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Robert Luchs
Der Terror kann jederzeit losbrechen
In Ägypten steigt das
Konfliktpotenzial
Das Konfliktpotenzial am Nil ist nicht erst in
den vergangenen Monaten gewachsen. Die Jahrzehnte der Stagnation
unter Präsident Hosni Mubarak haben dazu geführt, dass
sich das politische Leben in Ägypten nicht entfalten konnte,
das demokratische Ansätze gebremst wurden und Reformen somit
keine Chancen hatten. Es gibt viele Beispiele in der jüngeren
Geschichte, dass dies auf Dauer nicht gut gehen kann.
Noch bevor im April in einer Straße
gegenüber der Al-Ashar-Moschee in Kairo eine Bombe hochging,
die drei Menschen tötete und 18 verletzte, schien Mubarak
erkannt zu haben, dass er die Daumenschrauben seines
autoritären Regierungsstils würde lockern müssen.
Vor einigen Tagen schlugen die Terroristen, die sich selbst
"Märtyrer-Brigaden" nennen, erneut zu. Bei zwei blutigen
Attentaten auf Urlauberziele in der ägyptischen Hauptstadt
wurden die Terroristen getötet sowie mehrere Opfer, unter
ihnen amerikanische und französische Touristen, schwer
verletzt.
Hinzu kam internationaler Druck, so dass der
seit 1981 regierende Präsident einer Verfassungsänderung
zustimmte, nach der im Herbst mehrere Kandidaten bei der
Präsidentschaftswahl antreten können. Ein Novum unter der
Regentschaft des Nachfolgers des ermordeten
Friedensnobelpreisträgers Anwar-al Sadat. Ursprünglich
war ein Referendum vor der Verfassungsänderung vorgesehen,
doch dann ergriff Mubarak selbst die Initiative. Bereits im Herbst
vergangenen Jahres hatte es Anzeichen für eine gewisse
Lockerung in Ägypten gegeben, als die Oppositionspartei
Al-Ghad zugelassen und deren Führer aus dem Gefängnis
entlassen wurde.
Kurz vor dem Anschlag, der die
Sicherheitsbehör-den in Kairo alarmierte und
Befürchtungen vor einem Einbruch des Tourismus-Booms weckte,
hatte zudem die seit Jahren verbotene Muslim-Bruderschaft erstmals
für eine Beendigung des vor 24 Jahren verhängten
Ausnahmezustandes demonstriert. Versammlungen sind verboten, und
die Meinungsfreiheit ist in Äypten stark reglementiert.
"Falschinformationen" stehen unter Strafe, wobei es Sache der
Behörden ist, festzustellen, was unter diesen Begriff
fällt. Politische Beobachter fragen sich unterdessen, ob der
unter Umständen weichere politische Kurs nicht zu spät
kommt, und der Terror bald wieder öfter und stärker
zuschlägt.
Im vergangenen Oktober wurden bei
Bombenan-schlägen auf mehrere Hotels auf der Sinai-Halbinsel
34 Menschen getötet. Die ägyptischen Behörden
brachten die Anschläge mit der Gewalt zwischen Israelis und
Palästinensern in Verbindung. Spätestens, als die
Nagelbombe auf dem Kairoer Basar hochging, stand fest, dass diese
Interpretation korrigiert werden musste. Die letzten
größeren Angriffe gab es davor vor siebeneinhalb Jahren.
Im September 1997 beschossen zwei Männer mit Sturmgewehren
einen Touristenbus und töteten neun Deutsche und ihren Fahrer.
Einen Monat später wurden bei einem blutigen Angriff auf einen
Pharaonen-Tempel in der Nähe von Luxor 48 Touristen und vier
Ägypter umgebracht.
Es kam zu einem dramatischen Einbruch im
Tourismusgeschäft, das mit Abstand die größte
Devisenquelle des Landes am Nil ist. Nachdem sich die
überwältigende Mehrheit der ägyptischen
Bevölkerung gegen die Terroristen gestellt hatte und viele
Angehörige des "Islamischen Dschihad" und der "Dschamaa
Islamija" verhaftet worden waren, gab es zunächst keine
weiteren Anschläge. Der Terror bedroht nicht nur den
Tourismus, er könnte auch dazu führen, dass Hosni Mubarak
den Ausnahmezustand verlängert und seinen autoritären
Regierungsstil fortsetzt. Terroristen, sagte der als Sprecher der
Muslimbruderschaft geltende Montassar al Siad, nützten zum
jetzigen Zeitpunkt vor allem dem Regime.
Die immer wiederkehrenden Anschläge
zeigen, wie oberflächlich die politische Stabilität ist,
auch wenn das strenge Regiment der Geheimdienste einen ganz anderen
Eindruck erweckt. Dass es unter der Oberfläche gärt, ist
ganz wesentlich auf die soziale Lage und die zunehmenden
wirtschaftlichen Schwierigkeiten zurückzuführen. Obwohl
Ägypten seit Jahrzehnten vom Westen mit Geldern nur so
überschwemmt worden ist, um es als ausgleichenden Faktor zu
Israel bei Laune zu halten, hat sich die wirtschaftliche Lage in
den vergangenen Jahren nur noch weiter verschlechtert. Das
bedeutetet einen Nährboden nicht für Unzufriedenheit und
wachsende Wut unter der Bevölkerung, sondern auch für
künftige terroristische Aktivitäten.
Jeder fünfte Ägypter ist ohne
Arbeit, eben so viele können sich im täglichen
Existenzkampf gerade so über Wasser halten. Es ist nicht zu
erkennen, wo westliche Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe
an-kommt und was mit ihr geschieht. Deutschland als eines der
größten Geberländer drängt seit Jahren auf
Reformen, die 70 Millionen Einwohner zugute kommen. Dass Kapital
ins Ausland fließt und der Bevölkerung von korrupten
Politikern entzogen wird, ist ein Kairo eine offenes Geheimnis.
Landeskenner befürchten eine weitere Zuspitzung der Situation
und damit der gesellschaftlichen Gegensätze.
Islamisten, Linke und Liberale hatten im
vergange-nen Jahr in Kairo eine Kampagne für eine Direktwahl
des Präsidenten gestartet. Einer ihrer Slogans lautete dabei
"Kifaja" (Es ist genug), was sich auf die lange Amtszeit Hosni
Mubaraks bezieht, der in diesem Jahr sein 78. Lebensjahr vollendet.
"Wir hatten gedacht, es werde mehr Widerstand von oben geben",
sagte damals ein Mitglied der "Kifaja"-Bewegung zum Verlauf der
Kampagne.
Die Mehrheit im Parlament stellen die
Abgeordne-ten der Nationaldemokratischen Partei (NDP) von
Präsident Mubarak. Bisher haben sich drei Oppositionelle
bereit erklärt, gegen Mubarak zu kandidieren: Die
Frauenrechtlerin Nawal al-Saadawi, der wegen seiner
regimekritischen Äußerungen zeitweise inhaftierte
Saadeddin Ibrahim und der frühere Parlamentsabgeordnete
Mohammed Farid Hassanein. Der Vorsitzende der im Parlament
vertretenen neuen liberalen Partei Al-Ghad, Eiman Nur, wurde nach
einigen Monaten in Untersuchungshaft wieder freigelassen. Ihm war
vorgeworfen worden, beim Antrag auf Zulassung seiner Partei Papiere
gefälscht zu haben. Menschenrechtsorganisationen sprachen
jedoch von einer politisch moti-vierten Festnahme, mit der der
Politiker eingeschüchtert werden sollte.
Mubaraks größte Verdienste liegen
zweifellos in der Außenpolitik. Bewegten sich die Spannungen
zwischen Israelis und Palästinensern einmal wieder auf den
Höhepunkt zu, trat der ehemalige Oberbefehlshaber der
Luftwaffe erfolgreich als Schlichter auf. Bereits 1979 hatte er in
Washington als Vizepräsident die schwierigen
Friedenverhandlungen mit dem israelischen Kriegshelden Mosche Dajan
geleitet. Ohne Mubaraks diplomatisches Geschick wäre der
später in Camp David unterzeichnete Friedensvertrag wohl nicht
zustande gekommen. Der Frieden mit Israel blieb allerdings wegen
der sich immer wieder hochschaukelnden Krisen im Nahen Osten bis
heute eher unterkühlt.
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