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Ines Gollnick
Die Liberalen positionieren sich für die
Bundestagswahl
Bericht vom FDP-Parteitag vom 5. bis 7. Mai in
Köln
662 Delegierte erlebten auf ihrem
Bundesparteitag in Köln eine kämpferisch
überzeugende, personell erneuerte und inhaltlich breit
aufgestellte FDP. Der Parteitag stand ganz im Zeichen der Wahlen in
Nordrhein-Westfalen am 22. Mai. Die FDP hat auf der
dreitägigen Zusammenkunft deutlich gemacht: Nicht nur der
Regierungswechsel in NRW ist ihr Ziel, auch für die
Regierungsverantwortung in Berlin sieht sich die Partei bestens
gerüstet. Der alte Parteichef ist erwartungsgemäß
auch der neue.
Mit 80,1 Prozent der abgegebenen Stimmen
erhielt Guido Westerwelle bei 90 Nein-Stimmen kein berauschendes,
aber ein respektables Ergebnis, das ihn für weitere zwei Jahre
im Amt bestätigt. Mit viel Rückenwind startet Dirk
Niebel, der neue Generalsekretär. Die Delegierten wählten
den arbeitsmarktpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion mit
92,4 Prozent. Mit nur noch 60 Prozent der Stimmen nimmt die
ausgeschiedene Generalsekretärin Cornelia Pieper im
Bundesvorstand Platz. Ein frisches, unverbrauchtes Gesicht sitzt
nach den Wahlen mit Philipp Rösler auf dem Podium. Fast 95
Prozent der Delegiertenstimmen kann der 31-jährige
FDP-Fraktionsvorsitzende im niedersächsischen Landtag auf sich
vereinen.
Die Dramaturgie der Parteitagsregisseure ist
wohl durchdacht. Bevor Guido Westerwelle fast eineinhalb Stunden
mit Rot-Grün abrechnet, stimmt der Rheinland-Pfälzer
Rainer Brüderle, stellvertretender Bundesvorsitzender, den
Saal mit einer ungewohnt vehementen Begrüßung ein.
Anschließend richtet der nordrhein-westfälische
Landesvorsitzende Andreas Pinkwart, ein Grußwort an die
Delegierten, das ihnen Mut zu einer liberaleren Zukunft machen soll
- den Wahltermin fest im Blick. Gleich zum Auftakt noch vor den
Reden von Guido Westerwelle, Wolfgang Gerhardt und Dirk Niebel
werde unmissverständlich kund getan: Es geht heute um Aufbruch
und Reformbereitschaft und zwar mit dem Anspruch, dass diese
Vokabeln auch wieder substanziell mit Inhalt gefüllt
werden.
Wenn sich der Parteivorsitzende auf eines
verlassen kann, dann auf die Wirkung seiner Reden. Mit dem
rhetorischen Pfund kann er wuchern. Das weiß Westerwelle. Er
beginnt leise, fast staatstragend, um dann die Phonzahl zu
steigern. "Nicht der Regierungswechsel ist das Ziel. Der
Regierungswechsel ist Mittel zum Zweck. Wir wollen Deutschland eine
neue Richtung geben, das Denken verändern. Dafür wollen
wir antreten." Er ist davon überzeugt, dass die politischen
Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre nicht handwerkliches
Unvermögen, sondern Ausdruck einer falschen Geisteshaltung
sind. "Zu lange wurde in Deutschland der Staat wichtiger genommen
als das Private. Zu lange wurde in Deutschland das Verteilen
wichtiger genommen als das Erwirtschaften. Zu lange kam in
Deutschland die Gleichheit vor der Freiheit. Erst wenn wir das
Erwirtschaften wieder wichtiger nehmen als das Verteilen. Erst wenn
die Dynamik der Gesellschaft wieder wichtiger wird als die
Bevormundung durch den Staat. Erst wenn die Kraft der Freiheit
wieder als Grundlage unseres Wohlstandes begriffen wird, wird es
sich zum Besseren wenden", so Westerwelle.
Der Parteivorsitzende rechnet mit einer
rot-grünen Koalition ab, die Deutschland mit Regelwut und
Bevormundung abgewirtschaftet hätte. Für Westerwelle ist
die Koalition ein "historischer Irrtum". Sein
Staatsverständnis bringt er so auf den Punkt: "Wir wollen den
starken Staat, aber stark ist der Staat, der sich auf seine
Kernaufgaben konzentriert. Stark ist ein Staat, der anstatt mit
Subventionen Vergangenheit zu verlängern die Chancen der
Bildung sucht. Stark ist der Staat, der den Bedürftigen hilft
und nicht den Findigen. Stark ist der Staat, der Infrastruktur,
kulturelle Vielfalt fördert, aber nicht der Staat, der sich in
das Privatleben der Bürger einmischt." Weniger Staat durch
mehr Soziale Marktwirtschaft sei jedem Konzept der
bürokratischen Staatswirtschaft überlegen.
Westerwelle positioniert die Liberalen als
die Partei, die etwas von Wirtschaft versteht. Als Replik auf Franz
Münteferings Kapitalismuskritik hält er fest: "Wer
Investoren, wer Unternehmen, wer Menschen, die Arbeitsplätze
schaffen, so behandelt, darf sich nicht wundern, wenn diese
Unternehmer und diese Investoren in andere Länder gehen. Wer
bei einer Staatsquote von etwa 50 Prozent den Kapitalismus sieht,
der sieht Gespenster."
Seine Gewerkschaftskritik formulierte der
Parteichef weniger scharf als noch in den Tagen zuvor: "Ich habe
nichts gegen Gewerkschaften, aber gegen solche, die nur noch
Gewerkschaftsinteressen vertreten." Liberale seien für starke
Zusammenschlüsse von Arbeitnehmerinteressen. Sie wollten den
Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit, gerade vor Ort in den
Betrieben.
Westerwelle kritisierte vehement den Abbau
von Bürgerrechten durch Rot-Grün wie durch Konservative.
Er wendet sich gegen das Luftsicherheitsgesetz, gegen die
quantitativ stark angewachsenen Telefonüberwachungen, gegen
Datensammlungen und die Abschaffung des Bankgeheimnisses. "Wir
Liberale haben ein anderes Verständnis von Freiheit. Freiheit
wird dem Bürger nicht vom Staat gewährt. Die Bürger
gewähren dem Staat Einschränkungen ihrer Freiheit. In den
letzten Jahren haben die Bürger an Freiheit verloren. Der
Staat schränkt zuviel ein, aber er gewinnt dadurch nicht mehr
Sicherheit", so der Bundesvorsitzende. Wer die Freiheit der
Sicherheit opfere, würde am Ende beides verlieren.
Der Parteichef unterstreicht die
Eigenständigkeit der FDP, will mehr sein als der
Mehrheitsbeschaffer für eine Volkspartei. "Wir sind nicht die
CDU für seltene Kirchgänger, nicht die SPD für
Porschefahrer, nicht die Grünen für Leute mit
abgeschlossener Berufsausbildung." Der Applaus ist
garantiert.
Westerwelle weiß, welch großes
Stück Arbeit noch vor seiner Partei liegt. Doch für
Liberale sei Optimismus Pflicht, verkündet er aufmunternd.
Für ihn persönlich würden sich Ernsthaftigkeit und
Fröhlichkeit nicht ausschließen, ruft er den Delegierten
kurz vor seiner Wahl zu. Mit dieser Formulierung kommen wieder
Erinnerungen an die Vergangenheit auf, als er beispielsweise noch
die 18 unter der Schuhsohle trug.
Ein Tandem sind zwei. Aber die könnten
bei der FDP wohl unterschiedlicher nicht sein. Wolfgang Gerhardt,
der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, empfiehlt sich mit
seiner Rede, in der er vor allem außenpolitische Fragen
aufgreift. So empfiehlt er sich als potenzieller
Außenminister, sollte es 2006 zu einem Regierungswechsel
kommen. Er zieht den historischen Bogen - der 8. Mai drängt
das förmlich auf - von der Kapitulation Deutschlands nach dem
Zweiten Weltkrieg über die Begründung der
transatlantischen Allianz, die Einführung der Sozialen
Marktwirtschaft und die Einbettung der Bundesrepublik in die EU bis
hin zu deutschen Einheit.
Die transatlantischen Beziehungen und die
Europäische Union seien die außenpolitischen Grundpfeiler
Deutschlands. In diesem Zusammenhang kritisiert Gerhardt den
Kanzler und den grünen Außenminister scharf. Der
hessische Liberale wirft der Bundesregierung vor, die
geschichtliche Tiefe und die strategische Notwendigkeit der
transatlantischen Partnerschaft gar nicht erst begriffen zu haben.
Unter Rot-Grün sei die handwerkliche Kunst deutscher
Außenpolitik - wie in langer Tradition von liberalen
Außenministern ausgeübt, verloren gegangen. Gerhardt
spricht von einer "Stop-and-Go-Politik ohne jede Linie und ohne
jede Überzeugung". Wenn Europa aber zu einem "Global Player"
werden wolle, dann müsse Deutschland wieder mehr Verantwortung
übernehmen. Und dies insbesondere mit den kleinen EU-Staaten,
die aktuell von den Alleingängen des einstigen Motors in
Europa, dem Duo Deutschland-Frankreich, verschreckt würden.
Der Parteitag hatte mit dem ehemaligen US-Außenminister Henry
Kissinger nicht zufällig einen amerikanischen Gastredner
gewählt. Kissinger trat auf dem Parteitag, übrigens sein
erster außerhalb der USA, auf dem er sprach, auf alte
Weggefährten wie Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und
Klaus Kinkel.
Gerhardt nannte Schröders
Bemühungen, das EU-Waffenembargo gegenüber China
aufzuheben, einen "gewaltigen politischen Fehler", den er nicht
nachvollziehen könne. Was die Menschenrechte betrifft, stellte
der Liberale Rot-Grün auch ein schlechtes Zeugnis mit Blick
auf die derzeitige Russland-Politik aus. Schröder habe es im
Umgang mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin
versäumt, ausreichend kritische Worte zur Medienzensur oder
zum Tschetschenien-Krieg zu finden. Gerhardt hält das vor
allem deshalb für einen Fehler, weil Deutschland ein
gewichtiges Interesse an einer positiven Entwicklung in Russland
haben müsse und sich das Land nicht zu einer Autokratie
entwickeln dürfe.
Innen- und Rechtspolitik
Bürokratieabbau und
Föderalismusreform beschäftigten den Parteitag
inhaltlich. Die FDP will wieder zur Bürgerrechtspartei werden.
Sie fordert, dass bei der Aufweichung des Bankgeheimnisses wieder
gegengesteuert wird. Sie will den großen Lauschangriff wieder
abschaffen, der mit der FDP unter der Regierung Kohl
eingeführt worden ist, allerdings unter starker Kritik einiger
FDP-Politiker wie Burckhard Hirsch und Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger. Die FDP lehnt die Gleichstellung der
DNA-Analyse mit dem klassischen "Fingerabdruck" kategorisch ab. Die
DNA-Analyse dürfe auch künftig nur bei Straftaten von
erheblicher Bedeutung wie Tötungs- und Sexualdelikte zum
Einsatz kommen, heißt es im Beschluss. Die Liberalen sprechen
sich zudem gegen die Aufnahme biometrischer Daten in Pässen
aus. Immer mehr Daten würden massenhaft erhoben, auf Vorrat
gespeichert, zunehmend vernetzt und immer mehr Behörden
zugänglich gemacht.
Außerdem verabschiedeten die Liberalen
ein weit reichendes Steuerkonzept. "Wir brauchen den großen
Wurf", unterstreicht Hermann Otto Solms, der wieder gewählte
Bundesschatzmeister. Die international unübliche Gewerbesteuer
soll abgeschafft werden, denn sie verhindere Investitionen in
Deutschland und vernichte Arbeitsplätze. Anstelle der privaten
Einkommensteuer wird die Einführung eines Drei-Stufen-Tarifs
vorgeschlagen, der langfristig in eine Flat-Tax münden soll.
Mit einem Bürgergeld will die FDP das bisherige soziale Netz
so reformieren, dass es auch ein Sprungbrett in den ersten
Arbeitsmarkt wird. Vor allem geht es ihr um eine Bündelung der
Sozialleistungen und eine Ausbezahlung aus einer Hand.
Außerdem beschloss die FDP, dass die
Reform des Föderalismus unverzüglich neu angegangen
werden müsse. Sie forderte die Einsetzung eines Konvents aus
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens,
Wissenschaftlern und aktiven Politikern. Erneut sprach sie sich
gegen den rot-grünen Gesetzentwurf für ein
Antidiskriminierungsgesetz aus. Dieser entspreche nicht den
Bedürfnissen der Menschen des 21. Jahrhunderts, weil er zu
mehr staatlicher Bevormundung und erhebliche zusätzliche
bürokratische und finanzielle Belastungen für die
deutsche Wirtschaft mit sich bringe. Den Bundestag forderte die FDP
auf, sich bei der Umsetzung der Richtlinie auf das europarechtlich
Geforderte zu beschränken.
Der dritte Tag des Parteitags war ganz auf
den Auftritt des neuen Generalsekretärs zugeschnitten. Die
Premiere gelang. Seine Antrittsrede war gut strukturiert,
angriffslustig und humorvoll. Der ehemalige Fallschirmjäger,
der in Hamburg geboren wurde, in Heidelberg lebt und mit seiner
Frau drei Söhne hat, studierte Verwaltungswissenschaften,
bevor er Arbeitsvermittler wurde. Als Arbeitsmarktexperte griff er
die Regierung vor allem auf diesem Feld an. Er kritisierte nicht
nur die Vermittlungsquote der Bundesagentur für Arbeit,
sondern forderte gar ihre Abschaffung. Immerhin hat die
Behörde 90.000 Mitarbeiter. Niebel will sie durch ein
Drei-Säulen-Modell ersetzen. Eine Versicherung, die das
Arbeitslosengeld auszahle, eine kleine Arbeitsagentur mit 200 bis
300 Mitarbeitern, die sich um bundesweite Belange kümmere und
als dritte Säule Agenturen vor Ort, die sich in kommunaler
Trägerschaft direkt um die Arbeitsvermittlung
kümmern.
Eine glückliche Hand bewiesen die
Parteitagsregisseure mit der Wahl des Gastredners Paul Kirchhof,
ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht und heute Direktor
des Instituts für Steuerrecht der Universität Heidelberg.
Er lobt das Steuermodell der FDP und betont: "Das Steuerrecht kann
nur überzeugen, wenn der Bürger es versteht." Er fordert:
"Weg mit den Privilegien auf einen Schlag." Kirchhof geht ebenso
auf den Freiheitsbegriff ein. Freiheit bedeute, "niemals über
andere zu bestimmen". Für ihn müsse sich der "Staat zum
Bürger wie der Handschuh zur Hand" verhalten. Der Handschuh
dürfe die Beweglichkeit der Hand nicht einschränken. Das
Lob für das liberale Steuermodell ist sicher ein Grund
für den tosenden Applaus des Plenums, aber mindestens ebenso
der intellektuelle Genuss, den ein Redner wie Kirchhof bei einem so
schwierigem Thema wie Steuern bereitet. Der Wissenschaftler nahm
die "Standing Ovations" Freude strahlend entgegen. Für ihn war
die Rede eine Premiere auf einem Parteitag.
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