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Sigrid Gaisreiter
Am Ende mit allen verkracht
Erinnerung an Eugen Gerstenmaier
Der CDU-Politiker Eugen Gerstenmaier (1906 - 1986) ist in der
Erinnerung vor allem mit dem Amt des Bundestagspräsidenten
(1954 - 1969) verbunden. Eine neue Biografie von Daniela Gniss legt
einen weiten Politikbegriff zugrunde. Bestandteil ihrer Arbeit ist
auch Gerstenmaiers kirchenpolitisches Engagement. Da Gerstenmaier
gleichzeitig mehrere Funktionen innehatte, wurde die chronologische
Grundstruktur zugunsten einer thematischen Strukturierung
aufgelockert.
Der Schwabe Gerstenmaier, pietistisch geprägt, war nach
einem Theologiestudium in den 1930er-Jahren im Außenamt der
Evangelischen Kirche tätig. Diese Arbeit führte ihn, mit
zunehmender Radikalisierung des NS-Regimes, in das Umfeld des
Kreisauer Kreises und damit in den Widerstand. Um die materielle
Not nach dem Krieg zu lindern, gründete er das Evangelische
Hilfswerk. Ein Grundzug kristallisiert sich schon hier heraus, der
ihm in der CDU wie in der Kirche auch Kritik einbrachte.
Gerstenmaier respektierte nicht immer die Zuständigkeiten
anderer und griff eigenmächtig in deren Ressorts ein. So
geriet er mit Martin Niemöller, der nach 1945 das
Außenamt der Evangelischen Kirche leitete, und anderen Leitern
kirchlicher Hilfswerke häufig in Konflikt, da diese sich von
Gerstenmaier übergangen fühlten.
Wie in der Kirche gelangte Gerstenmaier auch in Partei und
Fraktion rasch zu Ansehen. Er engagierte sich in der
Ausschussarbeit und erhielt bereits 1949 einen Sitz im
Fraktionsvorstand. Adenauers Politik der Westbindung trug er
vorbehaltlos mit und wurde, nach dem überraschenden Tod von
Hermann Ehlers, 1954 Bundestagspräsident. In diesem Amt
bewirkte er viel. Er führte Fragestunde und Aktuelle Stunde
ein; nach zähem Ringen erreichte er den Bau eines neuen
Abgeordnetenhauses, das dann als "Langer Eugen" bekannt wurde.
Doch auch hier kam ihm bald sein Temperament in die Quere. Zum
ersten Zusammenstoß kam es mit Walter Hallstein Anfang der
50er-Jahre, als er ohne Rücksprache in Paris Verhandlungen zur
deutsch-französischen Annäherung führte. 1957 folgte
die Kontroverse mit Konrad Adenauer um die Wiedervereinigung. Wenig
später machte sich Gerstenmaier, wieder ohne Konsultation,
für eine neue Ostpolitik stark, die Adenauers Intentionen
widersprach; 1964 stellte er schließlich auf einer Japanreise
ein neues Sicherheitskonzept vor.
Enttäuscht und einsam
Sein Verhältnis zu Adenauer, Ludwig Erhard, zu Fraktion und
Partei kühlte zusehends ab. Der Widerstand in der Union wuchs
über die Zeit und war beim Wechsel zur Großen Koalition
so groß, dass Gerstenmaiers Wunsch, ein Regierungsamt zu
bekleiden, am mangelnden Rückhalt in der Union scheiterte.
Gerstenmaier, der sich um seinen Wahlkreis Backnang wenig
gekümmert hatte, verlor zuletzt auch dort, wie in der
Landes-CDU, an Ansehen, so dass sogar auf eine Absicherung auf der
Landesliste verzichtet wurde. Enttäuscht zog sich Gerstenmaier
zurück und vereinsamte schließlich immer mehr.
Gniss erinnert an einen großen Parlamentarier und gibt
Gelegenheit, politische Mechanismen in Fraktion, Partei und
Bundestag, die sich sonst der Öffentlichkeit entziehen, einmal
en détail zu verfolgen. Sie legt eine Fleißarbeit in der
Datensammlung vor. Was indes wenig befriedigt, ist der Hang,
Politik zu personalisieren und auf eine analytische Fundierung
weitgehend zu verzichten. So werden Handlungsspielräume und
Strukturen von Politik meist nicht ausgewiesen und Politik rein
intentional verstanden.
Daniela Gniss
Der Politiker Eugen Gerstenmaier 1906 - 1986.
Droste Verlag, Düsseldorf 2005; 514 S., 64,80
Euro
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