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Detlev Lücke
Aufgekehrt ...
Erstens: Der Zug der Zeit fährt manchmal auf seltsamen
Gleisen. Zweitens: Seit die Mauer weg ist, wird in Berlin gemauert.
Wofür wir gerade wieder ein schönes Beispiel geliefert
kriegen. Kommendes Jahr im Mai, pünktlich zur Fußball-WM,
wird der Berliner Hauptbahnhof, früher Lehrter Bahnhof, fertig
und somit in Betrieb genommen. Wir wollen jetzt nicht von der eine
Milliarde Euro sprechen, die das Bauwerk, auch liebevoll
Ceausescu-Palast genannt, gekostet hat. Wir wollen nicht
darüber sprechen, dass Bahnchef Hartmut Mehdorn, sonst nicht
gerade eine Adresse öffentlicher Zustimmung, völlig Recht
hat, wenn er diesem bautechnischen Groschengrab nicht nur viel
Verkehr, sondern auch Verkehrsteilnehmer zukommen lassen will. Wir
wollen lieber darüber sprechen, welches blanke Entsetzen
Mehdorns Ankündigung bei den Bürgern des Westteils
Berlins, wie es separatistisch korrekt für die deutsche
Hauptstadt im "Tagesspiegel" heißt, ausgelöst hat, ab
2006 im Bahnhof Zoo keine ICEs mehr halten zu lassen. Wenn man den
Statements der Journalisten, die nun mal - sorry - zu rund 90
Prozent Westler sind, und der Population zwischen Spandau und
Kreuzberg trauen darf, kommt die Tatsache, künftig drei
S-Bahn-Stationen weiter östlich bis zum Hauptbahnhof zu
fahren, einer Deportation nach Sibirien gleich. Mehdorn meinte in
diesem Zusammenhang süffisant, dass der Weg Berlins zur
Großstadt noch weit sei, weiter jedenfalls als bis zum
Hauptbahnhof/Lehrter Bahnhof.
Wolfgang Schäuble sprach unlängst in der Berliner
"Morgenpost" von einem "gewissen Beharrungsvermögen der
Westberliner". Das war sehr diplomatisch ausgedrückt. Wie oft
haben wir Menschen aus dem "Ostteil" der Stadt den
paternalistischen Rat gehört, wir mögen doch endlich im
Westen "ankommen". Geben uns ja Mühe, liebe Freunde. Die
Westberliner wollen auch endlich ankommen, und zwar wie immer auf
dem Bahnhof Zoo und sonst nirgends in Berlin, nicht im
Hauptbahnhof, schon gar nicht - horribile dictu - auf dem Ost (!)
bahnhof oder auf den für 2006 außerdem geplanten
Fernbahnhöfen Südkreuz und Gesundbrunnen.
Da wird der Bahnchef noch dicke Bretter, respektive
Bahnschwellen, bohren müssen. Erleben wir doch jetzt schon
eine Retroshow in Permanenz. Fast jeden Tag informieren uns die
Gazetten an der Spree, dass mit irgendeiner S-Bahnverlängerung
ins Brandenburger Umland wieder "'n schönet altet Stück
Westberlin jestorben is". Mauerzeiten müssen herrlich gewesen
sein. Klar, dass man auf der richtigen Seite wohnen musste. Aber
das war offensichtlich ein Gottesurteil, das kein Hartmut Mehdorn,
der aus Charlottenburg (City-West!) stammt, außer Kraft setzen
darf. "Et ist die höchste Eisenbahn" lautete ein Spruch aus
Zeiten, als in Berlin noch keine Schizophrenie herrschte. Heute
singt man lieber: "Der Insulaner hofft unbeirrt, dass seine
Halbstadt wieder'n schönes Eiland wird". Und anschließend
gehen wir in den Zoo.
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