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Günter Pursch
Deutliches Ja zur EU-Verfassung
Überwältigende Mehrheit trotz
spürbaren Widerstands aus der CDU/CSU
Die EU-Verfassung hat am 12. Mai mit
überwältigender Mehrheit die Zustimmung des Bundestages
erhalten. Von den 594 Mitgliedern des Hauses stimmten 569 mit Ja,
20 Unions-Abgeordnete und die drei fraktionslosen Parlamentarier
votierten dagegen, zwei SPD-Abgeordnete enthielten sich. Das ist
eine Zustimmung von mehr als 95 Prozent. Die erforderliche
Zwei-Drittel-Mehrheit wurde damit deutlich übertroffen. Dieses
Ergebnis wird als Signal für die Volksabstimmung in Frankreich
am 29. Mai gewertet. Auch bei dem Votum des Bundesrates am 27. Mai
ist mit einer deutlichen Mehrheit zu rechnen. Die Verfassung kann
erst in Kraft treten, wenn alle 25 EU-Staaten sie gebilligt
haben.
In einer Regierungserklärung hob
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vor der Abstimmung im
Bundestag hervor, dass die EU durch die Verfassung demokratischer
und auch bürgernäher würde. Das Europäische
Parlament werde gestärkt und erhalte mehr Mitwirkungsrechte.
Die nationalen Parlamente erhalten nach seinen Worten
zusätzliche Kontroll- und Informationsrechte. Die
Bundesregierung sei bereit, dem auch in einer Vereinbarung "mit dem
Deutschen Bundestag Rechnung zu tragen". Die Zuständigkeiten
zwischen der nationalen und der europäischen Ebene werden in
der Verfassung klarer getrennt, erklärte Schröder. Mit
"dem Entscheidungsmodus der doppelten Mehrheit" sei das
urdemokratische Prinzip "Ein Bürger, eine Stimme"
gewährleistet: "Wer in Europa mehr Demokratie will, der muss
für diese Verfassung stimmen", mahnte der Kanzler
eindringlich.
"Freiheit, Gleichheit, Solidarität als
Grundsätze der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - das alles
ist als Identität der Europäischen Union jetzt im
Verfassungsvertrag festgeschrieben", unterstrich die CDU-Partei-
und CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Angela Merkel in der Debatte.
Allerdings hätte sich die Union gewünscht, dass auch
"über die Wurzel unseres Erbes, über das
jüdisch-christliche Erbe, in diesem Verfassungsvertrag eine
deutlichere Auskunft gegeben worden wäre." Nach ihren Worten
hätte "ein klarer Gottesbezug uns mit Sicherheit geholfen,
unsere Identität klarer zu definieren". Auch wenn ihr nicht
alles in dieser Verfassung gefalle, könne sie "mit vollem
Herzen Ja sagen".
Für die Verfassungsgegner kündigte
der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler den erneuten Gang vor das
Bundesverfassungsgericht an. Nach seiner Auffassung werde durch die
EU-Verfassung das Grundgesetz "zur Disposition gestellt". Mit einer
ersten Klage war Gauweiler im April aus formalen Gründen
gescheitert.
Auch künftig kann der Bundestag die
Bundesregierung bei wichtigen Entscheidungen der EU nicht binden.
Die Fraktionen haben sich deshalb darauf geeinigt, dass die
Unterrichtungspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament
erheblich ausgeweitet wird. So muss der Bundestag unverzüglich
und noch vor den Entscheidungen über alle EU-Entwürfe,
Stellungnahmen und Empfehlungen unterrichtet werden. Der Bundestag
wird mit einer eigenen Repräsentanz in Brüssel vertreten
sein, um frühzeitig den Informationsfluss für die
Parlamentarier zu gewährleisten.
Bei Gesetzgebungsakten der EU sollen
Informationen und Bewertungen der Bundesregierung innerhalb von
zwei Wochen dem Bundestag zugeleitet werden. Damit sollen Klagen
wegen Verletzung der Zuständigkeiten innerhalb der
Sechs-Wochen-Frist eingereicht werden können. Dieses
Klagerecht beim Europäischen Gerichtshof steht künftig
auch einer Fraktion zu, wenn sich nicht eine Zwei-Drittel-Mehrheit
des Bundestages dagegen ausspricht. Während des
Überganges von der Einstimmigkeit zu Mehrheitsentscheidungen
in der EU kann der Bundestag - wie jedes andere Parlament innerhalb
der Union auch - widersprechen. Bundestag und Bundesrat entscheiden
darüber je nach Zuständigkeit. Bei gemeinsamer
Zuständigkeit müssen Bundestag und Bundesrat zustimmen.
Zwei-Drittel-Mehrheiten des Bundesrates können nur mit
gleicher Mehrheit des Bundestages überstimmt werden. Für
die Ernennung von Richtern des Europäischen Gerichtshofes und
des Generalanwalts der EU ist künftigt nicht mehr die
Bundesregierung, sondern der Richterwahlausschuss
zuständig.
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