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Johanna Metz
Erst abwinken, dann anhimmeln
Damals ...vor zehn Jahren am 24. Juni: Christo
und Jeanne-Claude verhüllen den Reichstag
Kopfschütteln - das war die Reaktion der meisten Menschen,
wenn sie von den Plänen dieses sonderbaren Künstlerpaares
namens Christo und Jeanne-Claude hörten, das es sich vor 24
Jahren in den Kopf gesetzt hatte, den Berliner Reichstag von oben
bis unten mit Plastikbahnen zu verhüllen und wie ein Paket zu
verschnüren, so das kein Türmchen des ehrwürdigen
Gebäudes mehr hinausragt. Polypropylen statt staatstragende
Pracht, und das alles für eine Million Mark!
Nachdem über die Jahre alle Bundestagspräsidenten das
Kunstprojekt abgelehnt hatten, fanden der geborene Bulgare und
seine Frau unter anderem in Bundestagspräsidentin Rita
Süssmuth eine Mitstreiterin. Und so kam es, dass die geplante
Reichstagsverhüllung plötzlich über Monate durch
Medien und parlamentarische Gremien geisterte. Skizzen und Modelle
des verhüllten Reichstags wurden ungläubig herumgereicht,
Leitartikler und Feuilletonisten zerbrachen sich den Kopf über
Sinn und Unsinn der Aktion- für viele aber war es schlicht
"Blödsinn", was die verrückten Künstler sich da
ausgedacht hatten. Die wurden selbst etwas schief angesehen: Er,
der Typ mit dem komischem Namen und der Woody Allen-Brille; sie,
die Blasse mit dem grellrot getönten Haar und eben solchem
Lippenstift; beide stets Hand in Hand - im Privaten wie in der
Kunst eine Einheit. Und dann wollten sie auch noch alles allein
finanzieren, ohne Hilfe von Sponsoren und Fördergeldern, so
wie sie das immer machen bei ihren Projekten.
Als der Bundestag am 25. Februar 1994 mit 292 Ja-Stimmen zu 223
Nein-Stimmen entschied, dass die Verhüllung stattfinden
könne, war das schon eine kleine Sensation. Die Gegner hatten
sich mit ihren Appellen, dem geschichtsträchtigen Gebäude
doch bitte den nötigen Respekt entgegenzubringen, nicht
durchsetzen können.
Auf der Besuchertribüne, wo Christo und Jeanne-Claude
saßen, müssen Ziegelsteine die Sitze herab gekullert
sein. Nach fast drei Jahrzehnten zähen Ringens konnten sie mit
den Vorbereitungen beginnen. Und die waren aufwendig: Schon im
September 1994 begannen zehn deutsche Firmen die benötigten
Materialien herzustellen. Stahlmontagearbeiter installierten 200
Tonnen schwere Stahlkonstruktionen an Dach, Türmen und
Statuen, damit das Gewebe an diesen Stellen auch richtig fallen
konnte. Dann erst vollendeten 90 Fassadenkletterer und 120
Monagearbeiter am 24. Juni 1995 das Werk.
Und was geschah in den folgenden zwei Wochen? Sechs Millionen
Menschen liefen andächtig wie Pilger um das Gebäude, von
dem plötzlich 100.000 Quadratmeter silbrig-glänzende
Gewebebahnen einem Wasserfall gleich hinabfielen, verschnürt
durch 15.600 Meter blaue Polypropylenseile mit über drei
Zentimetern Dicke. Dort wo sonst schweres Gemäuer steil in den
Himmel ragte, reflektierten nun Sonnenstrahlen auf dem schimmernden
Gewebe das Licht und tauchten alles in sanftes Hellblau. Die
Menschen tasteten an dem wundersamen Stoff, verharrten schweigend,
den Blick nach oben gerichtet. Viele setzten sich auf den Rasen und
blieben dort, stundenlang. Bald saßen überall
Grüppchen zusammen; manche hatten Gitarren dabei und sangen
bis weit in die Nacht, so, als säßen sie an einem
riesigen Lagerfeuer.
Der verhüllte Reichstag wurde zum bundesweiten Happening.
Nicht wenige wollten ein Stück Stoff als Souvenir mitnehmen.
Bildbände und Zeichnungen des Künstlerpaares waren auf
einmal gefragt wie Zigaretten auf einem Schwarzmarkt.
Die Künstler zeigten sich darüber hoch erfreut, aber
wenig überrascht. Sie kannten das ja schon: Wann und wo immer
sie ihre Verhüllungskunst realisieren wollten, stießen
sie zunächst auf Unverständnis und Ablehnung, vergingen
oft Jahrzehnte, bis die erste Stoffbahn ausgerollt werden
konnte.
Schon 1958 hatten Christo und Jeanne-Claude das erste Projekt
dieser Art in Paris durchgeführt, und seither so ziemlich
alles verpackt, was Menschen sich sonst gerne ansehen: Bäume,
Frauen, Inseln, aber auch die römische Stadtmauer und ein
ganzes Museum in Chicago. Zuletzt sorgten sie im New Yorker Central
Park mit über 7.000 safranfarbenen Toren, die sich entlang der
Gehwege schlängelten, für Schlagzeilen und allerhand
Diskussionen.
Da kann man sich schon ein bisschen wundern, dass selbst im
experimentierfreudigen Big Apple die Stadtväter 25 Jahre
gebraucht haben, bis sie sich zu einem "Yes" durchringen konnten.
Dass die Aktion doch stattfand und sich als Erfolg erwies,
bestätigt im Fall von Christo und Jeanne-Claude einmal mehr:
Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
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