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Julia Gerlach
Verklärung und Aufklärung
Die Wahrheit über die Unruhen in Usbekistan
bleibt vorerst im Dunkeln
Als Mitte Mai 2005 die ersten Meldungen
über politische Unruhen im usbekischen Andidschan über
die Newsticker liefen, glaubten demokratische Optimisten - oder
optimistische Demokraten - zunächst an die vielbeschworene
Kettenreaktion des Niedergangs autoritärer Regime in den
ehemaligen Sowjetrepubliken. Nach dem Abschütteln der
Nomenklatur erst in Georgien, dann in der Ukraine und in Kirgistan
bäumte sich die Bevölkerung nun auch in Usbekistan auf.
Doch die Usbeken konnten nicht die Erfolgsgeschichte des
Siegeszuges einer orangenfarbenden, Rosen-, oder Tulpen-Revolution
weiterspinnen.
Wie viele Menschen tatsächlich an jenen
Maitagen in Andidschan ihr Leben lassen mussten, wird die
Weltöffentlichkeit vielleicht nie erfahren. Nach Angaben von
Menschenrechtsorganisationen liegt sie zwischen 500 und 1.000.
Dieser großzügige Rahmen lässt erahnen, wie
spekulativ die Schätzungen tatsächlich sind. Die
usbekische Regierung unter ihrem Präsidenten Islam Karimow
spricht von 173 Todesopfern, darunter vielen regierungstreuen
Soldaten. Wer selbst über so genaue Informationen
verfügt, scheint es nicht nötig zu haben,
ausländischen Journalisten und Beobachtern während der
Unruhen die Berichterstattung zu erlauben. Wie sonst erklärt
sich die Ausweisung aller Ausländer aus der Region Andidschan
kurz nach Ausbruch der Gewalt? Die usbekische Regierung dementiert,
die Sorge um das Wohl der Nicht-Usbeken sei zu groß gewesen,
für ihre Sicherheit habe man nicht garantieren
können.
Auch die Hintergründe der Unruhen
verschließen sich bislang objektiver Aufklärung. Die
einzigen Fakten hierzu betreffen ihren Auslöser: 23
Geschäftsleute aus Andidschan standen vor Gericht. Sie waren
im Juni 2004 verhaftet worden, weil ihnen die Zugehörigkeit zu
der islamistischen Organisation Akramiya, einer Abspaltung der
weltweit agierenden Hizb ut-Tahrir, zur Last gelegt wurde.
Freiheitsstrafen und Geldbußen, Geschäftsaufgabe und ein
jähes Ende ihrer wirtschaftlichen Existenz drohten in einem
Prozess, der im Februar dieses Jahres begann.
Gegen die Inhaftierung und den Prozess regte
sich Widerstand, zunächst bei den Betroffenen und ihren
Angehörigen, schließlich auch bei anderen Bürgern:
Es handele sich um einen in Karimow-Usbekistan beliebten
Pauschalvorwurf, die Angeklagten seien aber keine Islamisten.
Vielmehr gehe es um Macht und Einfluss. Die grauen Eminenzen
Andidschans duldeten keine Konkurrenz.
Neben diesen Protesten kam es zur
Erstürmung eines Gefängnisses und der Freilassung der
Insassen, darunter auch der inhaftierten Geschäftsleute - mit
Waffengewalt. Bewaffnete hatten bereits einige Tage zuvor einen
Militärposten überfallen und dabei wertvolle Beute
gemacht, mit der sich die Gefängniserstürmung
durchführen ließ. Im weiteren Verlauf des Tages
stürmte eine aufgebrachte Menschenmenge das "Hokimyat"
(Regionalverwaltung) von Andidschan, wobei Mitarbeiter zeitweise
als Geiseln genommen wurden.
Seit Mitte der 90er-Jahre nutzt
Präsident Karimow die "Islamismus-Keule" zunehmend, um
politische Gegner gleich welcher Couleur auszuschalten. Dabei
argumentiert er mit diversen Anschlägen in Usbekistan, wovon
einer im Jahre 1999 ihm selbst gegolten habe. Der 11. September,
dessen politische Folgen Karimow einen Status als Verbündeter
der USA einbrachte, bescherte seinem mit allen Mitteln verfochtenen
Anti-Islamismus internationale Salonfähigkeit. Den weltweiten
Kampf gegen den Terror interpretierte er bescheiden als
nachträgliche Bestätigung seines eigenen politischen
Vorgehens, die Koalition mit den USA erwies sich für ihn in
dieser Hinsicht als Ritterschlag.
Trotz der Instrumentalisierung des
islamischen Fundamentalismus durch Karimow darf der Islamismus in
Usbekistan nicht unterschätzt werden. Das gilt insbesondere
für die östlichen Gebiete des Landes, speziell für
das Fergana-Tal, in dem auch Andidschan liegt. Islamistischen
Rattenfängern gelang es, in Zeiten beispiellosen
wirtschaftlichen und ideellen Niedergangs durch soziale und
schulische Angebote Anhänger zu werben. Zahlreiche neue
Moscheen wurden errichtet, der Islam erlebte nach 70-jähriger
Unterdrückung durch die Sowjets eine Renaissance. Sowohl im
afghanischen als auch im tadschikischen Bürgerkrieg
kämpften usbekische Mudschaheddin-Söldner. Finanziert aus
dem Ausland, insbesondere aus Saudi-Arabien und der Türkei,
verfügten die usbekischen Islamisten bald nicht nur über
ein globales Netzwerk aus "Dschihad-Zeiten" in Afghanistan und
Tadschikistan, sondern auch über bereitwillige
Sponsoren.
Vergleichbare Finanzquellen und
Auslandskontakte besitzen andere Gegner des "Systems Karimow" nicht
- und auch nicht die Öffentlichkeit, die den islamischen
Fundamentalisten durch Karimows ritualisierte
Feind-Erklärungen zuteil wird. In einer nun etwa 15 Jahre
währenden Repressionsgeschichte politischer Gegner in
Usbekistan sind die Islamisten als einzig ernstzunehmende
Opposition übriggeblieben. Demokratische Opponenten konnte
Karimow durch die Bank kaltstellen: Er ließ sie verfolgen und
inhaftieren, oder sie suchten freiwillig das Weite im Exil. Ob
Birlik oder Erk, die einst organisierte politische Opposition im
Lande ist vollkommen zerschlagen. Um das politische Theater im
"Oliy Maschlis", dem Parlament, zu inszenieren, ließ Karimow
vier große Parteien neben seiner eigenen zu. Man kennt sich
gut, Politik verbindet. Die legale Neugründung von Parteien
wurde mithilfe eines neuen Parteiengesetzes so sehr erschwert, dass
sie unter den gegenwärtigen Bedingungen unmöglich ist:
50.000 Unterstützerunterschriften und Basisgruppen in allen
zwölf usbekischen "Viyolaten" (Provinzen) und in der
Hauptstadt Taschkent bilden die materiellen Voraussetzungen. In der
Praxis kommen etliche weitere Hürden hinzu. Dies treibt auch
weniger fundamentalistisch eingestellte Karimow-Gegner in die
Reihen der Islamisten.
Wahrscheinlich waren es Islamisten, die den
Überfall auf den Militärposten und die Erstürmung
des Gefängnisses verübten. Zumindest verfügen
islamistische Gruppen über das entsprechende Know-How sowie
die organisatorischen und personellen Voraussetzungen. Vermutlich
liefen in Andidschan zwei unabhängige Entwicklungen zusammen:
Die keineswegs islamistisch motivierten Proteste gegen den Prozess
und die Gefängniserstürmung durch Islamisten. Beides
zusammen mündete in die Besetzung des "Hokimyats". Es
könnte sein, dass Islamisten die aufgeheizte Stimmung und die
bereits bestehende Unruhe bewusst nutzten, um selbst aktiv zu
werden. Auszuschließen ist nicht, dass sich Anhänger der
Proteste dem Gefängnissturm anschlossen oder die Islamisten
sich unter die Protestierenden mischten, wenn auch nicht im Namen
Allahs, das ist Tatsache. Unabhängige Beobachter jedenfalls
berichten, bevor sie der Stadt verwiesen wurden,
übereinstimmend von genuin demokratischen und friedlich
vorgetragenen Forderungen, darunter nach dem Rücktritt des
Präsidenten. Dieser ließ es sich, nach offiziellen
Angaben, zeitnah nach Ausbruch der Unruhen nicht nehmen, selbst ins
Krisengebiet zu reisen, um mit den "Aufständischen" zu
verhandeln.
Republikflucht, wie von Amtskollege Askar
Akajew in Kirgistan präjudiziert, stand für Karimow
ebenso wenig zur Debatte wie die Preisgabe seiner Macht. Zweites
machte er zur Prämisse. So wurde er nicht in persona in
Andidschan gesichtet, an seiner Stelle aber seine Truppen. Einen
Schießbefehl will er selbst nicht erteilt haben. Für die
Opfer besteht darin kein Unterschied. "Aufständische",
"Kriminelle", "Islamisten" macht er verantwortlich für das
Blutbad von Andidschan. Die Regierungstruppen, bemüht, mit
ihren Panzern nach dem Rechten zu sehen, seien angegriffen worden.
Blutig niedergeschlagen wurde übrigens nicht die
Erstürmung des Gefängnisses, nicht die Besetzung der
Regionalverwaltung, sondern eine Protestversammlung in
Andidschan.
Untersuchungen von ausländischer Seite
werden kategorisch abgelehnt, ganz gleich, ob von Staaten,
Staatenzusammenschlüssen oder Menschenrechtsorganisationen
gefordert. Über einen wohl dramaturgisierten Kurzbesuch
einiger gesonnener Beobachter samt linientreuem Kamerateam in
ausgewählten Straßenzügen der hastig
aufgeräumten Stadt ist die Krisendiplomatie bislang nicht
hinausgekommen. Auf alte Bünde ist Verlass, Russland unter
Präsident Wladimir Putin pflichtet den usbekischen
Brüdern bei. Außenminister Sergej Lawrow übernimmt
kritiklos die Karimowsche Rhetorik bei der Beurteilung der
Ereignisse.
Auch die neuen Freunde jenseits des Atlantiks
zeigen Verständnis - wenn auch weniger, zumindest fürs
Protokoll. Beunruhigt zeigen sie sich, tief beunruhigt. Eine
Untersuchung der Umstände würden sie begrüßen,
so zumindest die erste Reaktion des Weißen Hauses. Wenige Tage
später setzen die USA eine usbekische Islamistenorganisation
auf die "Terror-Liste". Es folgt eine Aufforderung an alle
amerikanischen Staatsbürger, Usbekistan umgehend zu verlassen,
aus Angst vor Anschlägen von Islamisten.
Usbekistan im Herzen Zentralasiens ist von
großer geopolitischer Bedeutung - auch für die USA. Im
Südosten des Landes unterhält Washington den
Luftwaffenstützpunkt Karschi-Khanabad unweit der afghanischen
Grenze. Um diesen nicht zu verlieren, schlagen sich die Vereinigten
Staaten nun auf die usbekisch-russische Seite. Inzwischen
dementierte ein Sprecher des Weißen Hauses zumindest
Presseberichte, nach denen die USA eine Forderung der NATO nach
einer internationalen Kommission in Andidschan verhindert habe. Die
von Präsident Karimow eingesetzte Untersuchungskommission, der
16 Mitglieder des usbekischen Parlaments angehören, wird aber
wohl trotzdem keine internationale Konkurrenz zu befürchten
haben - zumindest nicht im eigenen Land.
In Kirgistan trafen indes Vertreter der
Vereinten Nationen ein, um die Unruhen im Osten des Nachbarlandes
aufzuklären. Doch ihnen sind die Hände gebunden: Sie
erhalten von der usbekischen Regierung keine Erlaubnis, an den Ort
des Geschehens zu reisen. Die scheinbar einzige Möglichkeit,
die ihnen bleibt, um Licht ins Dunkel des 13. Mai zu bringen liegt
darin, usbekische Flüchtlinge aus Andidschan in Kirgisien nach
den Ereignissen zu befragen. Eine umfassende und gründliche
Aufklärung bleibt unter diesen Bedingungen
ausgeschlossen.
Bislang überwiegt die Verklärung
der Unruhen von Andidschan. Die usbekische Regierung besitzt kein
Interesse an einer Aufklärung. Russland und die USA, in ein
wiederaufgelegtes "Great Game" verstrickt, buhlen um die Gunst von
Präsident Karimow. Macht und Einfluss in der
zentralasiatischen Region erhalten den Zuschlag vor der
Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten. Beide Staaten
unterscheiden sich lediglich in der Rhetorik. Während Moskau
den usbekischen Sprachgebrauch adaptiert und sich hinter Taschkent
stellt, behält Washington seinen eigenen bei und gibt sich
distanziert. Staatenzusammenschlüsse scheitern mit ihren
Vorstößen zur Untersuchung. Die Vereinten Nationen
können in Kirgistan keine Aufklärung der Ereignisse in
Usbekistan leisten. Die Flüchtlingsbefragung könnte eher
zur Verklärung als zur Aufklärung beitragen.
Voraussetzung einer erfolgreichen Untersuchung ist die Erlaubnis
der usbekischen Regierung, eine internationale
Aufklärungskommission zuzulassen. Ohne internationalen Druck
ist eine solche Wende jedoch nicht zu erwarten.
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