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Eva Grundl
Humanitarismus als Messlatte
3. Konstanzer Europa-Kolloquium
Die Vielzahl von Kulturen und Religionen hat für Europa
doppelte Bedeutung: Sie ist Europas Erbe und gleichzeitig
integrales Wesensmerkmal der Gemeinschaft in der Gegenwart. Das
Leben dieser "Vielfalt in der Einheit" muss sich täglich neu
bewähren. Eine janusköpfige Rolle spielen dabei die
Religionen. Sie führen zwar einerseits zu Konflikten, bergen
aber andererseits auch Lösungen und konkrete Handreichungen
für ein friedliches Zusammenleben.
Auf dem 3. Konstanzer Europa-Kolloquium diskutierten
Wissenschaftler, Politiker, Journalisten und Kirchenvertreter unter
dem Titel: "Religiöser Pluralismus und Toleranz in Europa",
welche Bedeutung die Religionen für das Zusammenleben haben.
"Das jesuanische Menschenbild des Evangeliums mit seinem Verbot
jeglicher Kategorisierung des Menschen ist auch für die
anderen Religionen überzeugend und einleuchtend", führte
der Politiker Heiner Geißler aus.
Auch im Koran, so die Islam-Wissenschaftlerin Angelika Hartmann
von der Universität Gießen, fände sich das zentrale
Gebot der Unantastbarkeit der Menschenwürde. Es zähle
zusammen mit der Entwicklung einer toleranten und pluralen
demokratischen Gesellschaft zu den bedeutendsten Errungenschaften
der europäischen Zivilgesellschaft. Diesen Werten müssten
sich die Weltreligionen in Gegenwart und Zukunft verstärkt
verpflichtet sehen. Als Messlatte für religiösen
Pluralismus und Toleranz in Europa wurde der Humanitarismus
ausgemacht. Er wird laut Wörterbuch definiert als "praktische
Tätigkeit, durch die versucht wird, punktuelle Probleme von
Individuen oder Menschengruppen zu lösen".
Für den französischen Publizisten Alfred Grosser
spielen dabei die Toleranz des Anderen und das Prinzip der
Reziprozität eine wichtige Rolle: "Wahrheit ist immer plural.
Sie kann aber nicht, wie es die Kirchen jahrhundertelang
praktiziert haben, per Zwang auferlegt werden", kritisierte er.
Angelika Hartmann plädierte dafür beim interkulturellen
und interreligiösen Dialog nicht mit säkularisierten
Argumenten, sondern mit gleichen kulturellen Codes zu
kommunizieren.
Wie aber kann festgestellt werden, ob die europäische
Gesellschaft ihrem Anspruch einer menschenwürdigen
Gesellschaft gerecht geworden ist? Für Heiner Geißler
gibt es dafür ein eindeutiges Indiz: die Gleichberechtigung
der Frauen. Sie stellen weltweit nicht nur den größten
Teil der Analphabeten dar, sondern werden zum Beispiel durch die
Praxis der Beschneidung körperlich und in ihrer
Menschenwürde aufs schwerste verletzt. Für den
Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Nadeem
Elyas, sind aber nicht die Weltreligionen an sich, sondern deren
Anhänger für die Unterdrückung der Frauen
verantwortlich - ebenso wie Politik und Gesellschaft.
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