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Tobias Asmuth
Gewinnen kann nur einer
Die Linkspartei.PDS will mit vereinten
Kräften den Einzug in den Bundestag schaffen
Die Linkspartei.PDS begreift die Bundestagswahl
2005 als historische Chance. Ihr Ziel: sich als stabile Kraft links
von der SPD in ganz Deutschland zu etablieren. Ihr künftiger
Erfolg hängt dabei allein von der Strahlkraft zweier
Männer ab: Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Einst politische
Gegner stehen die beiden Männer jetzt gemeinsam auf der
politischen Bühne. Gemeinsam rufen sie zum Kampf gegen
Lohndumping und Sozialabbau auf. Langfristig gewinnen kann aber nur
einer.
Der gemeinsame Aufbruch gerät ins
Stocken, auf dem Wahlparteitag der neuen Linkspartei haben jetzt
die Bürokraten das Wort: Erst eine Wortmeldung zum
Änderungsantrag zur Sozialpolitik, dann noch eine zum
Mindestlohn, eine kleine Anmerkung einer Arbeitsgemeinschaft zur
Wirtschaftspolitik, der Bericht der Mandatsprüfungskommission,
eine Note zur Friedensarbeit aus Brandenburg, ein neuer Antrag aus
Sachsen. Es ist warm im Veranstaltungssaal des Berliner
Estrel-Hotels, warm und stickig wie in einem Amt.
In einem Amt wird nach Vorschriften
gearbeitet, ist kein Platz für ein inszeniertes
Politspektakel, für eine Show mit Hymnen oder bunten
Luftballons. Die Delegierte einer Umweltgruppe aus Thüringen
nuschelt etwas vom Werterhalt der Natur für künftige
Generationen ins Mikrofon, der nächste Redner will den
Wahlkampf als geschichtswissenschaftliche
Aufklärungsveranstaltung führen. Müde Blicke, matter
Applaus. Im Foyer wächst die Schlange vor den Tischen des
Catering-Service, die Wiener Würstchen werden knapp, der
Kartoffelsalat ist schon aus.
Bleierne Schwere liegt über den knapp
500 Zuhörern, als die unerbittliche Parteitagsregie die Rede
des Genossen Gregor Gysi ankündigt. Aufatmen im Saal, endlich
ein Höhepunkt, endlich Emotionen. Mit schnellen Schritten
drängt Gysi zum Rednerpult, federnd springt er auf das kleine
Podest, genug gewartet, es muss endlich losgehen, soll das sagen.
Und Gregor Gysi hat gleich einmal eine Bitte, er wünscht sich
mehr Lebendigkeit im Saal, schließlich geht es um viel, um ein
Projekt, einen Traum - eine starke sozialistische Linke von
Mecklenburg-Vorpommern bis Bayern. "Das ist doch was, wer
hätte das vor ein paar Jahren gedacht?" Die Menschen
klatschen, lange, es tut so gut endlich aus sich herausgehen zu
können.
Der Spitzenkandidat flüstert und
schreit, rudert mit den Armen, wippt in den Knien, er plaudert und
predigt, der Saal gehört ganz dem kleinen Mann aus Berlin. Er
mahnt man dürfe jetzt nicht nachlassen, er kritisiert
Disziplinlosigkeiten, wie die Kritik des Europaabgeordneten der PDS
André Brie, der Oskar Lafontaine einen Luxuslinken genannt
hatte, und er ruft immer wieder zum gemeinsamen Kampf auf. "Wir
sind bundesweit wählbar, wir werden bundesweit gewinnen - im
Osten und im Westen."
Gysi ist der emotionale Anker seiner Partei,
die durch Agenda 2010 und Schröders Neuwahl-Coup unerwartet
auf die große politische Bühne gespült worden ist.
Sicher: Das Zusammengehen der einstigen PDS mit der WASG hat in den
vergangenen Monaten der kühle Stratege Bodo Ramelow
organisiert, er hat die Wahllisten juristisch abgedichtet,
kümmert sich um den Wahlkampf, um Termine des
Spitzenpersonals, den Programmablauf auf den Marktplätzen. Und
natürlich hat der Vorsitzende Lothar Bisky als
verständnisvoller Großvater die Partei in die wilde Ehe
mit den linken Abweichlern aus dem Westen geführt. Aber keiner
streichelt die Seele der Partei wie Gregor Gysi. Mit ihm verbinden
die Kader aus der ehemaligen DDR die Erfolge der alten PDS, und die
neuen Linken aus den alten Bundesländern das Versprechen auf
eine dauerhafte Zukunft. Für viele Zeitungen und Magazine ist
er der Pop-Star einer Talkshowpartei, für seine Partei
schlicht der heimliche Chef, der sagt, wo es langgeht, seinen
Versprechungen von einer neuen sozialen Wirklichkeit möchten
sie glauben. Deshalb fordert die Linke einen gesetzlichen
Mindestlohn von 1.400 Euro einzuführen, sie will ein
milliardenschweres "Zukunftsinvestitionsprogramm für Bildung
und Forschung", um die Defizite des Marktes auszugleichen, sie
fordert eine gemeinsame Bürgerversicherung, eine Erhöhung
des Kindergeldes auf 250 Euro, gebührenfreie Kitaplätze,
eine Schule für alle und einen Verzicht auf
Studiengebühren. Finanziert werden soll die neue Wirklichkeit
in Deutschland mit der Besteuerung von Kapitalgewinnen.
Seit dem Vereinigungsparteitag am 17. Juli
und der Umbennung in Linkspartei.PDS sind die Umfragewerte von 13
auf zwischen acht und neun Prozent abgerutscht. Doch es gibt kaum
Unruhe in der Partei, die Delegierten auf dem Parteitag sind
zuversichtlich mit einem guten Ergebnis in den neuen Bundestag
einzuziehen, das "historische Projekt einer neuen linken Kraft in
Deutschland auf eine breite Basis" zu stellen - diese Worte Gregor
Gysis hört man immer wieder im Saal, an den Stehtischen im
Foyer, am Verkaufsstand des Neuen Deutschland.
Die große Unbekannte in dieser Rechnung
ist Gysis Co-Spitzenmann Oskar Lafontaine. Wie wird sich der
Egomane aus dem fernen Saarland in der neuen Partei zurechtfinden?
Wird die Basis den begnadeten Selbstdarsteller akzeptieren lernen?
Den meisten Genossen ist seine Welt mit großer Villa und
luxuriösen Urlaubsressorts, gut dotierten
Honorarverträgen und bunten Fernsehauftritten fremd. Doch
macht Oskar Lafontaine in seiner ersten Rede entschlossen Schritte
auf die Partei zu. "Das ist ein historisches Datum", beginnt er,
"ich sehe meinen Auftritt im Rahmen der Geschichte der
Arbeiterbewegung." Denn es sei das erste Mal, dass ein ehemaliger
SPD-Vorsitzender auf einem PDS-Parteitag spricht, er sei stolz
darauf, bei der freiwilligen Vereinigung der deutschen Linken
mitwirken zu können. Dann verbeugt er sich tief vor der
weishaarigen Ikone der Partei, dem letzten
SED-Ministerpräsidenten der DDR und Ehrenvorsitzenden Hans
Modrow. Der "liebe Hans" habe die Verleumdungen nach der Wende
nicht verdient, er sei für ihn vielmehr so etwas wie der
deutsche Gorbatschow. Die Zuhörer staunen, dann klatschen sie
laut.
Oskar Lafontaine zeigt sich nach dem
gefühligen Teil in seiner Rede kämpferisch. Er verteufelt
den neoliberalen Zeitgeist ("Kapitalisten sind Täuscher"),
warnt vor dem Afghanistan-Einsatz ("Ein Krieg, um die Macht von
Warlords zu sichern"), lästert über die Irrwege der
rot-grünen Koalition ("Die SPD hat ihr soziales Gewissen
verkauft."). Der Mann macht klar: Jetzt gilt es! Die Linke wird in
den Bundestag einziehen und er will, dass sie so stark wie
möglich wird. Bis zum 18. September schickt ihn die
PDS-Wahlkampfzentrale kreuz und quer durch die alten
Bundesländer: von Mannheim geht es nach Gelsenkirchen, von
dort nach Frankfurt am Main und Nürnberg, nach Essen, Hamburg,
Hannover. Die neue Linkspartei im Westen, das ist Oskar Lafontaine,
im Osten erhält Gregor Gysi Unterstützung durch die
Prominenz seiner Partei, doch auch er tourt ohne Pause von Schwerin
bis Dresden.
Die Doppelspitze will es noch einmal wissen,
für beide wäre es eine endgültige Rückkehr ins
Rampenlicht, sie wollen den neuen Bundestag zur Plattform ihrer
Ziele machen. Gysi will eine neue Partei etablieren, links und
modern soll sie sein, keine Partei mehr der übrig gebliebenen
DDR-Senioren. Gysi glaubt daran, dass der Wind sich dreht, der
Zeitgeist in den kommenden Jahren links sein wird. Oskar Lafontaine
dagegen sucht zuerst wohl die Abrechnung mit seiner alten Partei.
Vielleicht wird da aber irgendwann auch noch mehr sein: Am Ende des
Parteitages stehen die 16 Spitzenkandidaten aus den Ländern
auf der leuchtend roten Bühne. Oskar Lafontaine winkt ins
Publikum, für einen historischen Tag wirkt er erstaunlich
gelöst.
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