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Michael Martens
Ringen um eine stabile Koalition
Nach den Wahlen in Bulgarien
Diesmal haben es die Wähler in Bulgarien ihren Parteien
nicht leicht gemacht. Anders als in der Vergangenheit gab es bei
den vermutlich letzten Parlamentswahlen vor dem für 2007
geplanten EU-Beitritt des Landes keinen eindeutigen Sieger. Das ist
ungewöhnlich in der jungen demokratischen Geschichte des
Landes seit dem Zerfall des Kommunismus.
Als die Bulgaren im Dezember 1994 aufgerufen waren, ihre
parlamentarischen Vertreter zu wählen, erhielt die Bulgarische
Sozialistische Partei (BSP) 43,5 Prozent der Stimmen und die
absolute Sitzmehrheit im Sofioter Parlament. Bei den Wahlen vom
April 1997 - sie mussten nach der wirtschaftlichen Krise des Landes
im Winter 1996/97 wie schon die vorige Abstimmung vor der
regulären Frist abgehalten werden - verschafften die
Wähler dem Bündnis der Vereinigten Demokratische
Kräfte (ODS) eine noch deutlichere Mehrheit als zuvor den
Sozialisten. Und vor vier Jahren gelang es der nur gut zwei Monate
vor dem Wahltermin gegründeten Nationalen Bewegung Simeon II.
(NDSW) des früheren Zaren Simeon (Sakskoburggotski) aus dem
Stand, die Hälfte aller Mandate in der Volksversammlung zu
erobern.
Doch die Zeiten der klaren Mehrheiten scheinen vorbei: Im neuen
Parlament sind zwar das erste Mal seit mehr als einem Jahrzehnt die
Bulgarischen Sozialisten wieder die stärkste Kraft (82 Sitze),
doch zum Regieren benötigen sie mindestens einen Partner - und
sogar zwei, sollten sie sich nicht mit der zweitstärks-ten
Fraktion einig werden, der bisher regierenden Zarenbewegung. Die
NDSW ist von den Wählern zwar arg gerupft worden und wird nur
noch über 53 von 240 Abgeordneten verfügen (statt 120 zu
Beginn ihres Mandats vor vier Jahren). Dennoch ist ihr ein
völliger Einbruch erspart geblieben, der ihr noch Mitte der
vergangenen Legislaturperiode - angesichts der damaligen
Umfragewerte nicht ohne Grund - vorausgesagt worden war. Nimmt man
die bisherigen Gespräche der Parteiführer in Sofia zum
Maßstab, läuft es eher auf eine Dreierkoalition in Sofia
hinaus: Der junge BSP-Vorsitzende Stanischew hat angekündigt,
dass eine "trilaterale" Regierungskoalition das beste für das
Land sei. Dritte Kraft in diesem ungewöhnlichen Bund wäre
dann wohl die "Bewegung für Rechte und Freiheiten" (DPS) von
Ahmed Dogan. Für diese Partei, die bisher hauptsächlich
von der türkischen Minderheit und den Pomaken, den Nachfahren
islamisierter Slawen, Unterstützung erfuhr, war die
Parlamentswahl erfolgreicher denn je. Die Bewegung errang 34
Mandate und wurde drittstärkste Kraft. Ihre Funktionäre,
die hartnäckig bestreiten, dass die DPS eine "ethnische"
Partei sei, weil eine solche politische Formierung laut
bulgarischer Verfassung illegal ist, führen das Rekordergebnis
darauf zurück, dass es gelungen sei, in neue, (also
nichtmuslimische) Wählerschichten einzubrechen.
Die Gegner der Partei hingegen behaupten, die DPS und ihr
unumstrittener Führer Ahmed Dogan arbeiteten in den
mehrheitlich von Türken bewohnten Regionen des Landes mit
Druck und Drohungen, um sich die Mehrheiten zu sichern. Eine
weitere Erklärung jedoch lautet, dass angesichts des
Erstarkens der nationalistischen Bewegung "Ataka" (Angriff), die im
Parlament über 21 Sitze verfügt, auch viele
nichtmuslimische Minderheiten diesmal für die DPS gestimmt
haben. Sergej Stanischew steht gestärkt, aber nicht
übermächtig an der Spitze der BSP, denn der Sieg seiner
Partei ist keineswegs so deutlich ausgefallen, wie man sich das
erwartet hat bei der BSP. Nach Gesprächen mit der NDSW und der
DPS hat Stanischew angekündigt, das Programm einer etwaigen
künftigen Regierung müsse zunächst von den
Fachleuten der Parteien besprochen werden.
Wie Stanischew weisen auch die anderen beiden Parteien darauf
hin, dass Bulgarien unbedingt eine stabile Koalition benötigt.
Dieser ständige Ruf nach einer stabilen Regierung mit breiter
Mehrheit dürfte auf die unübersehbare Nervosität und
Ratlosigkeit zurückzuführen sein, die in Sofia nach den
gescheiterten Verfassungsreferenden in Frankreich und den
Niederlanden herrscht. Diese Ereignisse haben die ständige
Furcht der Bulgaren genährt, dass ihr Beitritt zur EU um ein
Jahr - oder gar auf unbestimmte Zeit - verschoben werden
könnte.
Nun hätte eine Regierung aus Sozialisten, "Türken" und
"Zaristen" zwar mit 169 von 240 Sitzen tatsächlich eine
beruhigende Mehrheit im Parlament - doch bestehen Zweifel daran, ob
ein solches Bündnis auch in sich stabil wäre. Ein
Stolperstein ist schon die Frage, wer Ministerpräsident einer
solchen Regierung werden soll. Dieses Recht stünde eigentlich
Stanischew als dem Chef der größten Partei zu - doch kann
sich niemand vorstellen, dass der amtierende Ministerpräsident
Sakskoburggotski ein anderes Amt als sein derzeitiges akzeptieren
wird. Ein ehemaliger Zar wird nicht Postminister.
Sollte Stanischew dennoch auf seinem Vorrecht beharren, fiele
die NDSW als Partner wohl aus - es sei denn, sie setzte ihren
Vorsitzenden ab, doch auch das halten viele Beobachter in Sofia
für wenig wahrscheinlich. Ohne den "Zaren" an der Spitze, so
wird allgemein vermutet, werde die nach ihm benannte heterogene
Bewegung rasch in mehrere Teile zerfallen.
Krise der politischen Repräsentanz
Jenseits dieser Rechenschieberüberlegungen, die in der
bulgarischen Presse derzeit viel Platz einnehmen, haben die Wahlen
jedoch noch ein anderes Ergebnis erbracht. Der Meinungsforscher
Antoni Galabow umschreibt es als "Krise der politischen
Repräsentanz" und spricht von einer anhaltend tiefen Kluft
zwischen der politischen Elite und den Bürgern: "Was die
Bulgaren mit diesem Votum eigentlich sagen wollten, war, dass sie
keiner Partei eine absolute Mehrheit einräumen wollen".
Ähnliche Schlüsse zog die frühere
Außenministerin Nadeshda Mihailowa, deren bürgerliches
Bündnis um die von ihr geführte "Union der demokratischen
Kräfte" nach mehreren Abspaltungen nur 20 Sitze im neuen
Parlament haben wird. (Zum Vergleich: 1997 waren es 137). "Bei
diesen Wahlen haben die Politiker als ganzes verloren - sie haben
verloren, weil sie die Menschen nicht überzeugen konnten, dass
sie für sie arbeiten. Jetzt haben wir die Quittung dafür
bekommen", sagte Frau Mihailowa dem staatlichen bulgarischen
Rundfunk.
Der Weg zu einer stabilen Regierung ist also nicht einfach -
doch um die Stabilität und den Reformkurs des Landes
müsse sich niemand sorgen, versichert Schelju Schelew, der
ehemalige Präsident des Landes: "Keine bulgarische Regierung
kann es sich leisten, die EU-Perspektive des Landes zu verspielen.
Sie würde von den Wählern zum Teufel geschickt."
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