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Mirko Heinemann
Der Armut in Afrika haben sie ihre Stimme
gegeben
"Live 8" in Berlin und auf der weltweit: Die
Hoffnung, mehr als ein Zeichen setzen zu können
Die Menschenmassen strömen zu der
gigantischen schwarzen Bühne am Ende der Straße. Dahinter
reflektiert der goldene Engel auf der Siegessäule im Licht der
Sonne. Die Menschen sind gekommen, um wenige Tage vor dem
G-8-Gipfeltreffen ein Zeichen gegen die Armut zu setzen. Etwa 100
Meter vor der Bühne, über der in großen weißen
Lettern "Berlin" geschrieben steht, beginnt ein Parcours von
Imbissbuden, Bierzelten und Menschen. Dazwischen stehen einfache
Stände aus Holz, an denen T-Shirts verkauft werden. "Dieses
Shirt verändert die Welt", steht auf einem Transparent. Auf
dem Stoff ist eine Gitarre in den Umrissen des afrikanischen
Kontinents aufgedruckt. Der Gitarrenhals ist zur Zahl Acht
verdreht: Dem Symbol von "Live 8", dem größten
"Konzertereignis der Welt", wie Organsiator Bob Geldof
verkündete.
Neun Konzerte auf drei Kontinenten mit
über 150 berühmten Rockstars spielten und begeis-terten
am 2. Juli zwei Millionen Zuhörer weltweit. Alle Musiker
spielten ohne Gage, der Eintritt war frei. Auf den Bühnen in
London, Cornwall, Paris, Rom, Moskau, Philadelphia, Johannesburg,
Tokio und dem kanadischen Barrie standen die bekanntesten Musiker
der Welt: Madonna, U2, Robbie Williams, Paul McCartney, Björk
und viele andere. In Berlin traten neben internationalen Stars wie
Chris de Burgh, Roxy Music oder Green Day viele deutsche Stars auf:
Die Toten Hosen, Söhne Mannheims, BAP, Wir sind Helden, Juli,
Silbermond, Herbert Grönemeyer. Sie begeisterten die rund
200.000 Zuschauer elf Stunden lang.
"Live 8" ist eine riesengroße PR-Aktion
und soll die Führer der Industrienationen dazu bewegen, die
Entwicklungshilfe für die armen Länder massiv zu
erhöhen und deren Schulden zu erlassen. Die Konzertreihe gilt
ihnen: "Die acht von Live 8 sind nicht etwa acht Musiker oder
Bands, sondern Sie - die acht G-8-Führer", hieß es in
einer Zeitungsanzeige von Bob Geldof. Auf dem Festival wurden
Unterschriften für eine Petition gesammelt, und am Tag darauf
fuhren gesponserte Busse zum Gipfeltreffen ins schottische
Edinburgh, um den politischen Wilen zu unterstreichen.
Aber am Abend der Konzerte stand
zunächst der Spaß an erster Stelle. Nachdem Die Toten
Hosen in Berlin als erste Band auf die Bühne gestiegen waren,
ruft ihr Sänger Campino: "Dies ist kein Rockkonzert, sondern
eine Demonstration." Die Menge schreit begeistert auf. Die Fans in
den vorderen Reihen tanzen und schwenken ekstatisch Fahnen mit
Totenköpfen hin und her. Dann singt Campino: "Ich glaube, dass
die Welt sich nochmal ändern wird, und dann Gut über
Böse siegt." Viele heben ihre Arme und wiegen sie zum Takt der
Musik.
Ob ein Konzert ein Umdenken der Politik
bewirken kann, darüber sind die Ansichten im meist jungen
Publikum geteilt. In den hinteren Reihen - die Bühne ist von
hier aus nur noch so groß wie ein Schuhkarton - mosert die
30-jährige Julia über die vielen "unpolitischen Papas und
Mamas", die angeblich hier sind. "Das ist wie früher bei der
Love Parade", kritisiert sie. "Da wurde ja auch immer gesagt, das
ist eine Demonstration. Und wie hieß das Motto? ,Friede,
Freude, Eierkuchen'." Sie glaubt, dass die vielen Zuschauer nur
wegen der Bands gekommen sind. "Afrika ist denen doch
scheißegal."
Der 23-jährige Jens sieht das zwar
ähnlich. Trotzdem ist der Politikstudent der Meinung, "Live 8"
hätte schon im Vorfeld viel bewegt. "Plötzlich waren die
Zeitungen voll mit dem Thema Entwicklungshilfe", sagt er. "Das ist
doch auch schon eine Wirkung."
Das Presseecho war allerdings geteilt.
Live-8-Organisator Bob Geldof musste viel Kritik einstecken. 1985
hatte der ehemalige Rockmusiker unter dem Namen "Live Aid" zwei
riesige Benefizkonzerte mit berühmten Bands in Philadelphia
und Wembley bei London organisiert. Die Konzerte hatten Eintritt
gekostet, und der Gewinn sollte an Hungernde in Äthiopien,
Eritrea und im Sudan fließen. Das Geld sei niemals bei den
Notleidenden angekommen, war der breite Tenor in der
interantionalen Presse. Vielmehr hätten sich korrupte
Clanchefs von den Hilfsgeldern Waffen und Luxusgüter
gekauft.
Die Kritik war ein Grund, warum Geldof dieses
Mal auf das Spendensammeln verzichtete. "Live 8 is not asking for
your money, but your voice", heißt es jetzt. Wichtiger als zu
spenden sei es, das Bewusstsein für die Armut der Dritten Welt
zu wecken und politischen Druck auf die Mächtigen der Welt
auszuüben.
Der Politikstudent Jens findet das richtig.
Er hat sich mit Entwicklungspolitik beschäftigt und
überlegt, selbst später in dem Bereich zu arbeiten. "Man
muss sehr genau darauf achten, an wen das Geld fließt", sagt
er. Statt Entwicklungshilfe sollte man lieber die Handelsabkommen
ändern, die "künstliche Barrieren" für die Exporte
aus armen Ländern bildeten. Ein echter Realpolitiker. Ob er
zum Demonstrieren nach Edinburgh fahre? Jens schüttelt mit dem
Kopf. So weit geht das Engagement dann doch nicht.
Auf Großleinwänden neben der
Bühne wird zu den anderen Konzerten geschaltet. Aus London
wird Madonna eingeblendet. Als klar wird, welche Massen von
Menschen sich zur gleichen Zeit zum selben Thema vor den
Bühnen in aller Welt versammeln, geht ein Raunen durch das
Publikum. Es ist ein Gefühl, als wäre man
tatsächlich Teil einer weltumspannenden Bewegung. Für
einen kurzen Moment hat "Live 8" die Menschen für Afrika in
seinen Bann gezogen.
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