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Claudia Heine
Vernehmung bis zum letzten Zeugen
Der Visa-Untersuchungsausschuss muss seine
Arbeit wieder aufnehmen
Die Zwangspause des Visa-Untersuchungsausschusses ist beendet.
Am Mittwoch vergangener Woche entschied das
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, dass die von der
rot-grünen Mehrheit des Ausschusses gestoppte Zeugenbefragung
"unverzüglich fortzuführen" sei. In der einstimmig
getroffenen Entscheidung verpflichteten die Richter den Ausschuss,
"bis zum Zeitpunkt einer etwaigen Anordnung des
Bundespräsidenten, den 15. Deutschen Bundestag
aufzulösen", die Beweisaufnahme entsprechend dem beschlossenen
Terminplan fortzusetzen. Änderungen des Programms müssten
einstimmig beschlossen werden. Eine Begründung ihrer
Entscheidung wollen die Verfassungsrichter nachreichen.
Das höchste deutsche Gericht hat damit einem Eilantrag von
Union und FDP stattgegeben, mit dem diese auf den Beschluss der
rot-grünen Ausschussmehrheit vom 2. Juni reagiert hatten. Sie
sahen sich in ihren verfassungsrechtlich verankerten Minderheiten-
rechten beschränkt. Bereits vor drei Jahren hatte das
Bundesverfassungsgericht in einem Urteil zum
Parteispenden-Untersuchungsausschuss festgelegt, dass
Beweisanträge der Minderheit grundsätzlich vollzogen
werden müssen und bei Zeitknappheit die Ausschussarbeit nach
"fairen Verfahrensregeln" beendet werden müsse. Genau diesen
Grundsatz sah die Opposition aber gebrochen und berief sich in
ihrem Antrag auf Artikel 44 des Grundgesetzes, nach der der
Ausschussminderheit Rechte auf Beweiserhebung im Ausschuss
zustehen: "Die Einsetzungsminderheit hat also Anspruch darauf, dass
ihre Beweisanträge durch die Ausschussmehrheit
berücksichtigt werden", argumentierten Union und FDP vor den
Karlsruher Richtern. Durch den Beschluss von SPD und Grünen
sei Artikel 44 GG verletzt worden.
Schwere Schlappe für Rot-Grün
Die Vertreter der Regierungskoalition begründeten ihren
Entschluss zum Ende der Beweiserhebung mit dem Paragraphen 33 des
Gesetzes über die Untersuchungsausschüsse. Dort steht:
"Ist abzusehen, dass der Untersuchungsausschuss seinen
Untersuchungsauftrag nicht bis zum Ende der Wahlperiode erledigen
kann, hat er dem Bundestag rechtzeitig einen Sachstandsbericht
über den bisherigen Gang des Verfahrens sowie über das
bisherige Ergebnis der Untersuchungen vorzulegen." Nach der
Ankündigung von Neuwahlen durch Bundeskanzler Gerhard
Schröder am 22. Mai schien aus Sicht von SPD und Grünen
diser gesetzliche Auftrag gefährdet. Mit diesem Argument
beschlossen sie dann auch das Ende der Beweisaufnahme. Bis zum 18.
September, dem angestrebten Wahltermin, sei es nicht mehr
möglich, einen solchen Bericht zu verfassen, wenn gleichzeitig
noch Beweise erhoben werden. Union und FDP werteten dies jedoch als
Parteitaktik und Versuch, eine Aussage von Bundesinnenminister Otto
Schily zu verhindern.
Für SPD und Grüne ist die Karlsruher Entscheidung eine
schwere Schlappe. Ihr Kalkül, den Ausschuss von der
politischen Tagesordnung und damit aus dem Rampenlicht der
Öffentlichkeit zu nehmen, verkehrte sich vielmehr ins
Gegenteil. Denn nun hat das Gremium wieder jene Aufmerksamkeit, die
ihm nach den bisherigen Höhepunkten - der Vernehmung von
Außenminister Joseph Fischer und Ex-Staatsminister Ludger
Volmer - etwas abhanden gekommen war. Auf der Pressetribüne,
während der jüngsten Sitzungen eher spärlich
besetzt, dürften sich die Reihen nun wieder füllen. Vor
allem die für den 8. Juli geplante Vernehmung Schilys wird mit
Spannung erwartet. Der Minister hatte nach der
Urteilsverkündung am 15. Juni den Eindruck erweckt, er
könne seine Befragung gar nicht abwarten: "Ich kann sicher
einiges zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen", so sein
Kommentar. Gegen die Live-Übertragung der Sitzung erhob er
ebenfalls keine Einwände. Er sei zwar kein Freund solcher
Übertragungen, "aber man hat dieses Verfahren gewählt,
und dann wird es wahrscheinlich merkwürdig sein, wenn ich mich
dem verweigern würde".
Nicht verwunderlich also, dass die Union frohlockt. Ihr Obmann
im Ausschuss, Eckart von Klaeden, sprach von einem "vollen Erfolg"
seiner Fraktion. "Der Rechts- und Verfassungsbruch zieht sich wie
ein roter Faden durch den Ausschuss", stellte er noch am Tag der
Entscheidung vor Journalisten fest. Für die Union liegt die
Chance nun wieder in greifbarer Nähe, endlich
aufzuklären, was ihr bisher nicht gelang: Die Rolle des
Bundesinnenministeriums, allen voran Schilys, bei der
Liberalisierung der Visa-Praxis im Jahr 2000 zu beleuchten. Schily
galt als einer der laut-stärksten Kritiker des so genannten
Volmer-Erlasses vom März 2000. Er betonte vor allem die Gefahr
für die Innere Sicherheit der Bundesrepublik, die seiner
Meinung nach von dem Erlass ausginge. Der Volmer-Erlass des
Auswärtigen Amtes spielt die Hauptrolle in der Affäre, in
der die Union versucht, die Regierung für den massenhaften
Visa-Missbrauch an der Deutschen Botschaft in Kiew verantwortlich
zu machen. Einen Teilerfolg auf diesem Weg stellte die Vernehmung
Fischers im April dar, während der er Fehler eingestand und
die politische Verantwortung dafür übernahm. Der Konflikt
zwischen ihm und Innenminister Schily konnte aber auch während
dieser Sitzung nicht rekonstruiert werden. Die Union spekuliert nun
auf belastende Aussagen Schilys.
Bereits einen Tag nach der Urteilsverkündung kam der
Ausschuss zu einer nichtöffentlichen Sitzung zusammen, um den
Fahrplan für die kommenden vier Sitzungstermine festzulegen.
Die Vernehmung Schilys stand dabei nicht mehr in Frage. Am 22. Juni
wird unter anderem der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes
Bernhard Falk gehört. Am 23. Juni steht die Vernehmung von
sieben Zeugen aus der deutschen Botschaft in Tirana (Albanien) und
dem Verbindungsbüro in Pristina an. Am 30. Juni werden
Vertreter des ADAC und der Versicherungen HanseMerkur und Allianz
in den Ausschuss geladen. Dabei geht es um die umstrittenen
Reiseschutzpässe des Geschäftsmanns Heinz Kübler,
die quasi als Eintrittskarte nach Deutschland gehandelt wurden.
Ein Unionsantrag auf weitere Zeugenvernehmungen fand am
vergangenen Donnerstag keine Mehrheit. Die CDU/CSU schloss aber
einen späteren Antrag auf Vernehmung von Kanzler Gerhard
Schröder (SPD) nicht aus. "Es ist alles auf den Weg gebracht,
damit ein vernünftiger Abschluss des Ausschusses
gewährleistet ist", sagte der Ausschuss-Vorsitzende Hans-Peter
Uhl (CSU) nach der rund eineinhalbstündigen Sitzung.
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