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Peter Dudek
Exkurs über die Regeln des Lebens
Hermann Giesecke über Werte- und
Sozialerziehung
Über Werte und Werteerziehung, über Werteverlust und
Wertenihilismus wird seit Jahren nicht nur in Deutschland
kontrovers und heftig diskutiert. Aber die Debatten kranken nicht
selten an einer gewissen Unverbindlichkeit. So konnte man in einer
kürzlich veröffentlichten erziehungswissenschaftlichen
Dissertation den Schlusssatz lesen: "Dem Werteverlust und der
Orientierungslosigkeit der heutigen Erwachsenen und weiter Teile
der Jugend kann nur mit Erziehung zur kritischen Selbstreflexion,
mit der Erziehung zur Mündigkeit entgegen gesteuert werden."
Ist das ein pädagogisches Programm? Nein! Ist das eine
richtige Diagnose? Nein, es ist eine Plattitüde.
Vor solchen wenig luziden Hintergründen greift man
neugierig zu dem jüngsten Buch von Hermann Giesecke (Jahrgang
1932). Wer Gieseckes Bücher kennt, der weiß, dass er mit
klaren, manchmal überspitzten und bewusst polarisierenden
Positionen konfrontiert wird. So auch dieses Mal, wenn Giesecke
Werteerziehung als Teil der umfassenderen Sozialerziehung
diskutiert. Ein Credo des Autors lautet: "Leben ist lernen", und so
beginnt er mit der Diskussion um die "Regeln des Lebens", um die
Schwierigkeiten des Wertbildungsprozesses und das Erlernen von
Normen, um anschließend seinen Lesern den Wertewandel im
Lichte der empirischen Werteforschung und Pädagogik zu
illustrieren und diesen im historischen Prozess zu diskutieren.
Überlegungen zur Wertepolitik und zu den Veränderungen
im Generationsverhältnis folgen. Im Anschluss daran wendet
sich Giesecke zwei Sozialisationsinstanzen zu, die in fast allen
seinen Büchern eine zentrale Rolle spielen, nämlich der
Familie und der Schule. Auch hier bleibt er seiner bekannten
Perspektive treu. Er betrachtet die fraglichen Sachverhalte der
Wertevermittlung und Sozialerziehung zunächst von unten,
"nämlich aus der Perspektive von lernenden Individuen".
Werte, so Giesecke, sind eine hypothetische Konstruktion, die
ein Kind in der Regel ohne Teilhabe der Pädagogen durch
Sozialisation erlernt. Deshalb gelte es, zwei pädagogische
Aufgaben, die gemeinhin als getrennt wahrgenommen werden, im
Zusammenhang zu sehen: Sozialerziehung einerseits, Werteerziehung
andererseits. Beide versteht er als "reflektierte Intervention in
soziale Lernprozesse, die zu einem erheblichen Teil außerhalb
pädagogischer Felder, Intentionen und Kompetenzen
verlaufen".
Damit sollen Pädagogen nicht entlastet, aber doch Grenzen
markiert werden, die den auf die Herstellung des "guten Menschen"
zielenden Allmachtsphantasien Schranken setzen sollen. Konsequent
diskutiert er deshalb im fünften und sechsten Kapitel die
Chancen und Grenzen pädagogischer Einwirkungen auf den
Wertbildungsprozess in Familie und Schule - stets im Bemühen,
den Akzent hier auf pragmatische Hinweise für
unterstützende Interventionen in den Wertbildungsprozess von
Kindern und Jugendlichen zu legen.
Es zählt zu den Stärken des Buches, dass der Autor
dabei nicht in das Genre der trivialen pädagogischen
Ratgeberliteratur abgleitet, sondern sich die kritische Reflexion
darüber erhält, dass das gut Gemeinte nicht immer schon
das pädagogisch Erreichbare ist. Dieses Feld, so Giesecke
pessimistisch, bleibt recht überschaubar.
Hermann Giesecke
Wie lernt man Werte?
Grundlagen der Sozialerziehung.
Juventa-Verlag, Weinheim/München 2005; 208 S., 13,-
Euro
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