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Karl Klebe
Gegängelte Musen
Musik in der ehemaligen DDR
Erst mit der deutschen Wiedervereinigung 1990
wurde deutlich, in welch einem Ausmaß das Musikleben und
-schaffen in der DDR ein von der westlichen Welt weitgehend
unbeachtetes Eigenleben geführt haben. Fundamentales Material
über die Entwicklungen im Westen wie im Osten Deutschlands bis
in die 70er-Jahre ist schon vor rund zehn Jahren anhand von
vielfach bis dahin nicht allgemein zugänglichen Dokumenten in
einer hervorragenden Kommentierung von Ulrich Dibelius und Frank
Schneider herausgegeben worden. Die wesentlichen Unterschiede -
eine im Westen ungezügelte Avantgarde und eine sich
Gängelungen auf vielfältige Weise widersetzende
Künstlerschaft im Osten - sind hier bereits klar
aufgezeigt.
Eine nur auf die Verhältnisse der DDR
bezogene Gesamtschau auf Entwicklungen in der Neuen Musik in ihren
Spannungsfeldern zwischen Politik und Gesellschaft fehlt jedoch
bisher. Tatsächlich sind noch viele Fragen offen, ob und wie
weit es Künstlern angesichts zunächst immer engmaschiger
werdender Normierungen möglich war, freies Schöpfertum zu
bewahren und welchen politischen Zwängen sie sich nicht
entziehen konnten.
Schon seit einigen Jahren forscht eine Gruppe
von Wissenschaftlern am Institut für Musikwissenschaft
Weimar-Jena auf diesen Feldern, nicht zuletzt, um ein Stück
deutscher Musikgeschichte, die durch die Teilung aus dem
allgemeinen Blickfeld geraten war, nicht verloren gehen zu lassen.
Als ein Teilergebnis wurden nunmehr die Beiträge eines
Symposions aus dem Jahre 2001 vorgelegt. Leider lässt der Band
häufig eine Tendenz zum Marginalen erkennen, die - für
präzise Erkenntnisse in der Wissenschaft zwar unverzichtbar -
kaum geeignet ist, in breitem Maße Adressaten anzusprechen.
Eine derartig das Spezielle auf die Spitze treibende Form der
Darstellung führt zur Selbstverkapselung im elfenbeinernen
Turm. Das mag intern angehen. Bei Veröffentlichungen mit
erhoffter Breitenwirkung schafft dies eher Verwirrung.
Schon die Einleitung, die in überzogener
"Sprachverfeinerung" zum Wort "ersteres" den Begriff "zweiteres"
hinzu erfindet, wirkt in ihrer Gestelztheit befremdlich. Wenn dann
im ersten Beitrag von Michael Berg das Symposion "introduziert"
wird, irritiert das sprachlich ebenso wie in sachlicher Hinsicht
die tendenziöse Bemerkung über die Rede des Dirigenten
Hans von Bülow im Jahre 1892 aus Anlass von Bismarcks
Entlassung als Reichskanzler, die mit dem "Taumel der Ereignisse
von 1871" an dieser Stelle als Auslöser nichts zu tun
hat.
Der folgende Hinweis auf propagandistische
Interpretationen von Beethovens Eroica durch das FDJ-Orchester in
der DDR spiegelt persönliche, wissenschaftlich nicht belegte
Eindrücke. Dabei geht unter, dass die oft hervorragenden
Wiedergaben dieser in kürzester Zeit zusammengestellten
Klangkörper objektiv die exzellente Musikausbildung in der DDR
bewiesen. Wenn dann als idealtypisch ausgerechnet die
Interpretation der Eroica durch den italienischen Dirigenten Victor
de Sabata gelobt wird, dessen Rolle im Faschismus und im Nazireich
noch der Aufarbeitung harrt, enthüllt das die
Fragwürdigkeit solcher Ansätze. Unklar bleibt bei dem
Autor auch, was er wohl mit einer "sogenannten Wende" meinen
könnte.
Es folgen Beiträge, die als
Einzelbetrachtungen für Spezialisten durchaus wertvoll sind,
das angestrebte Ganze aber nicht im Auge haben, sondern
streckenweise wie Geisterdiskussionen erscheinen. Andere
Beiträge gehören nicht unmittelbar zum Thema ("Russland
als Musiklandschaft der 90er-Jahre"). Selbst die interessante
Schlussdiskussion mit Zelebritäten wie Mauricio Kagel und
Friedrich Goldmann bringt wenig Erhellendes. Einzig der Beitrag von
Frank Schneider über historische Zusammenhänge weist den
Weg, den man wohl zwingend gehen muss, wenn man ans Ziel gelangen
will.
So löblich im übrigen die
beigefügten zwei CD's mit Beispielen zum Musikschaffen der DDR
sind, so hätte man sich historische Einspielungen und nicht
überwiegend Neuaufnahmen ebenso gewünscht wie sinnvolle
Verweisungen auf die Stücke in den einzelnen Beiträgen.
So steht das Ganze für sich isoliert. Das Fehlen eines
Personen- und Sachregisters macht das Buch für
wissenschaftliches Arbeiten fast unbrauchbar. Bedauerlicherweise
werden auch die einzelnen Autoren nicht in Kurzbiografien
vorgestellt.
Michael Berg, Albrecht von Massow, Nina Noeske
(Hrsg.)
Zwischen Macht und
Freiheit.
Neue Musik in der DDR.
Böhlau Verlag, Köln/Weimar 2004;
198 S., 29,90 Euro
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