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Karl-Otto Sattler
Dunkle Wolken über dem Saarland
Kohlebergbau gerät unter Druck
Die Saarländer scheinen Gefallen am Protestieren zu finden.
Monatelang hauten Eltern und Jugendliche querfeldein im Land bei
großen und kleinen Manifestationen gegen die Schließung
fast eines Drittels der Grundschulen kräftig auf den Putz. Und
nun machen ansonsten recht brave Hausbesitzer aus den Dörfern
rund um die Kleinstadt Lebach mächtig Dampf. Die Bürger
sind empört, weil sich mittlerweile zum Dauerzustand
entwickelt hat, was im Winter noch als seltener Einzelfall galt:
Regelmäßig bebt in diesem Landstrich über
Kohlegruben die Erde, versetzt die Leute in Angst und Schrecken und
richtet Schäden an Gebäuden an. Zu Hunderten
demonstrieren die Betroffenen in Lebach für ein Ende der
Kohleförderung unter bewohntem Gebiet, blockieren gelegentlich
aufgebracht die Zufahrt zu einem Schacht oder fahren immer mal
wieder in Autokorsos zu den Privatdomizilen von
CDU-Ministerpräsident Peter Müller und Managern der
Deutschen Steinkohle AG (DSK), um dem Protest Nachdruck zu
verleihen und Säcke mit Kohle auszuschütten.
Über 20 Erderschütterungen wurden im Umfeld des
Zechenstandorts Ensdorf bereits registriert, mehrere Male
ermittelte die Erdbebenwarte Freiburg sogar Stärken von 3,5
auf der Richterskala. Zwar will die DSK mit der Sprengung von
unterirdischen Sandsteinbänken, deren durch den Kohlevortrieb
aufgebaute Spannung sich entlädt und so die Beben provoziert,
das Problem in den Griff bekommen. Bislang hat diese Strategie aber
nichts genutzt. Nach Erdstößen gehen bei der Polizei und
beim Notruf bis zu 200 Anrufe ein. Jährlich zahlt die DSK in
der Region Lebach und im Warndt bei Saarbrücken 17 Millionen
Euro als Ausgleich für Schäden an Gebäuden.
Kein Zweifel: Die Eskalation rund um die Erdstöße
setzt den Bergbau, der das Saarland über Jahrhunderte
prägte, zusehends unter Druck. Mehrfach debattierte der
Landtag über die geologischen und politischen Unruhen.
Grüne und FDP fordern bereits einen schnellen Ausstieg aus der
Kohle, die regierende CDU spricht von einem "Auslauf-Bergbau" - nur
die SPD setzt noch auf eine Zukunft für das "Schwarze
Gold".
Und nun droht über den Köpfen der Kumpel neues Unheil.
In Düsseldorf werden nach dem Machtwechsel CDU und FDP die
Kohlesubventionen schneller als bislang geplant zurückfahren.
Diese Kehrtwende strahlt auch auf den Südwesten aus, ist doch
im nationalen DSK-Verbund das Schicksal der beim Bergwerk Saar
verbliebenen beiden Zechenstandorte Ensdorf und Warndt-Luisenthal
eng mit dem Schicksal der Gruben an der Ruhr verbunden. Und sollten
Union und FDP die Bundestagswahl gewinnen, dann werden die Karten
gänzlich neu gemischt: In Berlin wollen beide Parteien die
Zuschüsse des Bundes zügiger reduzieren als von
SPD-Kanzler Gerhard Schröder geplant. Der
nordrhein-westfälische FDP-Politiker Andreas Pinkwart
kündigte für den Fall eines Wechsels auf Bundesebene
schon mal Verhandlungen mit allen Beteiligten über ein
Auslaufen der Kohlebeihilfen an.
Als Chef des RAG-Konzerns, unter dessen Fittiche die DSK mit
ihren republikweit noch 35.000 Beschäftigten angesiedelt ist,
malte Werner Müller zum Entsetzen der Saar-Kumpel schon mal
ein Schreckensszenario an die Wand: Würden die Subventionen
stärker als vereinbart gekürzt, dann seien im Zuge eines
schnelleren Personalabbaus eine Zusammenlegung von Gruben und die
Konzentration der Kohleförderung auf das Ruhrrevier denkbar -
auch wenn der Standort Ensdorf, der an der Saar als einziger nach
dem Aus für Warndt-Luisenthal Ende dieses Jahres übrig
bleiben wird, eigentlich "eine gute Zeche mit Zukunft" sei. Bisher
gibt es verbindliche Zuwendungsbescheide für 2006 bis 2008 in
Höhe von 7,3 Milliarden Euro für die DSK-Gruben an Ruhr
und Saar. Kanzler Schröder hat zudem weitere Kohlehilfen von
8,6 Milliarden Euro für 2009 bis 2012 zugesagt, was aber
rechtlich noch nicht besiegelt ist.
Ohne ein genaues Datum zu nennen, plädiert Regierungschef
Peter Müller dafür, ein regionales Auslauf-Szenario mit
einem "konkreten Endzeitpunkt" für den Bergbau zu vereinbaren.
Man erwarte, so das Wirtschaftsministerium, dass die Hälfte
der so einzusparenden Kohlezuschüsse des Bundes stattdessen in
die Förderung des heimischen Strukturwandels fließen
werde. Für Klaus Meiser (CDU), Vorsitzender des
Wirtschaftsausschusses im Landtag, weckt der Machtwechsel in
Düsseldorf jedenfalls Hoffnungen auf eine "neue Qualität
der Kohlepolitik".
Angesichts der Menetekel am Horizont zeigt sich die Gewerkschaft
alarmiert. Vor einem "Super-GAU" warnt Richard Henkes,
Vize-Bezirksleiter der IG Bergbau an der Saar: Sollten die
Kohlesubventionen stärker als vorgesehen gekürzt werden,
dann werde es in den nächsten Jahren trotz aller offiziellen
Erklärungen nicht beim sozialverträglichen
Beschäftigungsabbau bleiben. Henkes: "Bei den Bergleuten und
ihren Familien geht die Angst um". Im Saarland zählt die DSK
als zentraler Wirtschaftsfaktor momentan noch 7.300 Mitarbeiter,
zudem hängen 5.000 Arbeitsplätze in Kraftwerken und
anderen Branchen an der Kohle.
Würden bei einem Sieg von Union und FDP im September in
Berlin, Düsseldorf und Saarbrücken die Weichen in der
Kohlepolitik tatsächlich neu gestellt, dann will die IG
Bergbau zunächst in politischen Verhandlungen die Interessen
der Kumpel vertreten, wie Henkes sagt. Aber für die
Gewerkschaft dürfte es ein Leichtes sein, die Bergleute auch
für Demonstrationen zu mobilisieren. Und wenn erst die Kumpel
auf der Straße marschieren, dann wird die saarländische
Lust am Protestieren zusätzlichen Auftrieb erhalten. Einen
ersten Vorgeschmack gab es schon. Als in Saarlouis bei einer mit
rund 1.000 Zuhörern überfüllten Podiumsdiskussion
die von Erdstößen betroffenen Bürger aus dem Raum
Lebach das Aus für die Kohleförderung verlangten,
demonstrierten auch die Bergleute mit massiver Präsenz
für ihre Arbeitsplätze.
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