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Helmut Heinzlmeir
Die Welt der Entdecker und Eroberer
Eine staunenswerte, leider auch sehr teure
Enzyklopädie
Anno 1492 entdeckte Kolumbus Amerika, 1498 Vasco da Gama den
Seeweg nach Indien. Beide Reisen markieren eine Zäsur in der
Weltgeschichte. Im Jahrtausend zuvor - zwischen dem 5. und dem 15.
Jahrhundert - prägten die chinesische, die indische und die
islamische Zivilisation das Geschehen auf dem euroasiatischen
Kontinent. Das mittelalterliche Europa nahm sich als Anhängsel
aus. Um 1500 änderte sich dies schlagartig.
Europa begann die Welt zu entdecken - und zu erobern. Es wollte
unmittelbaren Zugriff auf die sagenumwobenen Reichtümer
Indiens. Indien stand damals für den gesamten Fernen Osten.
Gewürze, Edelsteine, Seide und vieles ähnliches mehr
lockten. Aber zwischen Europa und dem Fernen Osten lag der
islamische Machtbereich - da gab es zu Lande kein Durchkommen. So
suchte man nach Auswegen. Portugal fand ihn im Seeweg rund um
Afrika. Damit konnte man den lukrativen islamischen Zwischenhandel
ausschließen und gleichsam im Rücken des islamischen
Erzfeindes eine starke Stellung aufbauen. Zwei Gründe waren
für das seinerzeitige weltumspannende Ausgreifen Europas
maßgeblich: Handel und Mission.
Von Hanno bis Sven Hedin
All die Entdecker (oft auch Eroberer) jener Zeit sind in einer
bemerkenswerten Enzyklopädie aufgelistet. Auf annähernd
3.700 Seiten werden, alphabetisch geordnet, mehrere tausend
Entdeckungsreisende aufgeführt. Von der Antike über die
frühe Neuzeit bis hin zum Ausgang des 19. Jahrhunderts. Von
Hanno dem Karthager, der im fünften vorchristlichen
Jahrhundert die afrikanische Westküste bis Kamerun abgesegelt
haben soll; über Ibn Battuta, dem größten arabischen
Reisenden, der im 14. Jahrhundert von Nordafrika bis China gereist
ist; bis hin zu Sven Hedin, dem wohl bedeutendsten Asienforscher an
der Wende zum 20. Jahrhundert. Jeder Eintrag enthält
biografische Angabe, akribisch genaue geografische
Reisebeschreibungen und umfassende Literaturangaben. Die
Ausführung zu Namen wie Marco Polo oder James Cook gleichen
eigenständigen Monografien.
Für den Autor dieses beeindruckenden Werkes, dem Geografen
Dietmar Henze, waren drei Fragestellungen leitend: Was und wie sah
ein Reisender? Welcher Zuwachs an geografischer Kenntnis
knüpfte sich an seine Reisen? Wie wurde die Entdeckung in der
zeitgenössischen Geografie aufgenommen? Henze hat über 30
Jahre lang an dieser Enzyklopädie gearbeitet. Die Auswahl der
Entdeckungsreisenden erfolgte aus primär eurozentrischer
Perspektive - alles andere hätte auch die Möglichkeiten
eines einzelnen Autors überfordert. Im Vorwort zum zweiten
Band bringt er jedoch die Hoffnung zum Ausdruck, dass die nicht
minder erstaunlichen Leistungen anderer Kulturkreise dereinst
gleichermaßen dargestellt werden.
"Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine
böse Entdeckung", so Georg Christoph Lichtenberg (1742 -
1799). Als Kolumbus 1492 in der Karibik landete, lebten dort
schätzungsweise eine Million Indianer. Um 1650 waren es nur
noch einige Hundert. Um 1492 lebten im späteren
Spanisch-Amerika rund fünfunddreißig Millionen Menschen,
um 1650 waren es nur noch vier Millionen. Die meisten der
frühen Konquistadoren - alle auch als Entdecker bekannt -
waren Kleinadelige. Der Familienbesitz in der Heimat bot wenig
Einkommen. Darüber konnten auch Adelsprivilegien nicht hinweg-
täuschen. Eroberungen in der Neuen Welt, oft mit
äußerster Rücksichtslosigkeit, boten da Ersatz.
Überraschenderweise blieb Afrika, der Nachbarkontinent, im
Zeitalter der Entdeckungen, zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert,
von den großen europäischen Kolonialmächten Portugal
und Spanien, England, Frankreich und den Niederlanden weitgehend
unbeachtet. Der Grund dafür war einfach. Amerika - Stichwort
"Landnahme" - und Asien - Stichwort "Handel" - boten weit mehr.
Afrika war zumindest aus europäischer Sicht über
Jahrhunderte hinweg nicht viel mehr als eine lästige lange
Küste, an der man entlang segeln musste, um nach Asien zu
gelangen und vor der man nur ankerte, um Sklaven für Amerika
einzutauschen. Sklaven waren der einzige "Rohstoff", der über
Jahrhunderte hinweg interessierte. Der wurde von einheimischen
Potentaten gegen gute Bezahlung an die Küste geliefert.
Die Zeit der großen Afrika-Reisenden kam erst mit dem 19.
Jahrhundert. Darunter sind auch bekannte deutsche Namen wie
Heinrich Barth oder Gustav Nachtigal. Auch ihre Reisen hat Henze
detailliert dokumentiert. Seine Enzyklopädie mag
vordergründig als Geografiegeschichte erscheinen. Allein zum
Verständnis der europäischen Expansionsgeschichte ist sie
jedoch eine schier unerschöpfliche Informationsquelle. Zu
hoffen ist, dass diese solitäre Arbeit zu gegebener Zeit auch
noch in einer digitalisierten Ausgabe vorgelegt wird. Der Preis ist
selbst für viele Universitätsbibliotheken zu hoch.
Dietmar Henze
Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der
Erde.
Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1978 bis 2004; 5
Bde., zus. 3636 S., 1.706,- Euro
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