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Igal Avidan
Die Utopie des neuen Menschen
Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau "Die
Neuen Hebräer - 100 Jahre Kunst in Israel"
Die israelische Kultur ist nicht mit der Judaica zu verwechseln
und geht nicht nur aus der Religion hervor. Um den Deutschen dies
zu erklären, kurierte Doreet LeVitte Harten in Berlin eine
monumentale Ausstellung. Dies ist die größte
Retrospektive israelischer Kunst weltweit mit 700 Exponaten, die in
15 Kapitel aufgeteilt werden - vom Entstehen des Zionismus durch
die Utopie des neuen Menschen, dem Leben in der neuen Heimat, den
Konflikten mit den Arabern und den friedlichen Alternativen
für ein Zusammenleben mit den Palästinensern.
Eigentlich ist der Untertitel der Ausstellung irreführend,
denn hier wird nicht die Entwicklung der israelischen Kunst
dargestellt, sondern vor allem die Entwicklung der "Neuen
Hebräer". Aus diesem Grund wurde die abstrakte israelische
Kunst auch weitgehend ausgeklammert. Auch der Holocaust findet kaum
Platz. Eher werden die Schatten der Judenvernichtung auf die
Israelis dargestellt, zum Beispiel durch das Video "Trembling Time"
von Yael Bartana, in dem man sieht, wie die Autos auf einer
Hauptstraße anhalten, während am Holocaust-Gedenktag die
Sirenen im ganzen Land heulen. Die emotionelle Begegnung zwischen
"alten" und "neuen" Juden - zwischen denjenigen, die aus den KZs
kamen, und denjenigen, die sie an der Küste Israels empfingen
- wird durch ein Gedicht und ein Foto verdeutlicht. Das Bild zeigt
eine junge Frau, die durch ein Tattoo auf ihrem Dekolleté
gezeichnet ist: "Feld-Hure A125701". In einem Gedicht schreibt
Yizchak Sade, der damalige Kommandant der zionistischen
Eingreiftruppe in vorstaatlicher Zeit, über eine Frau, die
gerade der Hölle in Europa entkommen war: "Du hast einen Platz
auf dieser Welt, meine Schwester. Einen einzigen, ganz besonderen
Platz, hier in diesem Land."
Eine zentrale Rolle bei der Schaffung der neuen Hebräer war
die Wiederbelebung der biblischen Sprache - Hebräisch. Die
meisten Zionisten sprachen jedoch noch in den 20er-Jahren des
letzten Jahrhunderts lieber Russisch, Polnisch oder Deutsch. Um sie
zu ermuntern, Hebräisch zu erlernen, warb die "Legion zur
Verteidigung der Sprache" auf Plakaten mit Sprüchen wie
"Hebräer, sprich Hebräisch und werde gesund!", was auf
Hebräisch durchaus poetisch klingt. Zu sehen ist auf diesem
Plakat der Vater des modernen Hebräisch, Elieser Ben Yehuda.
Mehr Lust auf die biblischen Buchstaben erweckt wohl Roee Rosen mit
erotischen Variationen des Alphabets.
Harten ist es in Zusammenarbeit mit dem Israel-Museum in
Jerusalem gelungen, die historische Bindung der neuen Hebräer
zu ihren Wurzeln darzustellen, vor allem durch das kostbarste
Exponat, ein Teil der 2.000 Jahre alten Tempelrolle auf
Hebräisch, die zum ersten Mal außerhalb von Israel
gezeigt wird. Zugleich handelt es sich nicht um eine nationale
Leistungsschau Israels und mit (israelischer) Kritik an der
gegenwärtigen Politik wird nicht gespart. Ein junger Israeli
singt in einem Video, dass er desertieren muss. Eine
Palästinenserin läuft entlang der neuen Mauer, die das
Dorf Abu Dis von Jerusalem trennt. Auf dem grauen Beton prangt ein
Graffiti: "Ghetto Abu Dis". Durch eine menschenleere Straße in
Bethlehem patrouilliert ein israelischer Panzer. Gleichzeitig sehen
wir Nir Hods Bild mit dem Titel "Lost Generation", das die
Beerdigung eines israelischen Soldaten thematisiert. Eine Fotoreihe
zeichnet die apathischen Gesichter von Israelis in der Zeit der
Selbstmordanschläge, die auf einen Bus in Jerusalem warten.
Wird dies meine letzte Fahrt - fragen ihre Augen.
Die Ausstellung ist noch bis zum 5. September in Berlin zu sehen.
Sie ist von Mittwoch bis Montag jeweils von 10 bis 20 Uhr
geöffnet. Sie wird durch einen bemerkenswerten Katalog
ergänzt, der im Nicolai Verlag erschienen ist.
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