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Kirsten Burckschat
Abschreckendes Vorbild?
Niedersachsens Abgeordnetengesetz
Für den Präsidenten des niedersächsischen
Landtags, Jürgen Gansäuer (CDU), ist das Verfahren um die
Nebeneinkünfte der beiden SPD-Abgeordneten Ingolf Viereck und
Hans-Hermann Wendhausen ein politischer und juristischer
Drahtseilakt. Es wird von allen anderen Landtagspräsidenten
mit Spannung verfolgt, von den meisten jedoch äußerst
kritisch beurteilt. "Ich kenne keinen Kollegen, der dem
niedersächsischen Beispiel folgen will", erklärt der
rheinlandpfälzische Landtagspräsident Christoph Grimm
(SPD). Die Gründe sind formalrechtliche und
verfassungspolitische Zweifel an dem Verfahren selbst.
Der niedersächsische Landtagspräsident ist
zunächst streng dem Abgeordnetengesetz gefolgt. Er hat
festgestellt, dass die SPD-Politiker für ihre jahrelangen
Gehaltszahlungen von VW keine entsprechenden Gegenleistungen
erbracht und damit gegen das Abgeordnetengesetz verstoßen
haben. Das Gesetz sieht für diesen Fall vor: "Wer verbotene
Zuwendungen empfängt, hat sie ... an das Land
abzuführen." Gansäuer fordert entsprechend von den
Abgeordneten Rückzahlungen in Höhe von insgesamt
766.474,02 Euro. Eine solche Rückzahlungsforderung ist
einmalig in der deutschen Parlamentsgeschichte und außer in
Niedersachsen nur noch im Saarland gesetzlich vorgesehen.
"Mit diesem Verfahren wird der Landtagspräsident in die
Rolle eines Staatsanwalts gedrängt", erklärt Grimm seinen
Vorbehalt. "Das ist verfassungspolitisch nicht mit seiner
eigentlichen Funktion als primus inter pares vereinbar und
stört das Kräfteverhältnis innerhalb des
Parlaments." Außerdem seien die Landtagsverwaltungen personell
und strukturell nicht für derlei gerichtsähnliche
Verfahren ausgelegt.
Der Landtag in Niedersachsen hat zwei juristische Gutachten und
eines von Kienbaum und Partner eingeholt sowie den
Landesrechnungshof eingeschaltet, um den Vorfall zu bewerten, denn
im Abgeordnetengesetz selbst gibt es keine konkreten Hinweise, wie
im einzelnen zu verfahren ist. Darin sehen nun die Beschuldigten
ihre Chance. "Das Gesetz war ein Schnellschuss nach dem
Diätenurteil von 1975 und birgt zahlreiche Ungereimtheiten",
erklärt ihr Anwalt Peter Rabe. Für anfechtbar hält
er vor allem die ermittelte Höhe der Rückzahlungen. Im
Ergebnis fordert der Landtag das Bruttogehalt der letzten zehn
Jahre zurück, das Viereck und Wendhausen von VW bezogen
hatten. Die davon gezahlten Steuern könnten auf Nachweis
angerechnet werden, weil dieses Geld bereits über das
Finanzamt in die Landeskassen zurück-geflossen sei,
erklärte Gansäuer. "Dann hätte aber der Landtag den
Fiskus finanziert, aber auf welcher Grundlage?" fragt Rabe. Der
Landtag hat weiter eine Verjährungsfrist von zehn Jahren
angenommen. "Legt man die Abgabenordnung zugrunde, wären es
nur vier Jahre", so Rabe. Damit würde sich die
Rückzahlungssumme immerhin mehr als halbieren.
Strittig ist nicht zuletzt die Frage der Sozialversicherung und
der Fahrtkosten. Die Sozialabgaben der beiden SPD-Politiker wurden
in all den Jahren von VW erbracht, und wegen der Nutzung des
VW-Firmenwagens seien auch keine Fahrtkosten angefallen, berichtet
der Anwalt. Insofern habe die Landtagsverwaltung von den
Gehaltszahlungen nicht nur gewusst, sondern auch profitiert.
Sollten die SPD-Politiker aus diesen Gründen die Forderung bis
Ende des Monats nicht akzeptieren, muss der Landtag seine
Ansprüche vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig einklagen.
Landtagspräsident Gansäuer nimmt hier eine delikate
Doppelrolle ein: Als Dienstherr über die Landtagsverwaltung
wacht er über die Einhaltung der Gesetze und stellt
Gesetzesverstöße fest. Gegenüber den Abgeordneten
tritt er aber nicht als Dienstherr auf und hat deshalb bewusst
darauf verzichtet, die Rückzahlung per Verwaltungsakt
durchzusetzen. So werden sich Landtagspräsident und
Abgeordnete auf Augenhöhe vor Gericht treffen, ein Prozess
gilt als sicher.
Das Gericht wird sich dann auch mit grundsätzlichen Fragen
befassen, denn der Anwalt der Abgeordneten glaubt, das Gesetz
verstoße gegen das Gleichstellungs- und das
Bestimmtheitsgebot. Ihm liege dazu ein verfassungsrechtliches
Gutachten vor. Das Gesetz benachteilige in seiner Praxis
Angestellte gegenüber Freiberuflern, denn Selbständige
müssten ihre Einkünfte nicht offen legen. Außerdem
könne man kaum nachweisen, dass VW mit den Gehaltszahlungen
gezielt Lobbyismus betrieben habe. Es sei seit 1955 gängige
Praxis gewesen, die Gehälter von Mitarbeitern, die ins
Parlament gewählt werden, weiterzuzahlen, um ihnen eine
spätere Rückkehr ins Unternehmen zu ermöglichen. Die
Juristen im Landtag berufen sich dazu auf eine Expertise des
Bundestages. Dort heißt es zur Frage von Zahlungen ohne
hinreichende Gegenleistungen unter Hinweis auf das
Bundesverfassungsgericht: "Die ,Erwartung' des Zahlenden, dass im
Parlament seine Interessen vertreten werden, dürfte in solchen
Fällen nicht des besonderen Nachweises bedürfen, sondern
vermutet werden können."
Der Berliner Verfassungsrechtsexperte Hans Meyer geht in seiner
Bewertung noch weiter. Er hält eine Pflicht zur Abführung
von solchen Zuwendungen nicht nur für unbedenklich, sondern
für notwendig. Strenge Regeln seien angesichts des schlechten
Ansehens der Politik geboten, sagt er und "Regeln ohne Sanktionen
sind unwirksam". Im Falle der niedersächsischen SPD-Politiker
Viereck und Wendhausen hält er allerdings eine kulante
Regelungen für wahrscheinlich, "weil sie die ersten sind, an
denen das Verfahren angewendet wird und man ihnen eine gewisse
Ahnungslosigkeit zubilligen könnte".
Für den rheinland-pfälzischen Landtagspräsidenten
Grimm beweist das niedersächsische Beispiel, "dass hier eine
Dimension erreicht ist, die man nicht mehr im Rahmen des
Präsidentenamtes verantworten kann". In allen Ländern
werden derzeit Vorschläge erarbeitet, um eine einheitliche
Regelung zu treffen. Für den niedersächsischen
Präsidenten Gansäuer steht aber trotz der schwierigen
Aufgabe in seinem Verfahren fest: "Wir können hinter unseren
Standard auf keinen Fall mehr zurück."
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