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Erik Spemann
Die Politik ist besser als ihr Ruf
Konferenz der
Landtagspräsidenten
Im schnelllebigen Zeitalter der so genannten Mediendemokratie
werden die Parlamentarier von einem Albtraum heimgesucht: Sie
stellen sich vor, es tagt das Parlament, und keiner interessiert
sich mehr dafür. So weit wollen sie es nicht kommen lassen,
sondern lieber nach Wegen suchen, um den häufig beklagten
Bedeutungsverlust der Landtage aufzuhalten und diese wieder zu
einem zentralen Ort der politischen Auseinandersetzung zu machen.
Rezepte dazu holten sie sich kürzlich in München, wo der
bayerische Landtagspräsident Alois Glück (CSU) das Thema
"Wiederbelebung des Parlaments" in den Mittelpunkt einer Fachtagung
der deutschen Parlamentspräsidenten stellte. Nicht nur im
Bayerischen Landtag dürften nun in den kommenden Monaten
Arbeitsgruppen damit beschäftigt sein, die Ergebnisse der
Tagung auszuwerten und umzusetzen.
Warum die "Musik" oft nicht mehr im Hohen Haus spielt und
leidenschaftliche Debatten selten geworden sind, hängt laut
Glück unter anderem damit zusammen, dass der politische
Wettbewerb zwischen den Parteien immer häufiger außerhalb
der Parlamente, zum Beispiel in Talkshows, ausgetragen wird. Auch
gehe es heute weniger um grundsätzliche politische
Alternativen als um Varianten.
Ritualisierte Abläufe
Der Landtagspräsident verwies weiter auf zu unflexible,
ritualisierte innere parlamentarische Abläufe und - oft daraus
resultierend - nicht hinreichend aktuelle beziehungsweise
interessante Inhalte, mit denen sich die Parlamente
beschäftigten. Um den Landtag wieder zu einem spannenden Forum
zu machen, wünsche er sich mehr Spontanität und weniger
Reglementierung "Ein Stück weit leide ich, dass es zu viele
Rituale gibt", hebt Glück hervor.
Einen schwerwiegenden Grund dafür, dass die Parlamente
nicht mehr als zentrales politisches Forum der Diskussion über
die wichtigen Fragen der Zeit wahrgenommen würden, sahen
Glück und auch seine Präsidentenkollegen in der
zunehmenden Verlagerung von Zuständigkeiten der Länder
auf die Ebenen von Bund und EU. Er stellte aber auch klar: "Die
Politik, die in unseren Landtagen gemacht und verantwortet wird,
ist viel besser als ihr Ruf in der Öffentlichkeit." Freilich
falle es den Abgeordneten oft schwer, etwas zu verändern und
Abläufe kritisch zu beurteilen. Doch eben diese
Fähigkeiten seien ein Muss.
Für Christoph Grimm (SPD), den Präsidenten des
Landtags von Rheinland-Pfalz, ist auch harsche Kritik an den
Abgeordneten zum Problem geworden, wie er bei einer
Podiumsdiskussion während der Tagung anmerkte. Die
Besuchergruppen im Landtag hätten sich empört, dass die
Volksvertreter während der Sitzungen schwätzten,
umherliefen und Zeitung lesen würden. Deshalb lade er zu
Plenartagungen keine Besucher mehr ein. "Das bekümmert mich",
erklärte er. Leo Flamm, Vorsitzender der Landespressekonferenz
Nordrhein-Westfalen, empfahl als Gegenmittel erzieherische
Maßnahmen wie eine Fernsehkamera, die mit dem Zoom solche
Disziplinlosigkeiten groß herausbringe.
Dass Medien und Parlament nicht immer miteinander glücklich
sind, erläuterte Uli Bachmeier von der Bayerischen
Landtagspresse, Landespressekonferenz Bayern: Viel Sitzfleisch
brauche man als Pressevertreter, weil die Abgeordneten ihre
Anliegen sehr oft wiederholten. "Wir sind als Trüffelschweine
unterwegs und suchen die Rosinen, das steht oft im Widerspruch zu
dem, was Abgeordnete erwarten". Diese kämen immer wieder auch
schlecht vorbereitet zu den Sitzungen.
Der Passauer Politikwissenschaftler und Leiter der Akademie
für Politische Bildung Tutzing, Prof. Heinrich Oberreuter,
fand breite Zustimmung mit seiner Forderung, dass wieder mehr
Substanz ins Parlament zurückkehren müsse und unterstrich
die Notwendigkeit einer Föderalismusreform: "Mehr
Gesetzgebungs- und Steuerkompetenz müssen her."
Als Hindernis für so eine erstrebenswerte Neuordnung sah
Glück freilich den Umstand, dass sich die Länder oft
selbst nicht über zusätzliche Kompetenzen einig seien.
Bereits jetzt hätten sie aber mit Schul-, Haushalts- und
regionaler Strukturpolitik wichtige
Gestaltungsmöglichkeiten.
Innerhalb der Landtage könnten auch gesetzgeberische
Entscheidungskompetenzen der Ausschüsse zu mehr Spannung
verhelfen, meinte Oberreuter. Walter Momper, Präsident des
Abgeordnetenhauses Berlin, bestätigte die Beobachtung, "dass
viel zu lang über Themen gesprochen wird, über die schon
drei bis vier Mal gesprochen worden ist". Heute gelte aber, dass in
mediengerechten "einsdreißig" (eine Minute und 30 Sekunden)
alles gesagt werde.
Auf Sympathie stieß der Vorschlag einer freien Fragestunde
im Parlament nach britischem Vorbild, bei der die
Kabinettsmitglieder den Abgeordneten auf Fragen spontan und ohne
längere Vorbereitung durch ihren Beamtenapparat antworten
müssen. Allerdings wurde eingewendet, dass jeweils die
Mehrheitsfraktionen verhindern würden, dass die
Regierungsmitglieder mit solchen Aktionen unter Druck gesetzt
würden. "Die scheuen sich, Instrumente einzusetzen, die ihre
Minister stärker fordern", so Grünen-Fraktionschef Stefan
Wenzel aus Niedersachsen. Auch der Präsident des
baden-württembergischen Landtags, Peter Straub, machte "das
Bemühen der Regierungsfraktion, die Mehrheit zu verteidigen",
mit für Langeweile im Hohen Haus verantwortlich. Solange
Minister der Fraktion angehörten, seien die
Regierungsfraktionen auch kaum bereit, freie Fragestunden zu
veranstalten.
Als zum Teil schon bewährtes Mittel, ein Parlament
lebendiger zu machen, wurde die Öffentlichkeit der
Ausschüsse gepriesen, wie es der Bayerische Landtag einst
vorgemacht hat. Das werde auch von den Medien gut angenommen,
berichtete der rheinland-pfälzische Präsident Grimm, "und
das Arbeitsklima ist dort viel besser und sachlicher".
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