|
|
Jost Kaiser / Annette Sach
Der "Umfragesieger-Besieger"
Die Sozialdemokraten im Endspurt der
Bundestagswahl
Trotz eines deutlichen Umfragenvorsprungs der
Union gibt sich Bundeskanzler Gerhard Schröder zuversichtlich.
Mit seiner Entscheidung für Neuwahlen hat er demonstriert: Er
möchte es noch einmal wissen. Von den Wählern will sich
der Kanzler noch einmal grünes Licht für weitere
einschneidende Reformen geben lassen. Dabei setzt er darauf, dass
die Wahl erst in den letzten Tagen entschieden wird. Und dass mit
dem Thema soziale Gerechtigkeit verlorene SPD-Wähler wieder
ins Reformboot geholt werden können.
Arbeit im 21. Jahrhundert" - das Motto des
Vormittags hört sich nach den unvermeidlichen Dauerbrennern
vom "Sabine Christiansen"-Deutschland an: Lohnnebenkosten runter,
Flexibilisierung, längere Lebensarbeitszeit,
Kündigungsschutz lockern. Doch gerade sind Franz
Müntefering und DGB-Chef Sommer, die zu der Vorpremiere des
Film "Working Man's Death" ins schummrige Delphi-Kino am Berliner
Bahnhof Zoo geladen haben, mit etwas anderem konfrontiert worden:
Elend, Arbeit als Lebensgefahr, Selbstausbeutung. Und für die
Dauer einer Kinovorstellung entsteht der alte Schulterschluss
zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung.
Veranstaltungen wie diese hier bringen ja keine Stimmen - aber
haben politische Symbolik: SPD und DGB wieder Seit' an Seit'. Und
dann das Thema: Arbeit und Ausbeutung - es sind beeindruckende und
in einigen Sequenzen unerträgliche Bilder, die Dokumetarfilmer
Pepe Danquardt in Nigeria, in der Ukraine, in Indonesien und
Pakistan gedreht hat. Es geht um die härtesten
Arbeitsbedingungen der Welt und manche lassen sich wie eine Parodie
auf die liberale Parole von der Freiheit zur "Eigeninitiative"
lesen: diese Schattengestalten haben eine Freiheit, wie sie Janis
Joplin einmal definiert hat: "Freedom is, when you have nothing
left to loose."
Wo Danquardt gedreht hat, wartet das
sozialdemokratische Jahrhundert darauf zu beginnen. Wahrscheinlich
vergeblich. In der anschließenden Diskussion, versucht der
SPD-Chef den Bogen zur aktuellen Lage in Deutschland zu spannen und
gleichzeitig Wahlkampfpunkte zu sammeln: "Ne' Menge Menschen"
würden unter schweren Bedingung arbeiten, aber zähle
nicht auch der deutsche "LKW-Fahrer unter Zeitdruck" dazu, gejagt
vom billigeren rumänischen Konkurrenten? Lohnmäßig
könne man nicht mit der der Dritten Welt oder sogar
Rumänien mithalten, sagt er. Und dabei schwingt der leise
Zweifel mit, dass weder die Sozialdemokraten ebenso noch die
Parteien im bürgerlichen Lager ein Patentrezept auf die
drängenden Fragen der Globalisierung geben können. Auch
wenn man die Verwerfungen der Globalisierung nicht bekämpfen
kann, so haben sich die Sozialdemokraten den Kampf für die
soziale Gerechtigkeit im eigenen Land auf ihre Wahlplakate
schreiben lassen. "Deutschland soll sich entscheiden", heißt
es im Wahlmanifest der Partei. Auf ihrem Wahlparteitag am letzten
Augusttag in Berlin verabschiedet die Partei dann auch einen
Wahlaufruf, in dem von einer Richtungsentscheidung die Rede ist.
Schröder stehe für eine Politik des Mutes, des
Fortschritts und der sozialen Gerechtigkeit. An diesem Sommertag
bahnt sich der Bundeskanzler mit Parteichef Müntefering den
Weg durch ein Meer von roten T-Shirts bis zur Rednerbühne -
erstmal wird das Jackett ausgezogen. Und jetzt scheint der
Parteichef - allen Unkenrufen zum Trotz - nochmal alles zu geben:
Vor allem eine gehörige Portion Zuversicht. Die Parteibasis
nimmt sie dankbar auf. Von einer Abschiedsrede, wie Schröders
Kritiker zuvor bissig frohlockt hatten, ist auf dem Mini-Parteitag
nichts zu spüren. Mit dem politischen Gegner geht
Schröder hart ins Gericht. Die Politik von Union und FDP
führe in eine "Ellenbogengesellschaft", so der Kanzler, in der
"Neid, Missgunst und Egoismus das Zusammenleben mehr und mehr
bestimmen würden". Über den grünen Partner, mit dem
die Sozialdemokraten seit sieben Jahren koalieren, sagt
Schröder kaum ein Wort und auch eine Koalitionsaussage
zugunsten der Grünen findet sich in dem Wahlaufruf nicht.
Polarisierung ist angesagt und so beschäftigt sich
Schröder in seiner Rede mit dem politischen Gegner aus dem
bürgerlichen Lager. Markige Worte findet Schröder
für den Steuerexperten Paul Kirchhof, Finanzfachmann und
Merkels-Trumpfkarte in ihrem Wahlkampfteam: "Wenn ich dann diesen
Professor aus Heidelberg höre, wie er sich verbreitet, dass
die Rente wie die KFZ-Versicherung behandelt werden kann, dann wird
darin ein Menschenbild deutlich, das wir bekämpfen
müssen. Menschen sind keine Sachen." Die Abkehr vom
Sozialstaat ist sein Thema. Und so warnt er fast schon ein wenig
beschwörend: "Die Politik von CDU und CSU setzt auf die
Spaltung in Deutschland in wenige Gewinner, aber sehr viele
Verlierer." Für die Linkspartei, die noch vor wenigen Wochen
als linkes Schreckensgespenst in Erscheinung trat, hat der Kanzler
nur ein paar verächtlich klingende Worte übrig. Oskar
Lafontaine und Gregor Gysi hätten in ihrer politischen
Laufbahn vor allem eines deutlich gemacht: "Dass sie die Klamotten
hinschmeißen, wenn es eng wird", sagt er mit trotziger
Zuversicht. Statt vor der roten Konkurrenz zu zittern, setzt der
Kanzler in Sachen Linkspartei.PDS offenbar auf den Faktor Zeit und
hofft, dass deren Umfragewerte weiter sinken. Schröder gibt
den Genossen das gute Gefühl, dass die Wahl noch nicht
entschieden, alles möglich sei: "Lasst Euch nicht ins
Bockshorn jagen, auch diese Wahl wird in den letzten Tagen
entschieden", ruft er in den Saal des Tagungshotels. Er und seine
Anhänger setzen ihre Hoffnung darauf, dass viele Wähler
noch unentschieden seien.
Und als kenne er keine Zweifel, bringt es
Schröder auf die knackige Formel: "Die anderen sollen die
Umfragen gewinnen - ich die Wahlen." Die über 520
Parteitagsdelegierten danken ihm die kämpferische Rede. Sie
zollen ihm zwölf Minuten Standing-Ovations und versetzen mit
rythmischen "Jetzt-Gehts-Los"-Sprechchören den Saal in
Schwingung.
Einige Tage zuvor in Hannover schien der
Bundeskanzler, wie schon 2002, die außenpolitische Karte
ziehen zu wollen. Schröder präsentierte sich in Hannover
als Vertreter einer, so wörtlich, "Friedensmacht Deutschland".
"Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik", so rief der Kanzler
der Menge zu, "wird in Berlin entschieden, und nirgendwo anders."
An dieser Stelle brandet, wenn der Kanzler auf deutschen
Marktplätzen spricht, zwar immer noch regelmäßig
Applaus auf, doch ist die außenpolitische Karte kein Joker -
der Wahlkampf 2005 wird mit innenpolitischen Themen entschieden und
dabei setzt die Partei ganz auf die Beliebtheit des
Kanzlers.
Ihr Wahlmanifest hat die Partei mit dem Titel
"Vertrauen in Deutschland" überschrieben. Die SPD möchte
eine "Reichensteuer" einführen, einen Zuschlag in Höhe
von drei Prozent zahlen Ledige auf Einkommen ab 250.000 Euro
Jahreseinkommen, Verheirate sollen ab einem Einkommen von über
500.000 Euro einen Zuschlag auf die Einkommenssteuer entrichten.
Das Geld soll in Bildung, Forschung und Zukunftstechnologien
investiert werden. Die Steuer auf große private Erbschaften
soll "sozial gerecht" verändert werden, das Steuerrecht
vereinfacht und Steuersubventionen sowie Steuervergünstigungen
weiter abgebaut werden. Die Zuschläge für Sonntags-,
Nacht- und Feiertagsarbeit will die SPD unangetastet lassen.
Besonderes Augenmerk legt die Partei in diesem Wahlkampf auf die
Familienpolitik. Neben dem weiteren Ausbau der
Betreuungsmöglichkeiten soll jungen Müttern - und
Vätern - nach der Geburt eines Kindes ein Jahr lang ein
Elterngeld garantiert werden. Damit soll der Lohnausfall
während der frühen Erziehungsphase ausgeglichen
werden.
Im Delphi-Kino ist die Veranstaltung
inzwischen zuende. Das Bündnis der SPD mit dem DGB, zustande
gekommen für die Dauer einer Filmvorführung, wirkt ein
wenig wie aus einer anderen Zeit. Man versichert sich der eigenen
Geschichte und was man alles erreicht hat und dass das alles
irgendwie auch heute noch eine Bedeutung haben sollte. Als
Müntefering in die Sonne heraustritt, kann er ein Plakat der
SPD sehen. "Wir erhalten den Kündigungsschutz" steht darauf.
Jemand hat darunter mit schwarzem Filzstift gekritzelt: "Seit
neustem". Für ihr Reformprogramm "Agenda 2010", das
Bundeskanzler Schröder im März 2003 vorgestellt hatte,
war die SPD auch in den eigenen Reihen kritisiert worden.
Insbesondere die Hartz- IV-Reform, die Zusammenlegung von
Arbeitslosengeld und Sozialhilfe hatte die Partei Sympathiepunkte
gekostet. Beim großen Tempo der Reformen blieb nicht immer
genügend Zeit für die notwendige Überzeugungsarbeit
- sowohl nach innen als auch nach außen. Für
Bundeskanzler Schröder ist die "Agenda 2010" jedoch weiterhin
die einzig richtige Antwort auf die Globalisierung und das
Älterwerden der Gesellschaft. Er ist überzeugt, dass die
Reformen langfristig greifen werden. Beim Endspurt bis zur
Bundestagswahl am 18. September vertraut die SPD auf das Prinzip
Hoffnung und die Popularität ihres Spitzenkandidaten. Bei der
letzten Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen Ende August liegt
Schröder mit fünf Punkten vor seiner Herausforderin
Angela Merkel.
Schröder scheint im Endspurt des
Wahlkampfes seine Form gefunden zu haben. Zuversichtlich sieht der
Bundeskanzler daher auch dem Fernsehduell mit Spitzenkandidatin der
Union entgegen. Nachdem es ihm auf dem Parteitag in Berlin gelungen
ist, seinen Anhängern Mut zu machen und die Seele der Partei
anzusprechen, will er jetzt die Wähler im Land vor den
Fernsehschirmen für sich gewinnen - getreu dem Motto das Franz
Müntefering am Ende des Parteitags ausgegeben hatte: "Nun geht
hinaus und sagt's den Menschen."
Zurück zur Übersicht
|