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Jeanette Goddar
Eine Walz voller Hindernisse
Berufliche Mobilität Auszubildender soll
leichter werden
Einst war der Zug durch die Lande für junge
Gesellen eine Selbstverständlichkeit. Wer auf der Walz war,
durfte seinem Zuhause nicht mehr als 50 Kilometer nähern und
musste ständig weiterziehen. Die Faustregel: Wenn der Nachbar
nicht mehr grüßt und der Hund nicht mehr nach dir bellt,
geh! Die Devise: Nur wer sich mit den Techniken in fremden Regionen
und Ländern vertraut macht, wird ein guter Handwerker. Drei
Jahre lang wurde der Nachwuchs von den Zünften so durch die
Fremde geschickt.
Doch heute ist der Schritt ins Ausland gerade
für Auszubildende eine so große Herausforderung, dass
kaum einer sie angeht: Nur etwa jeder hundertste deutsche
Jugendliche absolviert einen Teil seiner Berufsausbildung in einem
anderen Land - unter Studierenden ist es immerhin jeder siebte.
Gegen den Umzug spricht vor allem, dass quer durch Europa immer
noch völlig verschiedene Ausbildungsinhalte in völlig
verschiedenen Ausbildungsberufen vermittelt werden. Wer in
Deutschland als Industriekaufmann in die Lehre geht, erwirbt in
Madrid oder Oslo die gleiche Berufsbezeichnung als
Bachelor-Absolvent an einer Hochschule - hat aber unter
Umständen auch nicht mehr gelernt als sein deutscher Kolllege.
Und selbst die Prüfungsordnungen für klassische
Handwerksberufe wie Tischler oder Stukkateur unterscheiden sich von
Land zu Land. Deutschland ist eines von nur noch vier Ländern
der Europäischen Union, das auf ein nahezu
flächendeckendes duales Ausbildungsmodell setzt. Fast in ganz
Europa lernen Jugendliche ansonsten mehr in der Schule als im
Betrieb.
Wie hoch die Hürden sind, macht ein
Blick auf die seit langem zusammenwachsenden Grenzregionen
besonders deutlich. In der Euregio Maas-Rhein im
deutsch-belgisch-niederländischen Dreiländereck zum
Beispiel pendeln täglich mehrere tausend Menschen. Auch
jugendliche Auszubildende würden an dieser Normalität
gerne teilhaben. Aber: "Wer in die Niederlande geht, trifft auf ein
völlig anderes System", sagt Silke Weitemeier, die im Aachener
Regio-Büro für die Bildungszusammenarbeit zuständig
ist. Viele deutsche Jugendliche würden gerne einmal wechseln,
hätten aber immer wieder Probleme mit der Verwertung dessen,
was sie im Ausland gelernt haben, erläutert Wei-temeier.
Deutsche Jugendliche können in Maastricht oder Kerkrade zwar
mit ihren Kollegen "mitlernen", dort aber nichts erwerben, was
ihnen zuhause etwas nützt. Stattdessen verpassen sie
Berufsschulstoff und praktisches Lernen, das am Ende
prüfungsrelevant ist . Damit Jugendliche doch etwas mitnehmen,
hat man sich in der Euregio etwas einfallen lassen: Auszubildende,
die einen Teil im Ausland lernen, erwerben ein zusätzliches
"Euregio-Kompetenzzertifikat".
Dass der Flickenteppich europäischer
Ausbildungsordnungen keine ideale Lösung ist, wissen auch die
Bildungsminister. Ähnlich wie in Bologna 1999 - wo die
Schaffung eines einheitlichen Studienraums beschlossen wurde -
vereinbarten 31 Bildungsminister und die Europäische
Kommission in Brügge und Kopenhagen 2001 und 2002 gemeinsame
Leitlinien für die berufliche Bildung.
Keine nationale Angelegenheit
Angesichts des künftigen
europäischen Arbeitsmarktes sollte auch Berufsbildung nicht
länger eine nationale Angelegenheit bleiben, erklärte
damals die Bildungskommissarin Viviane Reding. Die "Kopenhagener
Erklärung" fordert Europa auf, für transparente und
vergleichbare Ausbildungsstrukturen zu sorgen, ein durchschaubares
Kompetenzmodell zu entwickeln und Qualifikationen gegenseitig
anzuerkennen.
Trotz zahlreicher Initiativen ist es bisher
kaum möglich, eine Vergleichbarkeit der Lerninhalte
herzustellen. Eine europäische Expertengruppe arbeitet mit
Hochdruck an der Entwicklung eines "europäischen
Qualifikationsrahmens". Dieser soll mit Hilfe einer Tabelle
Kompetenzen und Niveaustufen so darstellen, dass jeder Lernende,
aber auch Arbeitnehmer und Arbeitgeber in jedem Land nachvollziehen
können, wer was kann. Bisher plant die Europäische
Kommission die Einführung des Qualifikationsrahmens für
2006.
EU-weit eingeführt wurde am 1. Januar
der so genannte EUROPASS. Dieser ist so etwas wie ein Portfolio, in
dem - elektronisch oder auf Papier - international vorzeigbare und
vergleichbare Kompettenzbescheingungen gesammelt werden. Es
beinhaltet zum Beispiel einen EUROPASS-Lebenslauf, eine
EUROPASS-Zeugniserläuterung, in der der jeweilige
Berufsabschluss erläutert wird, eine Bescheingung über
Auslandsaufenthalte, ein Sprachenportfolio und einen
EUROPASS-Diplomzusatz. In Deutschland kann der Europass allerdings
bisher nicht von Privatpersonen, sondern lediglich von
Arbeitgebern, Kammern, Schulen oder anderen Organisationen
beantragt werden.
Die EU fördert Mobilität in der
Ausbildung auch finanziell: Das EU-Programm Leonardo da Vinci,
für das von 2000 bis 2006 1,1 Milliarden Euro zur
Verfügung stehen, ermöglicht Azubis und Lehrlingen
für drei Wochen bis neun Monate den Austausch in ein anderes
europäisches Land. Das akademische Programm Erasmus/Sokrates
fördert in kleinerem Rahmen auch internationale Kooperationen
berufsbildender Schulen. 2007 sollen Leonardo wie Erasmus in einem
Programm "Lebenslanges Lernen" aufgehen und aufgestockt werden. Die
EU-Kommission fordert eine Verdreifachung der Mittel auf insgesamt
13,6 Milliarden Euro durchsetzen zu können. Bewilligt ist die
Summe allerdings bisher nicht.
Aus deutscher Sicht ist der Weg ins Ausland
am 1. April zumindest ein bisschen einfacher geworden. Das neue
Berufsbildungsgesetz verbrieft erstmals das Recht, einen Teil der
Ausbildung im Ausland zu absolvieren. Bis zu einem Viertel ihrer
Lehrzeit können Jugendliche künftig in einem anderen Land
verbringen, heißt es in Paragraf 2 unter "Lernorte der
Berufsbildung". Damit haben die Jugendlichen ein handfestes
Argument auf ihrer Seite. Bisher nämlich scheitert ihre
Mobilität häufig nicht nur an den verschiedenen
Ausbildungsordnungen, sondern auch an Arbeitgebern oder
Berufsschulen.
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