Zusammenarbeit neu ausloten
Interview mit René van der
Linden
Mit der Europäischen Verfassung begibt sich
die Union auf das ureigene Feld der Zuständigkeiten des
Europarates. Kritiker beanstanden, dass in beiden Institutionen
kostspielige Doppelarbeit geleistet wird. Vom 16. bis 17. Mai
beraten die 46 Mitgliedsstaaten des Europarates in Warschau
über seine künftige Rolle. Aus diesem Anlass sprach unser
Korrespondent mit dem Präsidenten der Parlamentarischen
Versammlung des Europarates, René van der Linden, über
dessen Erwartungen für die Zukunft.
Das Parlament: Herr Präsident,
bleibt bei realistischer Betrachtungsweise nach Annahme der
EU-Verfassung überhaupt noch Platz für eigene
Aktivitäten des Europarats?
Van der Linden: Mehr als 20
Mitgliedstaaten des Europarates sind nicht in der EU. Ohne den
Europarat und das Netzwerk der von ihm geschaffenen Konventionen
würden in Europa neue und schärfere Trennlinien
entstehen. Deshalb gäbe es beispielsweise keinen besseren
Platz als den Europarat, um hier die geplante "Gute
Nachbarschaftspolitik" der EU voranzubringen und
umzusetzen.
Das Parlament: Welche Auswirkungen
für den Europarat sehen Sie konkret mit der Verfassung der
Europäischen Union verbunden?
Van der Linden: Die EU wird durch die
Verfassung auch zu einer Wertegemeinschaft, die wesentlich durch
die Normen des Europarats geprägt ist. Das ist ein klarer
europäischer Mehrwert. Außerdem wird die EU zur
Rechtspersönlichkeit und kann damit auch der Europäischen
Menschenrechtskonvention und anderen Europaratskonventionen
beitreten und an ihnen mitarbeiten. Doch ich sehe auch Gefahren.
Die EU kann sich weiterhin mit viel Geld auf Gebiete begeben, die
wir in Straßburg besser und billiger machen.
Das Parlament: Meinen Sie damit die im
Verfassungsvertrag vorgesehene Errichtung einer
Menschenrechtsagentur und eines Antifolterausschusses? Könnte
durch die Doppelgleisigkeit sogar die Gefahr einer Schwächung
der Menschen- und Grundrechte erfolgen?
Van der Linden: Das wäre bestimmt
der Fall. Nehmen Sie das äußerst effektiv arbeitende
Antifolterkomitee des Europarats mit seinen unangemeldeten Besuchen
in Gefängnissen in allen 46 Ländern des Europarats. Wenn
man dieses Institution bereits für ganz Europa hat, sollte es
doch selbstverständlich sein, dass die EU dies
nutzt.
Das Parlament: Aber müsste der
Europarat im Sinne einer Arbeitsteilung nicht auch Felder aufgeben,
wo er weniger Kompetenz hat?
Van der Linden: Ich bin sehr für
eine Beschränkung unserer Arbeit auf die Kerngebiete.
Agrarpolitik gehört beispielsweise sicher nicht dazu. Wir
sollten nur das machen, was wir besser und effizienter machen. Das
ist wie im Wettbewerb in der Wirtschaft. Und wenn man nicht klar
sagen kann, was der bei einer Sache besonders gut machen kann, dann
soll er das halt nicht machen. In diesem Sinne hat er seine Arbeit
schon von 14 auf zehn Ausschüsse
eingeschränkt.
Das Interview führte Hartmut Hausmann
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