ks/wol
Die Freude über die deutsche
Wiedervereinigung kommt zu kurz
Anhörung zum Gedenkstättenkonzept in
Berlin
Kultur und Medien. Auf der Grundlage von zwei Anträgen hat
sich der Kulturausschuss am 15. Juni in einer öffentlichen
Anhörung mit den Berliner Gedenkstätten zur Erinnerung an
die deutsche Teilung befasst. Ein fraktionsübergreifender
Antrag (15/4795) fordert den Bund, den Bundestag und das Land
Berlin auf, für das "Gelände um das Brandenburger Tor als
Ort des Erinnerns an die Berliner Mauer, des Gedenkens an ihre
Opfer und der Freude über die Überwindung der deutschen
Teilung" eine angemessene Erinnerungsform zu finden. In einem
weiteren Antrag ruft die CDU/CSU zur Aufwertung des Mauer-Mahnmals
im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus (15/4719) auf. In dem
Gebäude, das unter anderem die Bundestagsbibliothek und einen
Teil der Parlamentsbüros beherbergt, befinden sich originale
Mauerteile, die den ursprünglichen Verlauf der Berliner Mauer
markieren.
Vor dem Gremium äußerten sich die Historiker Konrad H.
Jarausch (Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam),
Hermann Schäfer (Haus der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland in Bonn), Manfred Wilke (FU Berlin) und die Beauftragte
für die Stasi-Unterlagen der DDR, Marianne Birthler. Auch
Berlins Kultursenator Thomas Flierl (PDS) nahm an der Diskussion
teil. Er hat vor zwei Monaten ein "Gedenkkonzept Berliner Mauer"
vorgelegt, das umfassend an die in Berlin kaum noch vorhandene
Mauer mit Informationstafeln, audio-visuellen Medien und kleineren
Gedenksstätten erinnern soll. Flierl sagte, Berlin sei bereit,
anteilig mit dem Bund die Kosten für ein gemeinsames
Erinnerungsprojekt zu übernehmen.
Auch in der Diskussion kam das Unbehagen zum Ausdruck, dass das
Brandenburger Tor als Symbol für die Teilung Deutschlands und
deren Überwindung heute kaum noch sichtbar werde.
Übereinstimmung gab es auch darin, dass andere Plätze,
wie die Gedenkstätte an der Bernauer Straße im Norden
Berlins, nicht in den Hintergrund treten dürften. Wegen der
dort noch vorhandenen Mauerreste und der besonders eklatant zutage
getretenen Ausdrucksformen der Teilung bleibe dies ein zentraler
Gedenkort.
Der Historiker Wilke sah in der Idee des Gruppenantrags zum
Erinnern einen zukunftsweisenden Gedanken: "Die Freude an der
Überwindung der Teilung hatte bisher in unserer Republik
keinen Platz." Sein Potsdamer Kollege Jarausch ergänzte diese
Überlegung mit der Bemerkung, ein Erinnern am Brandenburger
Tor werde das Mauerthema internationalisieren - die
europäische Dimension des Kalten Krieges könne hier
verdeutlicht werden.
"Positiver Wildwuchs"
Der Bonner Historiker Schäfer gab zu bedenken, dass ein
Erinnern allein an die Zeit der Teilung nicht ausreiche. Das
Brandenburger Tor sei seit seinem Bestehen auch ein Symbol der
preußisch-deutschen Geschichte mit all ihren Höhen und
Tiefen; dies könne man einfach nicht ausblenden. Schäfer
bekräftigte seine Überlegung zu einem dezentralen
Mauergedenken in Berlin und regte eine Internet-Präsentation
in Form eines "virtuellen Mauerpfades" an. Viel Zustimmung fand
auch die Überlegung Senator Fliers, den künftigen
U-Bahnhof am Brandenburger Tor (der zur Fußball-WM 2006
fertiggestellt und eine Verbindung zum Lehrter Bahnhof
ermöglichen soll) für großflächige
Informationen zu nutzen. Mit den Verantwortlichen bei Bahn und BVG
sollten dazu Gespräche geführt werden.
Nach Jarauschs Worten hat Berlin wegen der Fülle
historischer Orte eine "einmalige" Chance für eine neue
Erinnerungskultur. Die Stadt sollte "klotzen, nicht kleckern".
Schäfer sah in der Fülle der Berliner Erinnerungsorte
einen "in diesem Fall positiv zu bewertenden Wildwuchs", zeige sich
doch darin der breite Wille der Bevölkerung zum Erinnern.
Zurückhaltender äußerte sich Birthler; sie
begrüßte die Fülle der Erinnerungsorte in der
Hauptstadt, sagte aber: "Im Moment haben wir erst eine
Orchesterprobe, aber noch kein gemeinsames Stück."
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