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Sandra Kaufmann
"Ich glaube an das Gute"
Marc Ludwig setzt sich bei amnesty international
für Menschenrechte ein
Wenn ihre Freunde auf Partys gehen, sitzen sie noch in
irgendeinem Gremium oder im Ortsverein. Jede freie Minute widmen
sie ihrer Organisation, ihrer Partei, setzen sich für ihre
Überzeugungen ein. Der Weg ist lang. Ehrgeizige Talente gibt
es in allen Parteien und Nichtregierungsorganisationen - trotz
aller Nachwuchssorgen. "Das Parlament" stellt einige Jungpolitiker
und Aktivisten vor.
Weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund: "Wütend. Wir
auch." So soll es aussehen, das Schlussbild des neuen Werbespots
für die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai).
Drehbuch, Produktion und Aufnahmeleitung: Marc Ludwig. Jetzt im Mai
beginnt der 20-jährige Abiturient aus Berlin mit den
Dreharbeiten seines No-Budget-Films, im August soll er in die Kinos
kommen. Die Materialkosten übernimmt unter anderem ai. Der
Menschenrechtler und Filmfan kann bei diesem Projekt sein Hobby und
sein ehrenamtliches Engagement verbinden. "Ich will mit dem Film
vor allem Jugendliche motivieren, sich für Menschenrechte
einzusetzen und Möglichkeiten aufzeigen, wie jeder Einzelne
aktiv werden kann", erklärt Ludwig.
Er selbst ist schon seit fünf Jahren aktiv. Auslöser
waren der Sozialkundeunterricht und eine Exkursion in das Berliner
Büro von ai. "Wir haben damals das Thema Menschenrechte
durchgenommen und Unterschriften gesammelt für drei
Jugendliche in Myanmar, die wegen kritischer Äußerungen
in der Schule inhaftiert worden waren." Zusammen mit fünf
Mitschülern gründete Ludwig in seiner Schule eine
ai-Jugendgruppe. "Ich war schockiert, dass es
Menschrechtsverletzungen überall auf der Welt gibt - auch hier
in Deutschland. Also haben wir Plakate aufgehängt, Zettel
verteilt, Unterschriften gesammelt und Kuchenbasare organisiert."
Dafür erhielten sie von ihrer Pankower Schule und der
PDS-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung einen Preis.
Später wurde Marc Ludwig Jugendreferent bei ai. Er war
zuständig für die Zusammenarbeit von acht Gruppen in
Berlin und Brandenburg. Seit ein paar Monaten ist er Werbereferent
und sorgt dafür, dass ai-Plakate zum Straßenbild Berlins
gehören. Zuletzt hat er 20 Infostände auf dem Filmfest
Berlinale betreut.
"Die Arbeit in den ai-Gruppen ist meist fallbezogen",
erklärt der Schüler. Monatlich erscheinen im ai-Journal
die "Briefe gegen das Vergessen". Darin werden drei
Einzelschicksale politisch Verfolgter geschildert, verbunden mit
dem Appell zu helfen. "Mit Briefen an die jeweiligen
Regierungsbehörden wollen wir erreichen, dass Folter gestoppt
oder ein Mensch aus politischer Haft freigelassen wird - dabei
kommt es vor allem auf die Masse der Zusendungen an." Deshalb
erscheinen die Briefe weltweit. Amnesty-Gruppen aus allen
Ländern setzen sich für die Inhaftierten ein, egal, woher
sie stammen. Ein System, das sich bewährt hat. Die
Organisation hat 1,8 Millionen Mitglieder in mehr als 150
Ländern. "In jedem dritten Fall bewirken wir etwas. Das ist
natürlich noch nicht genug - aber ich glaube an das Gute",
sagt Marc Ludwig. Und manchmal erreicht diese Bestätigung die
ai-Leute auch ganz konkret. Im vergangenen Jahr kam beim Berliner
Festival "Karneval der Kulturen" ein Kubaner auf ihn zu, um sich zu
bedanken. Durch die Unterstützung von ai war der Mann aus dem
Gefängnis entlassen worden. "Das war der schönste Moment.
Ich fühlte mich dadurch bestätigt und war sicher, dass
die Arbeit Sinn macht."
Aber auch negative Erfahrungen haben den Schüler in seinem
Engagement bestärkt. "Ich habe Menschenrechtsverletzungen am
eigenen Leib erfahren, als ich mit der russischen Mafia
Bekanntschaft gemacht habe", erzählt Ludwig. Im Urlaub mit
seiner Mutter in St. Petersburg wurden beide auf einem
öffentlichen Platz zusammengeschlagen und ausgeraubt. Der
Versuch, telefonisch die Polizei zu alarmieren, schlug fehl, weil
sie in der Warteschleife der Notrufnummer hängen blieben. In
der Polizeibehörde nahm man die beiden Touristen erst ernst,
als sie drohten, zur deutschen Botschaft zu gehen. Nach endlosem
Warten und einem Telefonat des Polizisten, in dem er seinen
Gesprächpartner dafür beschimpfte, dass er
"Ausländer nicht von Russen unterscheiden" könne, bekamen
sie das gestohlene Geld und ihre Papiere zurück.
Ludwigs Mutter ist Russin, er ist zweisprachig aufgewachsen.
Seine Eltern haben sich während des Studiums in St. Petersburg
kennen gelernt. Vor seiner Geburt sind sie nach Berlin gezogen.
Dass nach seinem Eindruck im heutigen Russland die Polizei
bisweilen beste Kontakte zu organisierten Kriminellen
unterhält, und nur reagiert, wenn ausländische
Staatsbürger involviert sind, hat Marc Ludwig schockiert - und
erneut in der Überzeugung bestärkt, dass staatliche
Behörden von NGOs kontrolliert werden müssen.
Obwohl der große, ruhige, junge Mann gerne zur Schule geht
und seine Noten gut sind, sagt er: "Leider ist das nicht das reale
Leben." Das reale Leben beginnt für den Filmemacher - wie er
sich auf seiner Visitenkarte nennt - im Sommer nach dem Abitur. Vom
Wehrdienst ist er freigestellt, weil seine Großmutter
Jüdin ist.
Aber auch wenn er ins Arbeitsleben startet, will er weiterhin
für ai tätig sein. Denn er hat durch die Organisation
viel gelernt, sagt er nachdenklich. "Die Arbeit hat mich offener
und kontaktfreudiger gemacht. Ich war immer ein sehr
zurückhaltender Mensch." Er habe gelernt zu organisieren, frei
zu reden und seine eigenen Schwächen zu akzeptieren. "Ich
weiß zu schätzen, wie gut es uns hier in Deutschland
geht."
In dem Werbespot, den Ludwig drehen möchte, sind
verschiedene Menschen zu sehen. Sie reagieren auf Fernsehbilder,
fluchen, weinen. Der Zuschauer sieht diese Fernsehbilder nicht. Ihm
wird aber die Botschaft klar: Emotionen reichen nicht, man muss vom
Sofa aufstehen. Marc Ludwig hat es gemacht. Sein Film heißt
"Ketten sprengen".
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