|
|
Claudia Heine
Liberale wollen selber Stimmen fischen
Die FDP strebt zurück auf die
Regierungsbank und setzt im Bundestagswahlkampf auf ein eigenes
Profil
Die Partei hält sich an ihr Wahlprogramm.
Dort steht unter dem Titel "Arbeit hat Vorfahrt": "Die FDP als
Partei der sozialen Marktwirtschaft setzt auf Wettbewerb in allen
Bereichen." Natürlich gilt das auch für sie selbst in der
direktesten Form der politischen Auseinandersetzung: dem Wahlkampf.
Aber erst beim Schlußspurt in den letzten Wahltagen wird laut
Demoskopen entschieden, ob es für eine schwarz-gelbe Koalition
reicht. Für die Liberalen geht es nicht allein um die
Rückkehr auf die Regierungsbank, sondern auch um die
Führung in der Partei.
Die Ankündigung aus dem Mund des
FDP-Generalsekretärs Dirk Niebel klingt kämpferisch: "Die
FDP ist nicht das Schoßhündchen der Union, sondern eine
eigenständige Partei", ließ er Anfang August über
die "Passauer Neue Presse" mitteilen. Und natürlich "fische"
man auch nach Wählerstimmen im Lager von CDU und CSU. Dort
sammeln die Liberalen mit ihrer offensiven Betonung der
Unterschiede, zum Beispiel ihrer strikten Ablehnung einer
Mehrwertsteuererhöhung, keine Sympathiepunkte. So kritisierte
CSU-Generalsekretär Markus Söder das unscharfe Profil der
Liberalen: "Die FDP muss auch sagen, wofür sie steht. Sie darf
nicht nur sagen, wogegen sie ist." Und der hessische
Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hatte sogar manchmal den
Eindruck, die Liberalen sehen nicht in Rot-Grün, sondern in
der Union den eigentlichen Gegner.
Der Wettbewerb verschont den möglichen
Koalitionspartner nicht. Es ist der Spagat, den die FDP in jedem
Bundestagswahlkampf zu bewältigen hat: Ihr Wahlprogramm als
ureigenes, liberales Projekt zu verkaufen, ohne es mit der
Abgrenzung zur Union jedoch zu übertreiben.
Wohin das führen kann, musste die Partei
bei der Bundestagswahl 2002 erfahren. Mit dem Image als
Spaßpartei war sie ausgezogen, um mit einem "Guido-Mobil"
für ihren "FDP-Kanzlerkandidaten" zu werben. Nicht weniger als
18 Prozent der Wählerstimmen wollte man erhalten. Auf eine
Koalitionsaussage verzichtete die FDP. Am Ende erhielt sie 7,4
Prozent der Stimmen - und landete erneut in der
Opposition.
Drei Jahre später ist aus dem
"Guido-Mobil" ein "Reformexpress" geworden, ein gelber Bus, mit dem
Parteichef Guido Westerwelle, ganz auf Seriosität und die
Inhalte des Wahlprogramms setzend, durchs Land tourt. Spaß
darf es dennoch machen. "Wir freuen uns auf die Bundestagswahl",
hatte er nach der Neuwahlankündigung durch Bundeskanzler
Gerhard Schröder (SPD) im Mai selbstbewusst verkündet.
Angesichts stabiler Umfragewerte, die einer möglichen
schwarz-gelben-Koalition seit Monaten eine, wenn auch knappe
Mehrheit voraussagen, kann er das auch.
Für Entspannung ist es dennoch zu
früh. Das merkten auch die Gäste des Vierten Ostgipfels,
den die FDP am 18. August in ihrer Parteizentrale in Berlin
veranstaltete. Dabei sollten Zukunftsperspektiven für die
neuen Bundesländer aus liberaler Sicht ausgelotet werden. Und
wo Osten draufsteht, ist automatisch auch Wahlkampf drin. Zumindest
nachdem CSU-Chef Edmund Stoiber einige Tage zuvor seine
Schwierigkeiten mit dem dortigen Wählerverhalten offenbart
hatte und gleichzeitig von der überlegenen Klugheit der Bayern
sprach. Stoiber schwebte dann auch wie ein böser Geist
über der Veranstaltung, obwohl sich einige, wie der ehemalige
Außenminister Hans-Dietrich Genscher, demonstrativ weigerten,
seinen Namen auszusprechen. Andere, wie der Finanzexperte der FDP
und Bundestagsvizepräsident, Hermann Otto Solms, beließen
es bei Andeutungen: "Ich bin ein Hesse, der in Bayern Abitur
gemacht hat", bemerkte Solms beiläufig auf dem Podium. Die
Bildungspolitik war ein zentrales Thema der Veranstaltung, und fast
konnte man den Eindruck haben, dass Stoibers harsche Worte den
Liberalen gar nicht so ungelegen kamen. Zumindest machten sie die
Abgrenzung zur CSU leicht und boten gleichzeitig Möglichkeiten
für eine eigene Positionierung: "Wir lassen uns als Liberale
die Freude an der deutschen Einheit nicht nehmen. Wir beteiligen
uns nicht an Wahlkämpfen Ost gegen West und West gegen Ost",
verkündete Westerwelle mit großer Entschlossenheit. Es
gehe vielmehr darum, aktuelle Probleme als gesamtdeutsche zu
erkennen: "Es wird dem Westen nicht gut gehen, wenn es dem Osten
schlecht geht. Und es wird dem Osten nicht gut gehen, wenn es dem
Westen schlecht geht. Deshalb brauchen wir eine nationale
Wachstumsstrategie für ganz Deutschland", forderte er im Namen
seiner Partei.
Ginge es nach den Freien Demokraten,
könnte der Osten hier sogar eine Vorreiterrolle
übernehmen. So möchten die Liberalen in Ostdeutschland
Modellregionen einrichten, in denen bundesweite Regelungen etwa im
Bau- oder Tarifrecht zeitweise außer Kraft gesetzt werden
können. Damit könnten die neuen Bundesländer
"Tempomacher für die Modernisierung der ganzen Republik
werden", sagte Westerwelle auf dem Ostgipfel. In besonders
wirtschaftsschwachen Gebieten könne man beispielhaft für
ganz Deutschland Dinge wie Bürokratieabbau und Minderung der
Steuern- und Abgabenlast testen, frohlockte Hermann Otto
Solms.
Der Slogan"Arbeit hat Vorfahrt" bedeutet
für die FDP zuallererst Entlastung der Unternehmen. So wirbt
die Partei in diesem Wahlkampf mit einem dreistufigen Steuermodell
von 15, 25 und 35 Prozent, wobei für Unternehmen nur die
ersten beiden Steuersätze gelten sollen. Ferner strebt sie, im
Gegensatz zur Union, eine Abschaffung der Gewerbesteuer an, die
durch einen Zuschlag auf die Einkommens- und
Körperschaftssteuer ersetzt werden soll. Abschaffen
möchte die Partei nicht nur sämtliche Steuerprivilegien.
Ein noch größeres Medienecho erzeugte eine gar nicht so
neue Forderung: die Abschaffung der Bundesagentur für Arbeit.
Auch die staatlichen Fördermaßnahmen für
Arbeitslose, die nach FDP-Lesart ohnehin nichts bringen, sollten
nach Meinung der FDP wegfallen. Private Vermittlungsfirmen
könnten hier bessere Hilfe anbieten, meint die FDP.
Mit ihrem Ruf nach Deregulierung und
Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gewinnt die Partei seit Jahren
Sympathien von Wirtschaftsverbänden - bei Arbeitnehmern
hingegen das Image einer Partei der sozialen Kälte. Dem
widerspricht Guido Westerwelle energisch. In einem Interview mit
dem Deutschlandfunk sagte er im Juli: "Die FDP macht die sozialste
Politik von allen Parteien, denn wir sind diejenigen, die
dafür sorgen, dass Deutschland wieder auf die Beine kommt."
Dies sei Voraussetzung für einen starken Sozialstaat. Dagegen
seien SPD, Grüne und die Linkspartei.PDS dessen
tatsächliche Totengräber.
Aber gerade diese drei Parteien könnten
für die FDP bedrohlich werden. Das mögliche Szenario von
Rot-Rot-Grün oder einer großen Koalition ist ein Grund,
warum sich die FDP noch nicht entspannt auf den Umfragewerten
ausruhen kann. "Wer heute von einer großen Koalition
träumt, wird ganz schnell unter einer Linksregierung
aufwachen. Dann reden wir nicht über eine Halbierung sondern
über eine Verdopplung der Arbeitslosigkeit", beschwört
Westerwelle seine Zuhörer.
Und auch beim Wahlkampfauftakt in
Düsseldorf am 22. August ließ die Partei keinen Zweifel
offen: Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion Wolfgang Gerhardt
nannte eine mögliche große Koalition einen "Stillstand
zwischen Elefanten". Stattdessen wolle die FDP in einem
Bündnis mit der Union "der Motor sein, die treibende Kraft",
so Gerhardt: "Wir müssen die Union etwas bewegen. Sie ist in
manchen Entscheidungen zu zögerlich. Durch die Einbeziehung
des Steuerexperten Paul Kirchhof in das Kompetenzteam hat die Union
jedoch das Gegenteil bewiesen - für die FDP ein
zweischneidiges Schwert: Inhaltlich kommt die Nominierung Kirchhofs
den Liberalen zwar entgegen - sein Ein-Stufen-Steuermodell ist auch
für die FDP mittelfristig denkbar. Auf personeller Ebene
mindert Kirchhof als potentieller Finanzminister jedoch die Chancen
des liberalen Kandidaten Hermann Otto Solms. Zögerlich zeigt
sich indessen ein weiterer Anwärter, CSU-Chef Edmund Stoiber,
was seine eigenen Ambitionen für die Zeit nach der
Bundestagswahl angeht - und auch dies wird in der FDP mit Argwohn
betrachtet. Für die Liberalen sind sämtliche
Personalfragen mit dessen künftiger Rolle verbunden. Holt die
CSU in Bayern bundesweit wieder mehr Stimmen als die FDP, wie 2002,
kann sie bei der Machtverteilung im Kabinett die Preise diktieren.
Wechselt Stoiber ins Kabinett? Und wenn ja: Welchen Posten
beansprucht er? Sein Interesse für das Außenministerium
könnten die Träume Wolfgang Gerhardts rasch zerplatzen
lassen, der in letzter Zeit wiederholt für diesen Posten ins
Gespräch gebracht wurde.
Doch über solche strategischen
Personalfragen hüllt insbesondere Parteichef Westerwelle
momentan noch den Mantel des Schweigens. Zu wichtig ist das Projekt
schwarz-gelb diesmal, als dass es durch solche Gedankenspiele
gefährdet werden dürfte. Die FDP ist entschlossen, im
Herbst an der Seite der Union auf der Regierungsbank Platz zu
nehmen. Sie möchte der Koalitionspartner sein und inszeniert
sich in diesem Wahlkampf als solcher, befördert allerdings
damit auch eine öffentliche Wahrnehmung, die sie auf diese
Rolle reduziert.
Doch auch die Union hat ein Interesse an
einer starken FDP. Nicht umsonst trafen sich die drei Parteien am
1. September zum so genannten Wechselgipfel, auf dem Merkel,
Stoiber und Westerwelle ein schwarz gelbes Positionspapier für
eine mögliche Regierungskoalition vorstellten. - ein Treffen
mit Signalwirkung. Ziel der Liberalen sei es, dass Angela Merkel
"die nächste Kanzlerin wird, unterstützt von einer
starken FDP", hatte Guido Westerwelle im Vorfeld erklärt. Ganz
so selbstlos, wie es klingt, ist das Ziel jedoch nicht. Für
Westerwelle und die FDP steht viel auf dem Spiel. Schafft sie
erneut nicht den Sprung in die Regierung und wird sie hinter CDU,
SPD, CSU, Linkspartei und Grünen nur sechste Kraft im
Parlament, dürften wieder neue Personaldebatten aufkommen.
Westerwelle nämlich hat sich die Rückkehr seiner Partei
ins Kabinett zum persönlichen Ziel gesetzt. Gelingt dies
nicht, könnten seine Kritiker versuchen, seine Tage als
Parteichef eher früher als später zu beenden.
Zurück zur Übersicht
|