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Hartmut Hausmann
Gordischer Finanzknoten nur schwer zu
lockern
EU-Gipfel beriet nach Verfassung über
finanzielle Vorausschau der Gemeinschaft
Die Erwartungshaltung war bewusst niedrig
gehalten worden. Mit ungewöhnlich negativen Prognosen machten
sich die Staats- und Regierungschefs am 17. Juni daran, den zweiten
gordischen Knoten des Brüssler EU-Gipfels zu lösen: die
finanzielle Vorausschau der Gemeinschaft für den Zeitraum 2007
bis 2013. Beim Geld hört die Freundschaft bekanntlich auf -
daher wurde in Brüssel hart gerungen, um sich auf einen
gemeinsamen Finanzrahmen für die kommenden Jahre zu
einigen.
Der amtierende Ratspräsident Jean-Claude
Juncker hatte zu Beginn des Treffens die Hoffnungen auf einen
Kompromiss schon einmal gedämpft. "Mit einem Vergnügen,
dessen Ausmaß sie gar nicht ermessen können",
überlasse er es den Briten, in Brüssel eine Lösung
im Streit ums EU-Geld zu präsentieren, sagte Juncker am
Vortag. Ein kleiner Wink in Richtung seines Kollegen Tony Blair,
der am 1. Juli vom Luxemburger Juncker die Ratspräsidentschaft
übernehmen wird.
Der Pessimismus des Präsidenten
könnte allerdings auch ein Stück Verhandlungstaktik
gewesen sein: Zusammen mit der Vorhersage, das Ganze sei
hoffnungslos, legte er einen neuen Kompromissvorschlag auf den
Tisch des Rates. Danach sollen die EU-Ausgaben von 2007 bis 2013
auf 1,06 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU oder insgesamt rund
870 Milliarden Euro begrenzt werden. Der umstrittene Beitragsrabatt
für Großbritannien soll auf dem Durchschnittswert der
vergangenen Jahre von 4,6 Milliarden Euro pro Jahr eingefroren
werden. Von einem Abschmelzen ist in dem Kompromisspapier keine
Rede mehr.
Mit diesem Vorschlag soll den Briten eine
goldene Brücke gebaut werden, mit dem Köder, dieses
für sie lästige Thema während der eigenen
Präsidentschaft vom Tisch zu haben. Mehr könne Blair auf
keinen Fall erwarten, heißt es in Brüsseler
Diplomatenkreisen.
Erste Reaktionen auf das Kompromisspapier
nährten dann doch wieder Hoffnungen auf einen Durchbruch und
auf das taktische Geschick Junckers. Denn wenn es um komplizierte
und scheinbar aussichtslose Verhandlungen geht, wird dem in einem
Alter von gerade einmal 50 Jahren dienstältesten
EU-Regierungschef fast alles zugetraut.
Der amtierende Ratspräsident Juncker hat
1991 den wirtschaftlichen Teil des Vertrages von Maastricht
entworfen, der Europa den Euro gebracht hat. Und 1996 vermittelte
er erfolgreich im Streit zwischen Deutschland und Frankreich
über den Europäischen Stabilitätspakt, den viele
damals für nicht lösbar hielten. Als beide Länder
jetzt gemeinsam versuchten, diesen Pakt wieder auszuhebeln,
schaffte es Juncker vor wenigen Monaten erneut, eine Einigung der
25 EU-Staaten herbeizuführen. Der Luxemburger wurde dafür
zunächst heftig kritisiert. Er sei den beiden
Defizitsündern zu weit entgegen gekommen, hieß es. Was
der Kompromiss tatsächlich bedeutet, dürfte allerdings
insbesondere Deutschland zu spüren bekommen, wenn im Herbst
das Verfahren wegen der zu hohen Verschuldung wieder in Gang
gesetzt wird.
So war es von Juncker schon im Vorfeld des
Gipfels geschickt eingefädelt, den Konflikt vor allem auf zwei
Problemzonen zu fokussieren: Der Brite Tony Blair lehnte
Änderungen an seinem Rabatt ab, solange Europa nicht eine
Grundsatzdebatte über die Milliardenschweren Agrarsubventionen
führt. Dem verweigerte sich wiederum Frankreichs Jacques
Chirac, dessen Bauern am meisten von dem Brüsseler Geld
profitieren und die bisher noch jede Regierung in Paris in die Knie
zwangen, die an diesem Privileg ernsthaft zu rütteln wagte.
Chirac hat dabei ein gutes Argument: Der Agrarhaushalt wurde
bereits 2002 - mit Zustimmung Blairs - festgeschrieben. Mit einem
Trick versucht Juncker in seinem letzten Vorschlag, beiden gerecht
zu werden: Der Agrarhaushalt würde danach sogar noch leicht,
von 293 auf 295 Milliarden Euro angehoben. Darin sollen dann
allerdings rund acht Milliarden Euro enthalten sein, die Bulgarien
und Rumänien nach einem Beitritt 2007 zustehen und die bisher
an anderer Stelle im Haushalt vorgesehen sind. Die Differenz von
rund sechs Milliarden ginge zu Lasten der Bauern der jetzigen
Union, vor allem der aus Frankreich.
Der Bereich Agrar-, Fischerei- und
Umweltpolitik soll mit 378 Milliarden Euro auskommen, immerhin nur
sechs Prozent weniger als ursprünglich veranschlagt.
Einschneidender sollen dagegen die Kürzungen im Bereich
Forschung und Entwicklung sowie berufliche Förderung
ausfallen. Hier ist mit einem Minus von 41 Prozent zu rechnen. Da
es hier, anders als bei den straff organisierten Landwirten keine
schlagkräftige Lobby gibt, könnten so die erst im
Frühjahr gefassten Beschlüsse zur Lissabonner Strategie
wieder aufgehoben werden.
Mit einem buchhalterischen Trick senkt
Juncker in seinem Vorschlag auch die EU-Ausgaben im Bereich der
Außenbeziehungen - zumindest optisch. Damit kommt er den auf
drastische Einsparungen drängenden Ländern wie Holland
und Schweden entgegen. Danach sollen die Hilfszusagen der EU an die
so genannten AKP-Staaten, die ärmsten Länder Afrikas, der
Karibik und des Pazifikraums, künftig nicht mehr im
EU-Haushalt vorkommen. Die ihnen zustehenden rund 22,7 Milliarden
Euro sollen nach einem festgelegten Schlüssel direkt aus den
nationalen Haushalten aufgebracht werden. Da die Zahlungen der 25
EU-Staaten für die gesamte Entwicklungspolitik zugleich auf 90
Milliarden Euro deutlich angehoben werden sollen, könnte Blair
so einen Erfolg auf dem G8-Gipfel Anfang Juli in Edinburgh für
sich verbuchen.
Sollte Juncker mit dieser Strategie Erfolg
haben, hätte er erreicht, was niemand für möglich
gehalten hatte: Auch wenn das EU-Budget anstiege, würden die
tatsächlichen Ausgaben der Union künftig ein Prozent der
Wirtschaftsleistung ihrer Mitgliedstaaten nicht mehr
überschreiten. Bisher lag die Marge mit 1,24 um gut 20 Prozent
höher, auch wenn sie nie voll ausgeschöpft wurde. Ein
Prozent ist die Zahl, auf die sich die größten
Nettozahler, angeführt von Deutschland, frühzeitig
festgelegt hatten. Juncker ist ihnen sogar noch ein Stück
weiter entgegen gekommen: Er schlägt zusätzlich vor, den
pro Kopf am meisten von EU-Beiträgen belasteten Ländern,
also Deutschland, Schweden, den Niederlanden und Österreich,
in besonderer Weise entgegenzukommen. Dazu soll die Abführung
ihrer Mehrwertsteueranteile in Höhe von 0,15 Prozent in die
EU-Kasse halbiert werden.
Deutschland zahlte 2003 insgesamt 90 Euro
netto pro Einwohner in die EU-Kasse, Schweden 107 Euro und die
Niederlande 120 Euro. Ob allerdings die gegenüber dem
Kommissionsvorschlag vorgesehene Kürzung der Hilfen für
die ärmeren Länder im Süden und Osten der EU gleich
um neun Prozent auf 306,5 Milliarden Euro durchzusetzen ist, muss
abgewartet werden.
Sollte eine Einigung auf dieser Grundlage
erfolgen - das Ergebnis stand bei Redaktionsschluss noch aus -
müssten sich die Regierungen nur noch mit der EU-Kommission
und dem Europäischen Parlament einigen. Ihre Zustimmung
erscheint aber wenig problematisch, da die Kommission großes
Interesse daran hat, eine verlässliche Planungsgrundlage
für die nächsten Jahre zu haben, und der
Juncker-Kompromiss mit ihren Vorstellungen in vielen Punkten
übereinstimmt.
Die Europaabgeordneten hatten bereits am 8.
Juni ein Gesamtbudget von 1,07 Prozent der Wirtschaftsleistung
vorgeschlagen, das mit 883 Milliarden Euro nur knapp über dem
Juncker-Vorschlag lag. Zwar bekundete das Parlament weitere
Kompromissbereitschaft, wies aber auch darauf hin, dass es keine
Verpflichtung zur Einigung über eine Vorausschau um jeden
Preis gäbe. Gemäß EU-Recht sind nur jährliche
Haushaltspläne aufzustellen. Ohne Einigung aber würden
der EU wieder wie in früheren Jahren heftige, jährliche
Haushaltsauseinandersetzungen bevorstehen, bei der das Parlament am
etwas längeren Hebel sitzt. Gibt es keinen Kompromiss,
würde dies zu einer Situation führen, die es aus Sicht
der nationalen Finanzminister unbedingt zu vermeiden
gilt.
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