen.
Micha Brumlik zu lesen ist anstrengend.
Oberflächlichkeit ist nicht seine Sache. Seine
Schlussfolgerungen kommen nie ohne handfeste Argumentationen daher;
jede Behauptung wird wissenschaftlich begründet und mit
Theorie und Praxis unterfüttert. An der Schärfe seiner
Thesen ändert das nichts. Brumliks Fazit in der Diskussion um
das "Zentrum gegen Vertreibungen": Es komme darauf an, den
"Urzustand alles Unversöhnlichen" dort sein zu lassen, wo er
ist: "nämlich in der Vergangenheit."
Micha Brumlik
Wer Sturm sät.
Die Vertreibung der
Deutschen.
Aufbau-Verlag, Berlin 2005; 300 S., 17,90
Euro
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