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Hans Vorländer
Wege aus der deutschen Malaise
Kein Aufbruch. Nirgends?
Dass in Deutschland die Stimmung schlecht ist,
entgeht so gut wie keinem Beobachter. Dass es aber gar eine Lust
ist, alles und jedes schlecht zu schreiben, kann nur mit einem
ausgeprägten Hang zu teutonischem Masochismus erklärt
werden. Wie sonst sollte es möglich sein, dass ein so luzider
wie gebildeter Journalist, ehedem Leiter des Bonner Studios des
ZDF, heute Moderator des Kulturmagazins "aspekte", einen
Totalverriss von Politik und Politikern, Unternehmen und
Wirtschaftsführern, Medien und Bürgern verfasst, bei dem
der Leser sich fragt, warum er ein solches Buch überhaupt
lesen soll?
Die Sorgen, die sich Wolfgang Herles um die
Demokratie in Deutschland macht, mögen ja zu einem großen
Teil berechtigt sein. Die Bürger mögen politikverdrossen
und die Politiker bürgerverdrossen, die Parteien
anmaßend, der obwaltende Populismus elend sein; die Riege der
Politiker mag einem Panoptikum gleichen und sich in wechselseitig
begünstigender Patronage gefallen, die Gesellschaft mag
versagen, in vielen Dingen des öffentlichen Lebens ein
"katastrophaler Bildungsnotstand" herrschen, die Wirtschaftselite
arrogant sein. Die Intellektuellen mögen "abtauchen" und alle
unter einem "Moses-Komplex" leiden, in dem sie auf den Retter und
Löser aller Probleme hoffen - aber was soll so ein
selbstgefälliger, defätistischer Furor eigentlich
bewirken?
Bücher dieses Zuschnitts mögen sich
gut verkaufen, aber sie sind genau Teil des Problems, das sie
beschreiben. Sie entstammen dem "Moorbad des Pessimismus",
berauschen sich an einem auf anti-politischen Affekten beruhenden
Populismus und gefallen sich im Gestus des Verkünders
vermeintlicher Wahrheiten. Dabei bedienen und verstärken sie
nur die gängigen Klischees und unaufgeklärten Vorurteile,
die "unsere Demokratie ruinieren", wie Herles, wohl etwas zu
überspannt, schreibt.
Wer sich um die Demokratie in Deutschland
sorgt, sollte nüchtern analysieren und Wege aus der Malaise
aufzeigen. Für Kassandra-Rufe ist es entschieden zu früh.
Die zynische Attitüde des "Dann wählt mal schön" -
wobei der Autor dazu animiert, die Stimmzettel ungültig zu
machen, um es der "politischen Kaste" einmal so richtig zu zeigen -
ist gänzlich fehl am Platz. Herles erweist sich und seinem
Anliegen einen Bärendienst.
Flussaufwärts blicken
Ganz anders kommt das Buch von Ulrich Beck
daher. In weniger als acht Tagen konzipiert und geschrieben, wie
der Autor an anderer Stelle bekannt hat, geht es der Streitschrift
weniger um eine Entscheidungshilfe für die Wahl, wie der Titel
zunächst nahe legen mag, auch nicht um ein publizistisches
Ausschlachten des "Schlamasseldeutschland", von dem auch die Rede
ist, sondern es geht Beck um einen Blickwechsel, um Änderungen
von Einstellungen, die es Deutschland ermöglichen, wieder
"flussaufwärts" zu schauen. Beck will Mut machen, er will den
Aufbruch herbeischreiben, den "Stau in den Gedanken" auflösen,
der Deutschland lahm legt.
Die Dinge liegen für Beck komplizierter,
als es die Programme der Parteien suggerieren. Denn diese sind
weitgehend noch befangen in einem Denken, das sich an den alten
bundesrepublikanischen "Normalitäten" von Wachstum,
Vollbeschäftigung und nationalstaatlicher
Souveränität festklammert. Von der Geschichte
überholt, machen dennoch alle politischen Kräfte glauben,
dass wirtschaftliches Wachstum Arbeitsplätze schaffe und
nationale Politik den Weg hierzu bereiten könne. Wo sich die
einen als Keynesianer und Sozialstaatsprotektionisten gerieren,
unterwerfen sich die anderen, die Neoliberalen, den Zwängen
des grenzenlos agierenden Kapitals. Beide aber zeigen ein profundes
Unverständnis der Globalisierung.
Für Beck kommt es darauf an, das Land
gegen die protektionistischen Reflexe in Partei und Gesellschaft
für die Herausforderungen der globalisierten Welt zu
öffnen und zugleich das Soziale und Demokratische für
Deutschland neu zu begründen. Leicht wird das nicht werden,
Beck hat keine Illusionen. Nüchtern stellt er fest: "Auf das
Deutschland des Weniger kommt die Erfahrung zu, dass Demokratie
frei macht, aber nicht notwendigerweise reich." Und auch die in
Deutschland zur Zeit herrschende "kollektive Depression und die
innere Zerrissenheit, Orientierungslosigkeit" führt er - auf
die wohl zutreffend analysierten - Probleme des Übergangs von
einer Gesellschaft des Mehr zu einer Gesellschaft des Weniger
zurück. Deutschland muss sich also neu (er)finden. Ob hierzu
der Becksche "kosmopolitische Blick" ausreicht?
Kafkas Käfer
Die Verwandlung Deutschlands und das
Verstehen und Begreifen dieser Verwandlung - so schwierig dieses
Vorhaben auch sein mag -, Beck versteht es, in höchst
origineller, anregender und zupackender Weise den Leser für
diesen neuen Blick auf Deutschland zu gewinnen. Er bedient sich
dabei der berühmten Parabel Kafkas über die "Verwandlung"
als einer metaphorischen Erzählung über die Krise des
deutschen Bewusstseins. So wie Gregor Samsa sich bei Kafka eines
Morgens als Käfer verwandelt sieht, der hilflos auf seinem
Rücken liegt und mit seinen Beinchen strampelt, so ist
Deutschland aus seinem Traum immerwährender Prosperität
und sozialstaatlicher Sekurität aufgewacht.
Beide, Samsa und Deutschland, wollen ihre
Lage zunächst nicht wahrhaben. Aber so wie es dann Samsa
gelingt, auf die Beine zu kommen und sein neues Leben zu leben, so
kann es Deutschland gelingen, der "Einkäferung", der
"Verwandlungsverweigerung" zu entgehen, den neuen Tatsachen ins
Gesicht zu sehen und Freiheit, Demokratie und gesellschaftlichen
Zusammenhalt auch unter veränderten Bedingungen zu sichern.
Deutschland ist Samsa, so lautet die Becksche Lektion.
Und wehe, wenn sie nicht gelernt wird: "Wer
unbeweglich im Bedauern und Betrauern des Verlustes verharrt und
deswegen das Neue, das er oder sie auch geworden ist, weder
erkundet noch erprobt, wird unerkannt und ungewollt zur Ursache
seiner Starre und seiner Schmerzen." Dann droht die fatale
Selbstblockade.
Wenn auch ein Gran Skepsis die Lektüre
begleiten mag, so tut es doch gut in diesen Zeiten, einen so
temperamentvollen Aufklärer wie Beck zu lesen.
Wolfgang Herles
Dann wählt mal
schön.
Wie wir unsere Demokratie
ruinieren.
Piper Verlag, München 2005, 240 S.,
17,90 Euro
Ulrich Beck
Was zur Wahl steht.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2005; 127
S., 7,- Euro
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