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Corinna Emundts
Kampf auf scheinbar verlorenem Posten
Der Wahlkampf von Bündnis 90/Die
Grünen
Von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD)
waren sie vor vollendete Tatsachen gestellt worden: Die Grünen
müssen mit der unerwarteten Entscheidung für vorgezogene
Neuwahlen einen Wahlkampf führen, den sie für das Jahr
2005 nicht geplant hatten. Joschka Fischer, in Umfragewerten durch
die Visa-Affäre geschwächt, hat erneut das Amt des
Spitzenkandidaten besetzt. Einmal noch beansprucht Fischer die
Spitzenkandidatur - bevor wohl auch bei den Grünen ein
Generationswechsel ins Haus steht.
Ein lauer Augustabend in einer der
berühmtesten Straßen Berlins, der Oranienburger
Straße, und ein Kandidat. Er spricht, brüllt, faucht sich
heiser - kann nur Joschka Fischer sein. Er ist gut gelaunt und
witzelt, so nah an seiner Wohnung habe er noch nie Wahlkampf
gemacht: Zwischen dem inzwischen schick gewordenen Kulturzentrum
"Tacheles" und dem Gebäude, in dem sich 2002 die
SPD-Wahlkampfzentrale "Kampa" befand, liegt noch immer eine brach
liegende Fläche, parkplatzgroß in Blickweite der
jüdischen Synagoge. Von hier aus ist der Außenminister in
fünf Minuten zu Hause in seiner Berliner Wohnung. Würde
man einen Spielfilm drehen, in dem der grüne Wahlkampf eine
Rolle spielt, müsste es genau so aussehen: Ein auf modern
getunter Bauwagen mit hochgeklapptem Sonnensegel als Rednerpult,
ein paar Biertische und grüne Sonnenschirme. Und genau dieser
Ort. "48 Stunden - Die grüne Rede-Rallye an der Wählbar"
haben die Wahlkämpfer ihre Veranstaltung getauft, bei der die
gesamte Grünen-Prominenz spricht - man merkt, es macht ihnen
inzwischen Spaß. "Wollen Sie etwa einen Außenminsiter
Westerwelle haben?", ruft der amtierende Außenamtschef
kampfeslustig in die Runde aus Touristen, Fans, Grünen und
Journalisten. Mit den in der Visa-Politik gemachten Fehlern geht
Fischer im Wahlkampf offensiv um - er verschweigt sie nicht,
sondern nutzt sie, um sich als Mensch mit Stärken und
Schwächen getreu dem Motto "Jeder macht mal Fehler" ganz
menschlich zu zeigen.
So müssen sich die Grünen im
Bundestagswahlkampf in zweierlei Hinsicht in ein ungewolltes
Schicksal fügen - bezüglich des Zeitpunktes und in der
Person ihres Spitzenkandidaten. Obwohl es neben der personell recht
identischen Besetzung weitere Parallelen zum Bundestagswahlkampf
2002 gibt, haben es die Grünen diesmal ungleich schwerer.
Nicht nur, weil die persönlichen Umfragewerte von Joschka
Fischer am Fallen sind. Auch die innere Verfassung der Partei ist
komplizierter geworden. Man kann derzeit bis zu vier verschieden
denkende Lager ausmachen, die sich jenseits der herkömmlichen
Aufteilung in eher linksorientierte Fundamentalisten ("Fundis") und
eher wertkonservative oder pragmatische Realisten ("Realos")
bilden.
Zur ersten Gruppe zählen jene, bei denen
spätestens seit der Entscheidung zur Beteiligung der
Bundeswehr im Kosovo ein pragmatischer Politikansatz auszumachen
ist, der sich in der zweiten rot-grünen Legislaturperiode
weiter verstärkt hat. Man könnte diese Gruppe die
"Regierungspragmatiker" nennen, die sich um die drei Minister
Joschka Fischer (Außenpolitik), Renate Künast
(Verbraucherschutz, Ernährung, Landwirtschaft) und
JürgenTrittin (Umwelt) scharen. In diesen Politikfeldern wurde
in den sieben Regierungsjahren viel erreicht, die Minister
können auf eine recht erfolgreiche Bilanz zurückschauen,
gemessen an der Machbarkeit im Zusammenspiel mit dem mächtigen
Koalitionspartner SPD und den Interventionsmöglichkeiten des
unionsgeführten Bundesrates. Selbst der als erster Grüner
im traditionell von den Liberalen besetzten Außenamt anfangs
kritisch beäugte Joschka Fischer hat in seinen sieben
Amtsjahren wenig Kritik aus der deutschen Opposition ertragen
müssen - zumindest bis zur Visa-Affäre. Die
"Pragmatikergruppe" schöpft aus dieser Regierungsbilanz, sich
trotz einer als verloren geltenden Wahl auch weiterhin
kämpferisch zu geben.
Die zweite Gruppe, deren Mitstreiter sich zum
Teil ebenfalls an den Schalthebeln der Macht befinden, ist eher
geprägt von einer Sehnsucht nach radikaler Erneuerung.
Ausgepowert wie die FDP in den letzten Amtsjahren der Regierung
Kohl vor 1998, leiden sie unter Profil- und Identitätsverlust.
Sie wünschen sich eine breite Diskussion in der Partei
über die neuen Herausforderungen durch Globalisierung, Umwelt
oder die Erweiterung Europas. Es scheint, als sehne sich manch
einer von ihnen fast schon in die Opposition und damit nach
inhaltlicher Erneuerung.
Die dritte Gruppe würde eigentlich gerne
weiterregieren, möchte sich jedoch langsam vom Übervater
Joschka Fischer trennen. In ihren Denkmustern ähnelt diese
Gruppe der ersten und glaubt, Erneuerung plus Weiterregieren
gleichzeitig bewerkstelligen zu können. Zu ihnen kann man aber
auch einmal mehr Renate Künast und Parteichef Reinhard
Bütikofer zählen.
Die vierte Gruppe ist eher an der Basis und
nicht in den "Schaltzentralen der Macht" im Berliner
Regierungsviertel zu finden. Jene, die meinen, ihre eigene Partei
nicht mehr wiederzuerkennen - möglicherweise die radikalere
Variante der oppositionssehnsüchtigen Angehörigen der
Bundestagsfraktion, die kurz vor dem Austritt stehen und -
wären sie so viele wie die Schar um Oskar Lafontaine und
Gregor Gysi - vielleicht auch eine neue Partei gründen
würden.
Die innere Verfasstheit der Partei ist also
nicht ganz so kämpferisch auf Wahlsieg ausgerichtet, wie es
ihr Spitzenmann mit seinem Wahlkampfbus durch die deutschen Lande
ruft. Inhaltlich gesehen hat die Partei nach Einschätzung von
politischen Beobachtern weniger prägnante Merkmale als
früher zu bieten. So ist beispielsweise die Umweltpolitik von
den anderen Parteien ins Programm aufgenommen und wirklich kein
ausschließlich grünes Erkennungsmerkmal mehr.
In der rasterhaften und wenig detaillierten
Sicht der Wähler ist allein die Frage der Fortsetzung des 1999
von Rot-Grün beschlossenen stufenweise ablaufenden
Atomausstieges noch ein Unterscheidungskritierium zu Schwarz-Gelb,
auch wenn es bei genauerer Betrachtung weitere umweltpolitische
Themenfelder wie die Förderungsintensität für
erneuerbare Energien gibt. Doch diese Themen taugen nicht zur
Polarisierung in einer halbstündigen Wahlkampfrede von Joschka
Fischer. Er setzt auf Generationengerechtigkeit und auch - wie alle
anderen Parteien - auf das Hauptthema Arbeitsplätze. Die
Grünen fordern eine armutsfeste soziale Grundsicherung, die
ihnen die Kritik einiger Institute für Wirtschaftsforschung
eingebracht hat. Das von den Grünen entwickelte und im
Vergleich zur SPD wesentlich ausgereiftere Konzept einer komplexen
Bürgerversicherung ist für die Bürger auf der
Straße oftmals nicht verständlich und eher etwas für
Spezialisten als für den Mann auf der Straße.
Die zwei Charakteristika des
Bundestagswahlkampfes 2005 - erstens das scheinbar sichere Ergebnis
einer Abwahl der rot-grünen Koalition und zweitens das
Hauptthema Arbeit - bringt die Grünen in eine besonders
defensive Lage. Sie versuchen ihr zu entkommen, indem sie ihren
Wählern das Gefühl geben, auch in einer Oppositionsrolle
mit ihren Themen gebraucht zu werden.
Die Parteispitze der Grünen hat die Lage
in Umfragen so analysiert, dass Wähler der Grünen eher
bereit sind, der Partei treu zu bleiben, auch wenn fast sicher von
einer Nicht-Regierungsbeteiligung ausgegangen werden
muss.
Die Union und die FDP haben ihre
Oppositionsphase genutzt, um sich von manchen alten Schablonen zu
lösen. Vor allem die Union hat ihr Frauen- und Familienbild
nach außen verändert und auch die FDP hat mit ihrem
Parteivorsitzenden Guido Westerwelle einen Generationswechsel
vollzogen. Grabenkämpfe von Alt gegen Neu, von Tradition
versus Moderne sind für die Grünen daher schwerer zu
führen geworden. Man ist realistisch in den Erwartungen und
rechnet in derParteizentrale mit einem Ergebniskorridor von sechs
bis neun Prozent der Wählerstimmen.
"Rot-Grün mag gescheitert sein. Aber
eine Maggie-Merkel-Regierung wird die Frage beantworten
müssen: Wie steigert man Scheitern?", das jedenfalls fragt der
Soziologe Ulrich Beck in seinem Buch zur Wahl 2005 für jenen
Fall, dass eine konsequent unternehmerfreundliche Politik zu Lasten
der Arbeitnehmer doch nicht die gewünschten Konjunkturimpulse
und neuen Arbeitsplätze schaffen würde. Das ist
wahkampfstrategisch gesehen die Hauptfrage, von der sich die
Grünen einen Erfolg beim Wähler versprechen.
Diese Skepsis zu pflegen, schickt sich auch
Joschka Fischer derzeit an. "Man soll den Kampf nicht aufgeben,
solange er noch stattfindet", krächzt er daher auch an diesem
Abend in der Oranienburger Strasse mit belegter Stimme gut gelaunt
in die Mikrofone.
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