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Claudia Heine
Schon länger ein Problemfall
Visa-Untersuchungsausschuss beschäftigt
sich mit "Kiew-Komplex"
Der Zeuge ist insofern eine Besonderheit, als dass er sich sehr
gut erinnert", stellte Hans-Peter Uhl (CSU) fest. Der Vorsitzende
des Visa-Untersuchungsausschusses verstand diese Bemerkung jedoch
nicht unbedingt als Lob. Es galt, die Wogen zu glätten, die
die Aussagen von Nikolai von Schoepff während der Sitzung am
12. Mai aufgeworfen hatten. Denn sein gutes
Erinnerungsvermögen unterstützte der Zeuge, von 1993 bis
1996 Leiter des Konsularreferates der Kiewer Botschaft, durch
zahlreiche Zitate aus Akten, die dem Ausschuss bis dahin unbekannt
waren. Von Schoepff griff - auch mit Hilfe von solchen Akten - die
Visapolitik der christlich-liberalen Koalition unter Helmut Kohl
scharf an und sorgte dadurch bei den Oppositionsfraktionen im
Ausschuss für erhebliche Gereiztheit. "Sie überraschen
uns hier ständig mit neuen Erlassen", bemerkte Uhl und
ließ die Sitzung für eine Stunde unterbrechen, um die
unbekannten Dokumente kopieren zu lassen. Der CDU/CSU-Obmann Eckart
von Klaeden sprach von "sinnentstellender" Darstellung und dem
"Versuch der Manipulation der Beweisaufnahme".
Von Schoepff war sich indessen keines Vergehens bewusst und
betonte mehrmals, dass die Erlasse des Auswärtigen Amtes (AA)
ohnehin "etwas völlig Abstraktes" seien. "Etwas anderes ist
dagegen die Realität." Er widersprach sich damit insofern, als
dass er die Erlasslage gleichzeitig als mitverantwortlich für
Missstände an der Kiewer Botschaft beschrieb. Sein
Hauptaugenmerk lag jedoch darauf, den Mitgliedern des Ausschusses
die reale Lage an der Vertretung in Kiew in eindringlichen Bildern
zu schildern. Und die war demnach alles andere als
vorzeigenswert.
Unmögliche Zustände
Nach Darstellung von Schoepffs ist es schon Mitte der 90er-Jahre
in erheblichem Umfang zu Visumserschleichungen gekommen. Nicht nur
die Touristenvisa sondern auch die Bereiche der jüdischen
Kontingentflüchtllinge und Aussiedler seien davon betroffen
gewesen. Von Schoepff machte dafür eine Reihe von
"strukturellen Gründen" verantwortlich, die er im Laufe seines
Vortrages näher erläuterte. So beschrieb er
ausführlich "die völlig unzureichende räumliche
Ausstattung" des weltweit zweitgrößten deutschen
Konsulates. Lediglich zwei Quadratmeter hätten jedem
Mitarbeiter als Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden. "Es
waren völlig unmögliche Zustände", sagte er und
kritisierte in diesem Zusammenhang "das politische Desinteresse"
des AA unter Außenminister Klaus Kinkel (FDP). Wiederholte
Anstrengungen, in Berlin auf eine Beseitigung der Missstände
zu dringen, seien erfolglos geblieben. Von Schoepf kritisierte,
dass Kinkel die Botschaft in den Jahren seiner Tätigkeit dort,
von 1993 bis 1996, nicht besucht habe. Diesen Einwand ließ der
FDP-Obmann im Untersuchungsausschuss, Hellmut Königshaus,
nicht gelten: "Der Außenminister ist kein
Betriebsratsvorsitzender", erwiderte er in gereiztem Ton.
Als zweiten strukturellen Mangel bezeichnete der Beamte die
personelle Ausstattung des Konsulats und ging dabei vor allem auf
die so genannten Ortskräfte ein, in der Mehrzahl ukrainische
Staatsbürger. Kurz nach seinem Amtsantritt habe er mehrere von
ihnen entlassen, da sich darunter offenbar Mitarbeiter des
ukrainischen Geheimdienstes befunden hätten. Erste Hinweise
darauf hätten sich bestätigt, so von Schoepf, als diese
Mitarbeiter kurz nach der Entlassung hohe Posten im ukrainischen
Geheimdienst besetzt hätten.
Erneut wurde der Zeuge von Abgeordneten der Opposition
unterbrochen. Sie kritisierten, dass solche Einzelheiten nichts mit
dem Untersuchungsauftrag zu tun haben, der sich vor allem auf die
Erlasslage konzentriere. Immer ungeduldiger reagierte Hellmut
Königshaus: "Herr Zeuge, sie können ja hier auch nicht
über die Bundesliga sprechen." Was folgte war ein
minutenlanger Streit über den Untersuchungsauftrag des
Ausschusses, von dem Opposition und Koalition in dieser Situation
offenbar unterschiedliche Auffassungen hatten. Von Schoepff
ließ jedoch nicht beirren und erwiderte: "Es tut mir leid,
dass ich Ihnen die Zeit stehle, aber wenn ein Oberst des
ukrainischen Sicherheitsdienstes über die Visa-Vergabe in
einem deutschen Konsulat entscheidet, halte ich dies durchaus
für sehr wichtig."
"Schwierige Lage auf der Straße"
Einen weiteren Grund, der für die illegale Erschleichung
von Visa verantwortlich sei, sah von Schoepff in der "sehr
schwierigen Lage auf der Straße". Vor den Türen des
Konsulates habe die ukrainische Mafia erheblichen Einfluss auf die
Wartenden ausgeübt: "Zu uns kam nur, wer von der Mafia
vorgelassen wurde." Standgebühren von bis zu 200 Dollar habe
die Mafia von den Menschen in der Warteschlange erhoben. Auch in
diesem Zusammenhang kritisierte der Beamte das "totale
Desinteresse" des AA: "Wir haben mehrere Berichte über die
Situation nach Berlin geschickt. Aber es ist nichts geschehen."
Für heftigsten Streit sorgten die Bemerkungen von Schoepffs
in Bezug auf die Erlasslage. Er bezeichnete die Visumspolitik jener
Jahre als nicht "realitätsorientiert" und bemängelte,
"dass die Vorgaben die Ermessensentscheidungen vor Ort erheblich
einschränkten". "Sie haben Missbrauch gefördert", stellte
er fest. Von Schoepff zitierte aus einem Erlass von 1994, der von
dem Grundsatz "so viel Reisefreiheit wie möglich, so viel
Kontrolle wie nötig" ausgegangen sei. In diesem habe es
geheißen, geringe Verdachtsmomente würden nicht
ausreichen, um einen Visumsantrag abzulehnen. Vielmehr müsse
ein hinreichender Verdacht bestehen, um Anträge abzulehnen.
Allerdings hätten sich die Mitarbeiter zu einer solchen
intensiven Prüfung nicht in der Lage gesehen. "Wir konnten ja
keine richtige Ermessensentscheidung treffen", beklagte er. Ferner
hätten Visa von Messebesuchern nicht mehr so intensiv
geprüft werden müssen. Für Gruppen- oder
Pauschalreisen hätten Visa ohne Verpflichtungserklärung
erteilt werden dürfen. Dem widersprachen die Unionsfraktionen.
Von Klaeden verwies auf Passagen der Erlasse, wonach auf eine
Verpflichtungserklärung etwa nur bei Nachweis von
Vorausszahlungen der Reisekosten verzichtet werden durfte.
Außerdem hätten die Visa-Erleichterungen nicht von einer
sorgfältigen Prüfung der Anträge entbunden.
Die Unionsfraktionen zeigten sich empört darüber, dass
dem Ausschuss offenbar wichtige Akten vorenthalten wurden. "So kann
man nicht arbeiten", sagte Siegfried Kauder von der CDU. Anders
reagierten die Mitglieder von Rot-Grün. Der Grünen-Obmann
Jerzy Montag attestierte der Union "höchste Aufregung und
größtes Durcheinander", weil der Zeuge auf
Missstände hingewiesen habe, die bereits unter der
Kohl-Regierung existiert hätten. "Das ist eine interessante
Kontiniutät." Auch was den Sitzungsablauf anging, setzte der
Ausschuss eine Kontinuität fort. Bis zum frühen Abend
konnte lediglich der erste von fünf Zeugen vernommen
werden.
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