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"Eine Wahl zwischen Pest und Cholera"
Änderung der Fälligkeit für
Sozialversicherungsbeiträge beschlossen
Gesundheit und Soziale Spitzmarke. Die Fälligkeit für
Sozialversicherungsbeiträge wird geändert und ab Januar
auf das Monatsende vorgezogen werden. Damit soll der
Rentenversicherungsbeitrag stabilisiert werden. Dies hat der
Bundestag am 17. Juli bei Enthaltung der Union und gegen die
Stimmen der FDP beschlossen. Er nahm einen entsprechenden
Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen (15/5574) an und folgte
damit einer Empfehlung des Gesundheitsausschusses (15/5705).
Künftig sollen die Sozialversicherungsbeiträge
parallel zur Berechnung des Lohnes oder Gehalts am Monatsende in
voraussichtlicher Höhe fällig sein. In den Fällen,
in denen es zu Abweichungen wegen variabler Lohnbestandteile oder
durch Krankheitstage kommt, ist der verbleibende Restbetrag mit der
nächsten Fälligkeit zu zahlen. Als Alternative zu dieser
Umstellung nennen die Fraktionen in ihrem nun verabschiedeten
Entwurf eine Anhebung des Beitragssatzes in der gesetzlichen
Rentenversicherung. Dies wäre teurer als die Kosten der
Umstellung für Bund, Länder und Gemeinden, die auf rund
60 Millionen Euro geschätzt werden. Durch die vorgezogene
Fälligkeit würden zudem Kosten in Höhe von rund 400
Millionen Euro für die Unternehmen entstehen.
In der Ausschussberatung am 15. Juni bezeichnete die SPD die
Änderung der Fälligkeit als den "richtigen Weg", um den
Rentenbeitrag stabil bei 19,5 Prozent zu halten. Zwar würden
die Unternehmen belastet, doch eine Beitragserhöhung
würde auch Kosten und einen Kaufkraftentzug bei Versicherten
bedeuten.
Die Vorlage sei "mit heißer Nadel gestrickt" - so das Fazit
der Union. Die Neuregelung weise "enorme handwerkliche Probleme"
auf und werde zum Liquiditätsentzug bei den Unternehmen, zu
Doppelberechnungen und bürokratischem Aufwand führen.
Diese "Notlösung" sei eine "Wahl zwischen Pest und Cholera".
Normalerweise müssten in den kommenden vier Monaten
strukturelle Maßnahmen in Angriff genommen werden, um eine
ausgereifte Lösung zu finden. Wegen der geplanten Neuwahlen
fehle die Zeit dafür. Daher werde sich die Union trotz
"völlig unbefriedigenden Ausgestaltung" des Gesetzes der
Stimme enthalten. Als eine "Realpolitisierung" der Opposition
bezeichneten die Grünen die Haltung der Union. Eine
Beitragserhöhung wäre die schlechtere Alternative.
Die sah die FDP anders. Eine moderate Beitragserhöhung
würde die Unternehmen weniger belasten als die
Koalitionslösung. Diese werde Arbeitsplätze vernichten
und wirksam die Konjunktur dämpfen. Entscheidend dabei sei der
Liquiditätsentzug bei den Unternehmen und neue
bürokratische Hürden.
Als eine finanzielle und bürokratische Belastung für
die Wirtschaft bezeichnete auch die Mehrheit der Experten die
Umstellung der Fälligkeit für
Sozialversicherungsbeiträge in schriftlichen Stellungnahmen im
Vorfeld einer öffentlichen Anhörung des
Gesundheitsausschusses am 13. Juni.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag befürchtete
darin einen Vertrauensverlust bei der Alterssicherung und einen
Liquiditätsverlust von rund 20 Milliarden Euro für die
deutsche Wirtschaft. Ähnliche Zahlen lieferte auch der
Hauptverband des Deutschen Einzelhandels. Professor Clemens Fuest
vom Finanzwissenschaftlichen Seminar der Universität zu
Köln bezifferte die Belastung für die Wirtschaft mit 10
Milliarden Euro. Nach seiner Einschätzung wird es vor allem
bei kleinen und mittleren Unternehmen zu höheren Kosten
führen. Die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der
Krankenkassen begrüßte zwar die Änderungen
inhaltlich, dennoch bedeute dies in der Praxis "keineswegs eine
Vereinfachung der mit dem Beitragseinzug verbundenen
Verwaltungsverfahren". Für die Bundesversicherungsanstalt
für Angestellte bedeutet die Neuregelung für die
Arbeitgeber und den Prüfdienst der
Rentenversicherungsträger eine "nicht unerhebliche
Erhöhung des Verwaltungsaufwandes und damit verbundene
Mehrkosten".
Volle Unterstützung fand die Vorlage beim Sozialverband VdK
Deutschland: Angesichts der schwierigen Finanzlage der gesetzlichen
Sozialversicherung sei es nicht gerechtfertigt, Arbeitgebern, die
Entgelte zum Monatsende zahlen, bis zum 15. des Folgemonats ein
"zinsloses Darlehen" zu gewähren.
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