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Claudia Heine
Fischer und die Verantwortung
Visa-Untersuchungsauschuss
Nach dieser Wucht an Verantwortungsübernahme und
Fehlereingeständnissen wirkte die Opposition etwas
überrannt. Als Bundesaußenminister Joschka Fischer seine
Eingangsrede nach - wie der Vorsitzende exakt feststellte - zwei
Stunden und 18 Minuten beendet hatte, war die Schuldfrage
eigentlich klar: "Schreiben Sie rein, Fischer ist schuld", regte
der Minister an. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten
nun alle nach Hause gehen können.
Was Fischer dem Visa-Untersuchungsausschuss präsentierte,
war nach allen Regeln der Kunst gestrickt: viel Demut und Reue
wegen der eigenen Fehler, letztlich aber ein selbstbewusstes
Bekenntniss für die seine Politik der vergangenen Jahre. Beim
Fernsehpublikum wirkt diese Strategie, das weiß ein
Medienprofi wie der Außenminister natürlich. Nachdem er
so lange zu den Vorfällen an der Botschaft in Kiew geschwiegen
hatte, musste er nicht nur vor den Mitgliedern des Ausschusses in
die Offensive gehen, sondern auch vor den Fernsehzuschauern.
Es fing mit seinem Vorschlag an, den so genannten
"Volmer-Erlass" in "Fischer-Erlass" umzubenennen, "weil jeder
Erlass Sache des Ministers ist, und in dem Moment, wo ich das
akzeptiere, ist das mein Erlass". Damit hatte das Auswärtige
Amt im März 2000 die Visabestimmungen liberalisiert. Für
die Opposition stellt vor allem die darin enthaltende Formulierung
"im Zweifel für die Reisefreiheit" den Stein des Anstoßes
dar. Sie wirft der rot-grünen Bundesregierung vor, dadurch
massenhaften Visa-Missbrauch begünstigt zu haben und somit
für Zwangsprostitution und Schwarzarbeit in millionenfacher
Weise verantwortlich zu sein. Im Zentrum der Visa-Affäre steht
die Botschaft in Kiew, an der seit 2000 die Zahl der Anträge
sprunghaft anstiegen.
"Dieser Erlass kann niemals der Grund für die Entwicklung
in Kiew gewesen sein", behauptete dagegen Fischer. Vielmehr seien
Instrumente wie die Reiseschutzpässe oder das
Reisebüroverfahren die eigentliche Ursache. Und beides sei
schon von der Vorgänger-Regierung eingeführt worden. "Ich
will da nichts abschieben, sondern mir geht es um
Kontinuitäten", sagte er. Probleme mit Visa-Missbräuchen
hätte es immer gegeben und würde es immer geben, stellte
auch der Vorsitzende Hans-Peter Uhl (CSU) zu Beginn der Sitzung
fest. Zeuge Fischer forderte nun von der Opposition, "nicht mit
zweierlei Maß" zu messen und nicht Regelungen zu kritisieren,
die man unter der Kohl-Regierung für gut befunden
hätte.
Fischer ist Außenpolitiker, weshalb er den Erlass und
allgemein eine liberale Visa-Politik auch vor diesem Hintergrund
verteidigte: "Wir können uns Zonen der Instabilität in
Europa nicht leisten." Und mit Blick auf die Ukraine sagte er: "Die
orange Revolution wäre ohne die Öffnung der Grenzen nicht
möglich gewesen. Dieser Transformationsprozess muss weiter
gehen."
Die Mehrzahl der Ukrainer als Kriminelle darzustellen, die sich
illegal Visa beschafft hätten, sei reine Propaganda,
verteidigte sich der Grünen-Politker. Er sprach von einer
"unsäglichen Skandalisierung" seitens der Union und
bezeichnete insbesondere die Vorwürfe an ihn,
Zwangsprostitution begünstigt zu haben, als "infam" und
"niederträchtig". Zahlen die diese Behauptung belegen
würden, existieren bisher nicht. Die Union glaubt jedoch,
diese bald vorlegen zu können.
Trotz der zeitlichen und regionalen Bögen kam Fischer nicht
drumherum, auf die konkrete Verantwortung des Ministeriums und
seine persönliche einzugehen: "Als Minister kann man sich
nicht rausreden." Zwar habe er schon im Juni 2000 von den Problemen
in Kiew erfahren, sie jedoch zu lange unter falschen
Gesichtspunkten betrachtet. "Ich habe die Lage vor allem als
Personal- und Resourcenproblem gesehen. Da hätte ich mich
früher informieren und eingreifen sollen. Das ist mein
Versäumnis." Als "Hauptproblem", als "größten
Fehler" bezeichnete Fischer in diesem Zusammenhang "das mangelnde
Monitoring" im AA. Nicht nur die Kommunikation von unten nach oben
hätte nicht funktioniert sondern auch die zwischen einzelnen
Fachreferaten nicht. Den Vorwurf von Union und FDP, das eigene
Ministerium nicht im Griff zu haben, wies Fischer empört
zurück. Zu viele Krisen hätte das AA in den vergangenen
Jahren bewältigen müssen, als dass man an einem einzigen
Punkt die Unfähigkeit des Ministeriums beweisen könnte.
Außerdem seien die Mängel längst abgestellt. So habe
man mittlerweile ein Frühwarnsystem installiert, in dessen
Rahmen 40 als kritisch eingestufte Auslandsvertretungen
regelmäßig Berichte nach Berlin senden. Für die
Union reichen solche Bekenntnisse jedoch nicht aus, sie spricht
nach wie vor den Rücktritt des Ministers aus. Fischer jedoch
sagte vor dem Ausschuss, sein Verständnis von Übernahme
politischer Verantwortung bestehe darin, dass sich Missstände
nicht wiederholen könnten.
Versuche von CDU und FDP, die Fehler im Ministerium über
den Minister hinaus zu personalisieren, blieben erfolglos.
Hartnäckig weigerte sich Fischer da mitzuspielen. Entschieden
verteidigte er die Beamten des AA: "Wenn Fehler gemacht wurden,
trage ich die Verantwortung." Wie denn nun genau die
Versäumnisse der Mitarbeiter ausgesehen hätten, war die
Frage. Fischers Antwort: "Ich habe da keine Schuldzuweisungen
vorzunehmen, das ist Sache des Untersuchungsausschusses."
Trotz zahlreicher "mea culpa" des Außenministers: In vielen
Punkten biss die Opposition auf Granit, entweder, weil sich Fischer
in bestimmten Dingen auf Erinnerungslücken berief, oder weil
er rethorisch die Angriffe abschmettern konnte. Dass die Sitzung
letztlich nur Informationen präsentierte, die bekannt sind,
kann man Fischer nicht vorwerfen. Das hieße, die Mechanismen
des Untersuchungsausschusses misszuverstehen. Es ist nun einmal
Sache der Ankläger, eine Strategie zu fahren, die den Zeugen
in die Enge treibt und mit - auch unerwarteten - Dokumenten
konfrontiert, die die Anklage stützen können. Beides
passierte nicht.
Der Minister, die Opposition und die Regierungsfraktionen
zeigten sich zufrieden. Aus Sicht der Union ist ein Rücktritt
Fischers nur konsequent, da seine Ausführungen belegt
hätten, er habe sein Ministerium nicht im Griff. Sie
erwägt eine weitere Vorladung, da sie - wie schon im Vorfeld
der Sitzung kritisiert - wichtige Akten so spät erhalten habe,
dass sie in die Vernehmung vom 25. April nicht hätten
einfließen können. FDP-Obmann Hellmut Königshaus
wertete die Aussagen Fischers als "politisches Geständnis".
SPD und Grüne meinten, die Affäre sei nun eigentlich
beendet. Das wiederum sieht die Opposition anders. Königshaus
frohlockte nach der Sitzung: "Jetzt gehts erst richtig los."
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