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Susanne Balthasar
Auf der Suche nach dem Gefühl
Junge deutsche Malerei liebt die Idylle und
boomt bei Investoren
Martin Eder rollt die Augen woanders hin, wenn
das Thema auf gegenständliche Malerei kommt. "Abstrakt oder
gegenständlich, das ist doch kein Unterschied", sagt Eder,
"wenn ich zum Beispiel eine Poritze male, dann ist das auch nur ein
Strich." Letztlich sei die ganze Malerei doch nur ein einziges
Klecksen und Stricheln. Wenn Eder kleckst und strichelt, kommen
jede Menge nackte Mädchenhaut, psychotische Pudel, Katzen am
Rande des Nervenzusammenbruchs und böse dräuende Himmel
heraus, die mit altmeisterlichen Pinselstrichen zu einer zähen
Masse in babyblau und depressionsgrau, abgestandenen
Sehnsüchten, zu viel Sex und schäbiger Niedlichkeit
verquirlt werden: Die Idylle zeigt sich als Alptraum.
Jeder Anflug von süßen
Gefühlen wird vom Bild, so will es der Maler, umgehend mit
Peinlichkeit bestraft: "Ich möchte Ekel und Dreckgefühle,
das Faszinosum des Erwischt werdens und ein schlechtes Gewissen."
Bei Eder ist die romantisch grundierte Gegenwart in den schaurigen
Abgrund des Kitsches gefallen. Andere suchen die Idylle oder
zumindest die Sehnsucht danach. Sie suchen das Gefühl.
Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb: Die figurative
Malerei boomt und mit ihr die Malerei von Martin Eder.
Ölschinken über dem Sofa sind
wieder schick. Auf Kunstmessen werden Höchstpreise für
Farben auf Leinwänden bezahlt, der Markt hat die Malerei, die
erst kürzlich das Zeitliche gesegnet zu haben schien, wieder
ganz nach oben gespült. War es nicht erst in den 90er-Jahren,
dass die Malerei - abstrakt oder gegenständlich - mit einem
Mal reichlich alt aussah? Es war das Jahrzehnt, in dem die Welt
verpixelte: Computer, Internet, neue Medien waren der Trend;
flackernde Bildschirme und Videoprojektionen bewegten die
Galerieräume. Bilder hießen damals "Flachware". Dann
tauchte Neo Rauch auf. Der Leipziger Maler avancierte mit seinen
surrealen DDR-Chiffren zum Superstar der Kunstszene. Der Erfolg
seiner Bilder machte das Bedürfnis nach Figurativem sichtbar.
Schließlich kamen die halbnackten Jungs von Norbert Bisky, die
in einer Welt zwischen sozialistischem Realismus und der
Ästhetik der 30er-Jahre herumturnten, und nach der
Jahrtausendwende waren es Tim Eitels traurige Menschen in öden
Landschaften. Der Boom war da. "Young German Artists" hat die
Presse das Phänomen gelabelt oder "Dresden Pop" und "Leipziger
Schule".
Arno Rink hört das gar nicht gern. Ihm
klingt das zu sehr nach Schublade. Arno Rink ist Professor für
Malerei an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst,
und ein Großteil der heute so erfolgreichen Maler sind bei ihm
in Leipzig oder an der Hochschule in Dresden ausgebildet worden.
Beide Akademien haben trotz Medienkunsthype an der Tradition der
gegenständlichen Darstellung aus DDR-Zeiten festgehalten. Als
Abstraktion, Pop-Art und Konzeptkunst den Westen eroberten, malten
ostdeutsche Maler wie Willi Sitte, Werner Tübke oder Bernhard
Heisig, der die Leipziger Malklasse 1961 gründete, weiter
figurativ. Alles andere galt als dekadent. Dann kam die Wende.
"Viele dachten, mit dem Staat kippt die Malerei", sagt Arno Rink.
Aber sie kippte nicht. Das wurde einige Jahre belächelt, bis
die Zeit reif für eine Renaissance war. Alles Ostalgie? Eher
Ost-Exotismus, findet Ulrike Kremeier von dem nichtkommerziellen
Kunstraum "Plattform" in Berlin: "Wie kommen Moden zu Stande? Es
ist der Reiz des Neuen und der Reiz des Exotischen. Die Malerei aus
der Leipziger und Dresdener Tradition hat diesen Reiz des Fremden."
Zumindest für die Westler, und das ist der größte
Teil der Kunstkäufer. In jedem Fall ist die Wiederbelebung der
Malerei die bewährte Lektion der Geschichte, dass jede
Bewegung ihre eigene Gegenbewegung hervorbringt.
Für Arno Rink ist die moderne
Rückwendung zur Malerei folgerichtig: "Eine Installation im
Wohnzimmer ist auf Dauer unsinnlich." Zu technisch, zu
konzeptionell, zu theoretisch, zu wenig heimelig, mit anderen
Worten: zu wenig Gefühl. Bilder, die Sprache des
Unterbewusstseins und der Träume, taugen eher als
Seelenfutter. In Zeiten der Unsicherheit halten sich die Augen gern
am Bewährten fest. "Vielleicht ist das wertkonservativ",
räumt Arno Rink ein, "aber es ist nicht restaurativ." Denn:
Der malerischer Blick richtet sich auf die Realität der
Gegenwart, in dem sich vergangene Epochen wie Surrealismus und
Expressionismus mit fotografischer Präzision der modernen
Vereinzelung, ein bisschen Pop, ein bisschen Tristesse neu mischen.
Dass das nicht ausreicht, glaubt Ulrike Kremeier, die selbst
Kunsttheorie an einer Leipziger Malklasse unterrichtet. Zu genau
würden die klassischen Sujets aufgenommen. "Ich sehe da keine
Weiterentwicklung im kritischen Sinne." Aus Rinks Perspektive
dagegen hat sich viel verändert: Das explizite politische
Dogma des Sozialismus hat "eine Hinwendung zu Ich-Thematiken"
abgelöst. Besonders gern wird der Stand der Romantik, oder was
davon noch übrig ist, verhandelt.
Was das über die Welt sagt, erklärt
der Katalog der Ausstellung "Wunschwelten" in der Frankfurter
"Schirn": "Übersättigt vom medialen Bombardement aus
schlechten Nachrichten, Kriegsberichten und verheerenden
Nachrichten des Terrors, aufgerieben als Individuum in Zeiten des
Turbokapitalismus und frustriert als Wähler inmitten
undifferenzierbarer Parteiprogramme ohne Zukunftsperspektive,
beginnt eine Suche nach Orten der Sicherheit und der Zuflucht -
oder zumindest nach den Bildern, die diese suggerieren
können." Martina Weinhart, Kuratorin der Ausstellung, ist
fündig geworden: In den Ateliers junger, meist
US-amerikanischer oder angelsächsischer Künstler hat sie
die Exponate gefunden, die nun in der "Schirn" die
zeitgenössischen Möglichkeiten von Caspar David
Friedrichs Ansätzen ausloten. Die Sehnsucht nach den
Wunschwelten und die Rückwendung ins Ich scheint ein globales
Phänomen zu sein. Und gibt der Kritik der reinen Nostalgie
zusätzlich Feuer: Statt diskursiver Standortbestimmung mit
Theorieanteil wird eine neue Innerlichkeit propagiert. "Wenn man
den Begriff politisch im Sinne von Agitprop versteht, dann sind die
Bilder unpolitisch", räumt Arno Rink ein, "wenn man sie als
Spiegelbild einer Gesellschaft sieht, in der die politische Haltung
weitest gehend abgeschafft ist, dann nicht."
Am Ende spiegelt der Erfolg noch eine ganz
andere gesellschaftliche Realität wieder: die Gesetze des
Marktes. Und die bestimmen zurzeit die US-Amerikaner, die 60
Prozent des Kunstmarktes beherrschen. Die exorbitanten Preise, die
derzeit für Malerei bezahlt werden, treiben amerikanische
Privatsammler in die Höhe. Geld ist genug da, die Regierung
Bush hat es möglich gemacht. Statt schöngeistiger Sammler
sind es nun die neuen Reichen, die die Regeln festlegen. Und die
bestimmt nicht notwendigerweise das Kunstverständnis, sondern
die Rendite. Arrivierte Maler sind über Jahre ausverkauft, der
Hunger der finanzstarken Investoren speist sich an Neulingen: Wer
heute kommt, könnte morgen da sein, beste Bedingungen also
für eine steilen Gewinnzuwachs - wenn die Rechnung aufgeht.
Das Ölbild als Aktie. Ist da eine Blase entstanden?
"Sicher, natürlich", sagt Arno Rink,
"der Boom wird nicht ewig anhalten, da werden sich dann
Einzelpersönlichkeiten rausbilden." Zumindest wird sich
irgendwann gezeigt haben, was Mode ist, und wer die Mode
überlebt. Denn auf dem Höhepunkt des Malereibooms
zeichnet sich wie immer schon der nächste Trend ab. "Das ist
die Bildhauerei", ist sich Ulrike Kremeier sicher. "Das Objekt ist
im Kommen."
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