Jörg Jakob
Fahnen, Lieder, Kinder und Schulen
Erinnerungen an die Jungen Pioniere in der
DDR
Es gab blaue und rote Halstücher, Ausweise, einen
Pioniergruß, Fahnenappelle und eine Pionierrepublik - die lag
am Werbellinsee. Und es glich einer Auszeichnung, dorthin delegiert
zu werden. Die Pionierorganisation war in der DDR über vier
Jahrzehnte so eng mit der Schule verzahnt, dass fast jeder, der im
Osten aufgewachsen ist, persönliche Erinnerungen an "die
Pioniere" hat.
Die Strukturen der Schule wurden genutzt, um die Organisation
fest zu installieren und die Mitgliedschaft als
selbstverständlich erscheinen zu lassen.
Pionierveranstaltungen waren so oft auch Klassenveranstaltungen,
von denen die wenigen Nichtmitglieder dann automatisch
ausgeschlossen waren. Die Meinungen über die Pioniere gehen
auseinander: Die einen vergleichen sie mit der Hitlerjugend, andere
sehen viele positive Seiten. Erinnerungen an Pionierlieder,
Klassenfahrten und erste Liebe kreuzen sich mit denen an erzwungene
Mitgliedschaft und militärische Rituale.
Wann immer das Thema Pioniere zur Sprache kam, erlebte die
Journalistin Barbara Feldmann starkes Interesse bei
Gesprächspartnern in Ost und West. So begann sie auch schon
kurz nach Wende, persönliche Erinnerungen zu sammeln. In ihrem
Buch kommen so beispielsweise die Brüder Karl und Paul
Maercker zu Wort, die sie schon 1991 interviewt hatte. Damals waren
die beiden zwölf und zehn Jahre alt; ihre Erinnerungen sind
noch unverbraucht und entsprechend detailliert.
Rechtfertigungsversuche
17 solche Gespräche mit ganz unterschiedlichen Menschen aus
verschiedenen Generationen, die in unterschiedlichen Phasen der DDR
selbst einmal Pionier oder eben kein Pionier gewesen sind, ergeben
zusammen ein vielschichtiges Bild. Es kommen nicht nur ehemalige
Schüler zu Wort, sondern auch die Lehrerin und der
Schuldirektor, Pionierleiter und mit Wilfried Poßner auch ein
führender Pionierfunktionär, dessen Textbeitrag sich
über weite Strecken wie ein Rechtfertigungsversuch für
seine frühere Funktion liest. Ein interessanter Anhang mit
zahlreichen Wort- und Bilddokumenten liefert dazu
Hintergrundinformationen zur Geschichte der Pionierbewegung.
Aufschlussreich ist beispielsweise die Geschichte des
titelgebenden Liedes vom kleinen Trompeter, an das sich wohl jeder
ehemalige Pionier erinnern kann. Das Lied ist im Ursprung auf ein
Soldatenlied des Ersten Weltkriegs zurückzuführen und
gehörte leicht abgewandelt seit den 20er-Jahren ebenso zum
Liedgut der kommunistischen Arbeiterbewegung, wie es in einer
ähnlichen Version im Liederbuch der SA stand.
Die Dokumente und Materialien sprechen weitgehend für sich,
wie der fiktive Brief eines elfjährigen Schülers "an den
Bundeskanzler Dr. Adenauer" (1951) belegt. Die militärische
Kommandosprache der Appellordnung, die Gebote und Gesetze der
Pioniere sowie Auszüge aus einem Pioniergruppentagebuch einer
4. Klasse von 1974/75 ergänzen und illustrieren darüber
hinaus die Berichte der Interviewpartner aus ihrer
DDR-Schulzeit.
Inwieweit der Titel glücklich gewählt ist, mag eine
Geschmacksfrage sein. Auch hinterlässt die Zusammenstellung
der Gespräche und Dokumente den Eindruck einer gewissen
Beliebigkeit. Dennoch vermitteln die unterschiedlichen Stimmen, die
hier zu Wort kommen, ein umfassendes Bild der Organisation, die
für die meisten Menschen in den neuen Ländern ein
Stück Lebensgeschichte bedeutete.
Barbara Feldmann
Beim Kleinen Trompeter habe ich immer geweint.
Kindheit in der DDR - Erinnerungen an die Jungen
Pioniere.
Lukas Verlag, Berlin 2004; 375 S., 19,80 Euro
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