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Das Parlament
Nr. 36 / 05.09.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Sandra Schmid

Wahlkampf im Klassenzimmer

Mit der Juniorwahl simulieren rund 50.000 Schüler in Deutschland die Bundestagswahl
Sie haben die Wahl: Josi, Inana und Jakob werden zum ersten Mal am 18. September mit der Wahlbenachrichtigung und ihrem Personalausweis in der Hand ein Wahllokal betreten, um ihre Stimme für die Wahl des Deutschen Bundestags abzugeben. Sie sind drei von bundesweit 2,6 Millionen Erstwählern. Doch das ist nicht die einzige Wahl, bei der die drei nach ihrer Stimme gefragt werden. Josi, Inana und Jakob werden genauso wie ihre Mitschüler an der Berliner John-Lennon-Oberschule und wie 50.000 Schüler an 180 Schulen in Deutschland auch an der Juniorwahl teilnehmen. Die Juniorwahl simuliert an Schulen eine Wahlsituation wie bei einer Bundestags- oder Landtagswahl. Allerdings gibt es hier einen Unterschied: Bei der Juniorwahl dürfen alle Schüler wählen, nicht nur die, die schon 18 Jahre alt sind.

Das Votum der Jugendlichen hat zwar auf das Wahlergebnis im Bundestag keine Auswirkung, trotzdem läuft die Wahl bis ins Detail realitätsgetreu ab: Die Schüler bekommen eine Wahlbenachrichtigung, bringen zur Stimmabgabe ihren Personalausweis mit und haben eine Erst- und eine Zweitstimme für die Wahl der Wahlkreisabgeordneten und der Partei. Nur eine Kleinigkeit ist anders als bei einer normalen Wahl: Die Schüler kreuzen die Favoriten nicht auf einem Stimmzettel an, sondern geben ihr Votum am Computer ab. Per Mausklick wählen sie, welcher Kandidat und welche Partei in den virtuellen Bundestag einziehen soll.

180 Schulen in Deutschland nehmen an dem Projekt Juniorwahl teil. Schon bei der vergangenen Bundestagswahl kam die Juniorwahl, ebenso wie bei Landtagswahlen und Europawahlen seit 2001, zum Einsatz. Tausende von Schülern in Deutschland konnten so hautnah erfahren, was es eigentlich heißt, wählen zu gehen. Doch was so spielerisch aussieht, ist weit mehr als nur Spaß: Es geht schließlich nicht nur um den Wahlakt selbst, der geübt werden soll, sondern auch um so abstrakte Dinge wie Demokratieverständnis und Meinungsbildung. Die Jugendlichen sollen erleben, wie Demokratie funktioniert. Eingebettet ist die Juniorwahl in den normalen Politikunterricht. Die Jugendlichen lernen zwar wie sonst auch die politischen Institutionen und Parteien kennen und beschäftigen sich mit dem Wahlsystem, allerdings mit dem feinen Unterschied, dass sie dies nicht mehr nur anhand von Schaubildern und Pfeildiagrammen tun, sondern selbst zu Handelnden werden: Die Schüler erstellen etwa für ihre Schule ein Wählerverzeichnis, sie bestimmen den Wahlvorstand und die Wahlhelfer, die die Abläufe am Wahltag beaufsichtigen.

Ausgedacht haben sich das Projekt die Mitglieder des Berliner Kunstvereins Kumulus. Bereits vor einigen Jahren hatten sie die Idee dazu: 1998 berichtete der Politikwissenschaftler Jürgen Falter in der Talksendung "Sabine Christiansen" über das amerikanische Projekt "KidsVoting", das Kindern und Jugendlichen das Wahlsystem anhand einer Simulation verdeutlicht. "Das", so dachten sich die Mitglieder von Kumulus, "müsste es doch auch in Deutschland geben." Schon länger hatten sie sich, wie etwa der damalige Student und heutige Wirtschaftsingenieur Gerald Wolff, selbst dafür engagiert, die Kluft zwischen den angeblich so politikmüden Jugendlichen und der Politik zu überbrücken: "Die Ergebnisse der Shell-Studien, die den Jugendlichen immer weniger Interesse für politische Fragen bescheinigten, hat uns geschockt. Wir wollten etwas gegen die Zuschauerdemokratie in unserem Land tun," sagt Gerald Wolff. So begann er 1999 zusammen mit seinen Mitstreitern, Fragen von Jugendlichen an die Politik zu sammeln und überreichte diese später als gebündelten Fragenkatalog an Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Seit 2001 organisiert der Verein zudem so genannte "Talkstunden", in denen Jugendliche mit Politikern über Themen wie "Macht und Moral" oder "Politikverdrossenheit" diskutieren. Mit Veranstaltungen wie diesen liefen sich die Kumulus-Aktivisten warm für ihr bislang umfangreichstes Projekt: die Juniorwahl.

Anders als das amerikanische Vorläufermodell "KidsVoting" wurde die Juniorwahl von Anfang an in den Schulunterricht integriert und von Lehrern didaktisch begleitet. Eines der zentralen Prinzipien der Juniorwahl ist jedoch, die Organisation der Wahl in die Hände der Schüler zu legen: Und so sind Josi, Inana und Jakob in den kommenden Wochen bis zur Wahl voll beschäftigt: Die Wahlververzeichnisse sind zwar schon erstellt, und auch die Wahlhelfer hat die 13. Klasse schon bestimmt. Doch auch sonst gibt es noch einiges zu tun, bevor der Raum neben dem Lehrerzimmer in der John-Lennon-Oberschule für eine Woche zum Wahllokal wird. Die Kabinen müssen aufgebaut und die Computer mit der richtigen Software ausgerüstet werden. Jede Schule, die an der Juniorwahl teilnehmen will, bekommt dafür das entsprechende Programm auf CD-ROM. Diese Software ermöglicht die Stimmabgabe wie beim Online-Banking.

Zurzeit unterziehen Josi, Inana, Jakob und ihre Mitschüler die Parteien einer genaueren Prüfung. Im Fach Politische Weltkunde unter der Leitung ihres Lehrers Theodor Bröcker nehmen sie sich aber nicht nur deren Wahlprogramme vor. Jeden Freitag laden sie auch Politiker in die Schule ein, damit diese sich ihren Fragen stellen. Gerade zur Bildungs- und Wirtschaftspolitik haben die Schüler viele Fragen, die sie von den Vertretern der Parteien beantwortet haben wollen. Petra Pau von der ehemaligen PDS, jetzt Linkspartei, war schon da. Doch richtig zufrieden wirkt die 13. Klasse der John-Lennon-Oberschule mit der Diskussion nicht: Sehr viel anders als in einer Talkshow im Fernsehen sei die Diskussionsrunde in der Schule nicht gewesen, finden die Schüler. Petra Pau habe sich verhalten, "wie alle anderen Politiker" auch. Aber schießlich kommen noch andere Politiker, die Spannung steigt und der Wahlkampf hat die Schule erreicht. Doch gerade den Wahlkampf finden Josi, Inana, Jakob und die anderen Erstwähler überhaupt nicht gut. "Alles nur absurdes Theater", urteilen sie und fragen: Warum beschäftigen sich Politiker nur damit, den Gegner schlecht zu machen? Warum geht es nicht mehr um konstruktive Lösungsvorschläge für unsere Probleme? Die Schüler haben ein feines Gespür für Wahlkampftaktik, registrieren sehr wohl die Machtkämpfchen zwischen der Kanzlerkandidatin Angela Merkel und dem CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber und sie durchschauen, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder sein siegessicheres Lächeln wohlkalkuliert zur Schau trägt. Kaum einer in der Klasse scheint deshalb heute schon zu wissen, was er am 18. September wählen wird - bei der Bundestagswahl und bei der Juniorwahl. "Haben wir wirklich eine Alternative?", fragt Isabel. Und ihre Banknachbarin sagt: "Vielleicht sollte man das geringste Übel wählen." Dabei ist es nicht so, dass die Klasse nicht wählen will. Die Juniorwahl finden sie alle gut und wichtig.

Wie sie und die anderen bei der Juniorwahl abgestimmt haben, wird erst am 18. September um 18 Uhr bekannt gegeben. Dann werden Ergebnisse der deutschlandweiten Juniorwahl im Internet unter "www.juniorwahl.de" veröffentlicht.

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