Eckhard Stengel
Die Finanzmisere bleibt ein Trauma
Bremen: Zehn Jahre Große
Koalition
Sie wollte Bremens extreme Haushaltsnotlage beseitigen. Doch
inzwischen steckt das kleinste Bundesland tiefer in den Schulden
als je zuvor. Bremens Große Koalition hat ihr wichtigstes
Ziel, die Haushaltssanierung, verfehlt. Das Bündnis ist jetzt
zehn Jahre im Amt. Trotz Milliardenbeihilfen des Bundes ist der
Schuldenberg in dieser Zeit um 50 Prozent gewachsen - teils wegen
Fehlentscheidungen der Koalition, teils wegen äußerer
Einflüsse wie Werftenkonkurs oder allgemeiner
Konjunktureinbruch.
Das Zweierbündnis, das die Nachfolge der ungeliebten
Ampelkoalition übernommen hatte, wollte dafür sorgen,
dass das Bundesland mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung
wieder Anschluss an die Reihe der anderen Länder findet. Die
Voraussetzungen dafür waren nicht schlecht: Der gerade
abgetretene Bürgermeister Klaus Wedemeier (SPD) hatte 1992 vor
dem Bundesverfassungsgericht durchgesetzt, dass der Bund die klamme
Hansestadt unterstützen müsse. Seit 1994 flossen
tatsächlich insgesamt 8,5 Milliarden Euro.
Damit hätte die Koalition fast alle Altschulden tilgen
können. Aber Wedemeiers Nachfolger Henning Scherf (SPD) und
seine neue Koalition nutzten erhebliche Teile der Sanierungshilfen
lieber für Investitionen - in der Hoffnung, damit das
Wirtschaftswachstum an der Weser anzukurbeln und mehr Touristen
anlocken zu können.
Sparen und verkaufen
Parallel dazu kürzte die Koalition massiv bei den
konsumptiven Ausgaben. Doch nicht immer gelang ihr dies. Wenn der
Widerstand in der Bevölkerung zu groß wurde - etwa gegen
die geplante Schließung fast aller Schwimmbäder -, nahmen
die Regierenden den einen oder anderen Sparbeschluss wieder
zurück. Immerhin wurden sie dadurch ihrem Zusatzziel gerecht,
Bremen nicht "kaputtzusparen".
Aber auch die Investitionen brachten nicht immer den erhofften
Erfolg. Ein von der Stadt vorfinanziertes neues Musicaltheater ging
ebenso Pleite wie das überdimensionierte Freizeit- und
Einkaufszentrum "Space Park", das von der Stadt mit fast 200
Millionen Euro gefördert worden war. Umstritten ist auch, ob
die fast 120 Millionen Euro "Anschubfinanzierung" für die
private Elitehochschule "International University Bremen"
tatsächlich sinnvoll angelegt sind. Eine weitere, strittige
Sanierungsmethode: Die Koalition verkaufte kommunales Vermögen
wie etwa die Stadtwerke oder gründete neue städtische
Tochtergesellschaften. Dadurch entstand ein Gestrüpp von
über 200 Betrieben mit städtischer Beteiligung.
Besonders zugespitzt hat sich Bremens Finanzlage, seitdem die
Sanierungsbeihilfen des Bundes plangemäß Ende 2004
ausgelaufen sind. Die Koalition hatte öffentlich Hoffnungen
genährt, einen Nachschlag zu bekommen - als Dank für die
Zustimmung der rot-schwarzen Hansestadt zur rot-grünen
Steuerreform 2000. Doch die Hoffnung auf einen Lohn vom
Bundeskanzler entpuppte sich als "Lebenslüge der Koalition",
wie die Grünen rügten. Berlin will keine neuen
Dauerbeihilfen zahlen, sondern nur einzelne
Sonderzuschüsse.
Seitdem dies klar ist, hat die Koalition noch einen Zahn
zugelegt, doch sie kann nicht mehr darauf hoffen, die Finanzmisere
in den Griff zu bekommen. Als letzter Strohhalm bleibt eine erneute
Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Aber dabei könnte -
statt eines günstigeren Länderfinanzausgleichs - auch
herauskommen, dass Karlsruhe die Existenz des Stadtstaates in Frage
stellt.
Bisher schützt Artikel 29 des Grundgesetzes die Bremer vor
einer Länderneugliederung gegen ihren Willen: Bevor der
Stadtstaat vom benachbarten Niedersachsen geschluckt werden kann
oder in einem neu zu bildenden Nordstaat aufgeht, müssten erst
Volksentscheide in den betroffenen Ländern stattfinden. Noch
dürfte die Mehrheit der Bremer nicht bereit sein, ihre
Eigenständigkeit aufzugeben. Und die Niedersachsen wollen
wahrscheinlich auch nicht Bremens Schuldenberg übernehmen, der
mittlerweile auf 12 Milliarden Euro gewachsen ist.
Immerhin: Es gibt auch Positives zu vermelden. Auf dem
Ex-Vulkan-Gelände arbeiten in kleineren Firmen wieder
ähnlich viele Menschen wie vor dem Konkurs 1996. Ein
"Technologiepark" rund um die staatliche Universität floriert
ebenso wie das neue Mitmachmuseum "Universum Science Center". Das
historische Rathaus und die Roland-Statue wurden zum Weltkulturerbe
ernannt, und Bremen darf sich mit Bremerhaven in diesem Jahr "Stadt
der Wissenschaft" nennen.
Sorgenkind Bremerhaven
Bremerhaven bleibt allerdings das größte Sorgenkind
der Koalition. Hier brummt zwar der ständig erweiterte
Containerhafen, aber sonst sieht es an der Wesermündung
düster aus. Zu viele Krisen hat die 120.000-Einwohner-Stadt
durchgemacht: das Ende der Hochseefischereiflotte, mehrere
Werftenkonkurse, der Abzug der US-Army. Die Arbeitslosenquote liegt
bei fast 24 Prozent. Die Hafenstadt setzt jetzt ihre Hoffnung auf
neue Tourismusprojekte: ein Auswanderermuseum, ein Klimahaus, ein
auf mediterran gemachtes Einkaufszentrum und ein Hotelhochhaus in
Segelform wie in Dubai. Ob es diesmal besser klappt als beim Bremer
"Space Park"?
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