Barbara von der Lühe
Hoffnung auf eine neue Gesellschaft unter rotem
Banner
Jüdischer Widerstand in Berlin - die
"Gruppe Baum"
Gestorben, gestorben, gestorben muss sein", hatte Herbert Baum
zu Silvester 1941/42 gesungen. Zu diesem Zeitpunkt waren er und
seine Freunde bereits zur Deportation vorgesehen. Ihnen ist dieses
Buch gewidmet, das den Leser nicht mehr loslässt, so
unmittelbar und zugleich informativ ist die Spurensuche der
Berliner Historikerin Regina Scheer. Es sind Spuren der Lebenswege
von 28 meist sehr jungen Leuten, deren Namen in einen schwarzen
Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee
gemeißelt sind.
Die bekanntesten sind Herbert und Marianne Baum. Die
"Baum-Gruppe" war besonders in der DDR, aber auch in der
Bundesrepublik ein Begriff. Unter der Nazidiktatur als Juden und
Kommunisten zweifach geächtet, wagten sie und ihre Freunde
Protest und Widerstand gegen das Regime. Sie hofften auf einen
revolutionären Kampf gegen Hitler und auf ein politisches
System wie in der Sowjetunion, das ihnen als Juden ein friedliches
und gerechtes Leben in Gleichberechtigung ermöglichen
sollte.
Anschlag auf NS-Schau
Ein fast folgenloser Brandanschlag auf die Ausstellung "Das
Sowjetparadies" im Berliner Lustgarten am 18. Mai 1942 wurde sowohl
den direkt als auch den nur mittelbar Beteiligten und sogar engsten
Familienangehörigen zum Verhängnis. Von 1942 bis 1943
wurden sie nach einer akribischen Hetzjagd gefangen genommen, zum
Tode verurteilt und hingerichtet; andere starben 1944 in
Konzentrationslagern.
Dass in Weißensee nicht alle Mitglieder der
Widerstandsgruppe um Herbert Baum genannt werden und dass einige
Namen seit der Aufstellung des Gedenksteins 1951 ausgewechselt
wurden, gehört zur deutsch-deutschen Erinnerungskultur und den
dazugehörigen Ritualen vor und nach der Wiedervereinigung.
In der Bundesrepublik sträubte man sich lange, den
kommunistischen Widerstand gegen das Nazi-Regime überhaupt zu
würdigen. Regina Scheer gelingt es eindrucksvoll, aus
Zeitzeugen-Interviews, zahlreichen Briefen, Verhörprotokollen
sowie Material der DDR-Sicherheits-Organe das Geschehen um diesen
Anschlag zu rekonstruieren.
Im Mittelpunkt stehen die Schicksale der einzelnen Menschen,
ihre Haltung zum Judentum, ihr Weg zum Kommunismus und
schließlich in den Widerstand. Ausführlich stellt die
Autorin die Freundes- und Liebesbeziehungen der überwiegend
20- bis 30-jährigen Gruppenmitglieder dar. Dieser für ein
so politisches Thema eher ungewöhnliche Blickwinkel erlaubt
es, die vielschichtigen Handlungsmotive erklärbar zu machen,
selbst die Taten des oder der vermutlichen Denunzianten, die so
vielen den Tod brachten.
Den Widersprüchen, die in den verschiedenen
Quellenmaterialien offenbar werden, geht Regina Scheer intensiv
nach, einige "Heldenbilder" werden zurechtgerückt. Nicht ohne
Bitterkeit registriert die Autorin die Wechselfälle des
offiziellen Umgangs in der DDR mit der NS-Zeit. So wurden die
wenigen Überlebenden der Baum-Gruppe während der
antisemitischen Säuberungen in Osteuropa Ende der 40er- Jahre
als Juden und Verräter denunziert und wiederum verfolgt. Ende
der 60er-Jahre wurden sie Helden des antifaschistischen
Widerstands; freilich wurde ihre jüdische Herkunft meist
verschwiegen.
Regina Scheer rekonstruiert diese Vorgänge aus vielen
Aussagen, die sich in ehemaligen DDR-Archiven fanden. Sie
reflektiert auch ihre eigene Betroffenheit angesichts der
historischen Ereignisse, die in ihren langjährigen Recherchen
immer deutlicher wurden. Ein Mitglied der Widerstandsgruppe kam ihr
dabei besonders nahe: Edith Fraenkel, die wahrscheinlich 1944 im
Alter von 22 Jahren in Auschwitz ermordet wurde. Mit dem
früherem Verlobten führte sie intensive Gespräche,
er wurde zu einer wichtigen Bezugsperson. Das heutige Berlin wird
zur Folie der Ereignisse, die 60 Jahre zurückliegen.
Überall finden sich im Stadtbild Spuren - auf Straßen, in
Gebäuden, in Ruinen. Schließlich nimmt sie Abschied:
"Edith Fraenkels Geschichte ist aufgeschrieben. Ich muss
aufhören, nach Spuren zu suchen." Für den Leser
fängt die Erinnerungsarbeit jetzt erst an.
Regina Scheer
Im Schatten der Sterne.
Eine jüdische Widerstandsgruppe.
Aufbau Verlag, Berlin 2004; 478 S., 24,90 Euro
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