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Hartmut Hausmann und Annette Sach
Doppelkrise erzwingt Denkpause
EU-Gipfel in Brüssel ringt um
Lösungen
Ein kleines Wort hat in der Europäischen
Gemeinschaft zu einer ihrer größten Krisen geführt.
Das "Nein" der Franzosen und Niederländer zur EU-Verfassung
war aber nur einer der gordischen Knoten, den die Staats- und
Regierungschefs der 25 Mitgliedsstaaten auf ihrem
Frühjahrsgipfel in Brüssel zu lösen versuchten. Auch
die Verhandlungen über die Finanzielle Vorausschau für
2007 bis 2013 erwiesen sich als äußerst schwierig. Umso
mehr waren die Mitgliedsländer darum bemüht, am ersten
Gipfeltag Einvernehmen über die weiteren Schritte des
Ratifizierungsprozesses der EU-Verfassung zu erzielen.
Trotz der Ablehnung der Franzosen und
Niederländer hält die EU ohne Einschränkung an der
Verfassung fest, so der einhellige Beschluss der Staats- und
Regierungschefs am ersten Gipfeltag. Dennoch beschlossen sie, den
zeitlichen Rahmen für den Ratifizierungsprozess zu strecken.
Mit dem so genannten "Plan D" soll in der Öffentlichkeit ein
intensiverer Dialog über die Verfassung ermöglicht
werden. Statt wie bisher vorgesehen das Ratifizierungsverfahren im
Herbst 2006 abzuschließen, wollen sich die Staats- und
Regierungschefs bis zu ihrem Treffen im Juni 2007 unter
österreichischer Präsidentschaft entscheiden, wie der
Prozess weitergehen soll, erklärte der Luxemburger
EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker auf dem Gipfeltreffen.
Bis dahin habe jedes Mitgliedsland die Möglichkeit, autonom
und souverän über den besten Weg und Zeitpunkt der
Ratifizierung zu entscheiden. Neuverhandlungen über den Inhalt
der Verfassung schloss Juncker aus: "Einen besseren Vertrag gibt es
nicht!"
Bundeskanzler Gerhard Schröder
erklärte, niemand habe sich gegen den Inhalt des
Verfassungsvertrages ausgesprochen. Als Reaktion auf den Beschluss
sagte Dänemark die für den 27. September vorgesehene
Volksabstimmung ab. Es gebe keinen neuen Termin, da die Zukunft des
Vertragswerks unklar sei, erklärte der dänische
Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen. Auch Portugal will
jetzt die Entscheidung verschieben. Entsprechende Beschlüsse
werden auch in Schweden, Irland, der Slowakei und in Tschechien
erwartet. Ratifiziert wurde die Verfassung bislang von zehn
EU-Staaten.
In Deutschland hat Bundespräsident Horst
Köhler angekündigt, seine Unterschrit erst dann unter den
Rechtsakt zu setzen, wenn das Bundesverfassungsgericht über
eine Beschwerde des CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler entschieden
hat.
Obwohl die Erweiterung der EU als einer der
Gründe für den negativen Ausgang der Referenden angesehen
wird, wollen die Regierungschefs an dem vorgesehenen Fahrplan zur
Aufnahme neuer Mitglieder festhalten. Das gilt besonders für
die am 1. Januar 2007 geplante Aufnahme Rumäniens und
Bulgariens. Auch der Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der
Türkei soll wie vorgesehen am 3. Oktober 2005 erfolgen, wenn
von der Regierung in Ankara alle notwendigen Voraussetzungen,
darunter die Anerkennung Zyperns, erfüllt werden. Bei Kroatien
hängt der Termin nach wie vor von einer uneingeschränkten
Zusammenarbeit des Landes mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal
ab.
In einer Regierungserklärung vor dem
Deutschen Bundestag forderte Bundeskanzler Schröder am 17.
Juni ein Bekenntnis zur EU-Verfassung "ohne wenn und aber". Er
mahnte an, dass Europa nicht nur als Markt existieren dürfe,
sondern ökonomische Existenz mit sozialer Integrität
verbinden müsse. Gleichzeitig rief Schröder die anderen
EU-Staaten im Vorfeld des Gipfels zur Kompromissbereitschaft
auf.
Oppositionsführerin Angela Merkel (CDU)
warf dem Kanzler vor, nicht angemessen auf die europäische
Krise zu reagieren. In Fragen der Erweiterung und der Vertiefung
stehe Europa am Scheideweg, so Merkel. Sie unterstrich erneut ihre
Forderung, der Türkei keine Vollmitgliedschaft, sondern eine
privilegierte Partnerschaft anzubieten.
FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhard forderte
in seiner Rede ein "schmaleres Verfassungswerk". Die Begreifbarkeit
Europas hänge auch davon ab, die Ziele der EU einfach
darzustellen, so Gerhardt. Die Fraktionschefin der Grünen,
Christa Sager, unterstrich, dass Europa die Antwort auf die
Globalisierung sei und warnte vor nationalstaatlichen
Egoismen.
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